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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte Sie an Erlebnissen mit unserer örtlichen Bibliothek (Stadt
mit über 20.000 EW und hauptamtl. Bibl.-Personal) teilhaben lassen,
die sich in den vergangenen 2 Jahren in Varianten immer wieder
ereignet hat. Die jüngste Episode "lief" gestern und hat mich
veranlasst, sie in verkürzter Form ins bibl. Forum zu stellen:
Unsere Tochter Christine, (14 J.), die seit je her gerne liest,
entwickelt seit ihrem 10. Lebensjahr einen kaum stillbaren
Bücherhunger und verschlingt seitdem Romane in atemberaubendem Tempo
und Menge. Mit ca. 11 J. entwickelte sich ihr Interesse an einzelnen
Romanen aus dem Erwachsenen-Bereich, nachdem sie Harry Potter,
Twilight u.a. mehrmals rauf- und runter gelesen hatte. Mit 12 las Sie
begeistert "P.S., ich liebe dich!" von C. Ahern und wollte aus
unserer örtlichen Bibliothek das zweite Buch der Autorin, "Für immer
villeicht" entleihen. Die Antwort an der Verbuchungstheke: "Das können
wir dir nicht mitgeben". Zunächst dachte sie, es gäbe eine generelle
Altersgrenze zur Nutzung der Medien aus dem Erwachsenen-Bereich, aber
auch die Benutzungsordnung lieferte keinen Hinweis auf eine solche
Regel. Auf Nachfragen unserer Tochter stellte sich heraus, dass man
ihr das Buch nicht geben wolle, weil "das noch nichts für sie sei",
"dafür bist du noch zu jung". Unsere Tochter wollte nicht, dass wir zu
ihren Gunsten eingriffen oder mit dem Bibliothekspersonal sprächen
("wie peinlich!"), sondern ließ den Fall auf sich beruhen.
Im Alter von 12 J. und 8 Monaten (sie hat es festgehalten!) wollte sie
Tolkiens "Hobbit" entleihen. Systematik: "SL , 5.2 Jugendbuch 13 - 16
J." IK "Fantasy", Standort "Romanbereich Erdgeschoss". An der
Verbuchungstheke erfährt sie wieder die verbale Ausleihverweigerung.
Glücklicherweise ist die Leiterin gerade in der Nähe, Christine fragt
"Wieso denn?" und die Leiterin sagt (in etwa) zur verbuchenden
Kollegin "Christine darf das ruhig mitnemen, die liest so viel und ist
so fit, das ist kein Problem - aber den "Herr der Ringe" würden wir
dir nicht mitgeben." Nun ist Christine nicht etwa erleichtert sondern
empört sich zu Hause darüber, dass die Ausleihe also scheinbar von der
"individuellen Lesekompetenz" abhängig sei, eine andere/r Leser/in das
Buch also nicht unbedingt bekommen hätte. Wir wollen als Eltern wieder
intervenieren, was uns unsere Tochter mit dem Hinweis "verbietet", die
Leiterin gehe ohnehin bald in den Ruhestand, und danach würde sich das
Problem vermutlich bald erledigen, denn sie wolle dann die neue
Leitung darauf ansprechen (sie ist guter Dinge, denn ihre Eltern,
beide Bibliothekare, bestätigen ihr, dass solche Vorfälle in deutschen
ÖBs zu den Ausnahmen gehören (sollten)).
Mit 14 J. - die alte Leiterin ist noch im Amt - versucht sie erfolglos
, einen Roman von Stephen King zu entleihen. Unseren Ratschlag, das
"Verweigerungsspektrum" auszuloten, indem sie versuchen solle Henry
Miller, Bukowski, Remarque u.A (viel "Harmlosere") auszuleihen, lehnt
sie dankend ab. Uns Eltern fällt es schwer, NICHT vorstellig zu
werden, aber zähneknirschend wollen wir die Zeit abwarten, dass es in
diesem Punkt mit einer neuen Leitung besser wird.
Die neue Leitung ist seit Frühsommer diesen Jahres im Amt. Christine
versucht es erneut mit dem Roman von King - ohne Erfolg. Sie möchte
den Leiter sprechen, der aber leider nicht im Haus ist. Gestern, am
3.11., holt sie dieses Gespräch nach. Christine gibt uns dieses
Gespräch inhaltlich wie folgt wider: Der neue Leiter habe ihr erklärt,
dass Medien aus dem Erwachsenen-Bereich "eigentlich" erst ab 16. J. zu
entleihen wären. [Das ist definitiv nicht der Fall, weil unsere
älteste Tochter, Christines Schwester, bereits mehrfach Erw.-Medien im
Alter von 13 Jahren und aufwärts entliehen hatte, für Referate, aber
auch "privat", z.B. Zeitschriften aus dem Wohn- und Modebereich,
Kunstbücher). Auch die Benutzungsordnung enthält keinen solchen
Hinweis.] Zudem erklärt er ihr, dass die Bibliothek schließlich auch
eine Verantwortung dafür trage, was die Kinder/Heranwachsenden lesen
würden. Da sei es auch von Vorteil, dass mein keine Selbstverbucher
habe und somit noch individuell schauen und regeln könne, welches Kind
was entleihen wolle und dürfe.
Bevor meine Frau und ich nun weitere Schritte ergreifen (denn NUN
lassen wir uns nicht mehr von unserer Tochter aufhalten), möchte ich
gerne Ihre Meinung dazu hören: Wie beurteilen Sie den unten
beschriebenen Fall? Sind Ihnen ähnliche Ereignisse jüngeren Datums
bekannt? Handhaben Sie bzw. Ihre Bibliothek möglicherweise solche
Fälle ähnlich? (Wer sich nicht traut, die letzte Frage öffentlich zu
bejahen, kann mir gerne direkt antworten und ich verspreche
Stillschweigen, es geht mir nicht um das Anprangern Einzelner, sondern
um ein Gesamtbild). Auch die Beurteilung durch die bibliothekarischen
Vereine/Verbände würde mich interessieren: Gibt es eine einheitliche,
bibliothekspolitische und -ethische Antwort darauf (was ich sehr hoffe)?
An die WB-Kollegen: In etlichen WBs ist die Nutzung auch unter 18 J.
erlaubt, sind Ihnen Fälle bekannt, in denen solche NutzerInnen von der
Lektüre/Ausleihe bestimmter Medien ausgeschlossen sind (abgesehen von
indizierten Werken)?
Vielen Dank für alle Reaktionen und besten Gruß Martin Spieler
PS: Meine Frau steuert gerne folgende Episode bei um zu verdeutlichen,
dass es sich - in seiner grundsätzlichen Art - nicht um einen
Einzelfall zu handeln braucht, auch wenn er weitaus weniger drastisch
ist. An Ihrem Arbeitsort, einer hauptamtlich geführten ÖB in einem Ort
mit über 40.000 Ew., hatte man das Buch "Fifty Shades of Grey" mit
einer Alterssperre von 18 J. versehen. Auf ihren Einwand hin und
nachdem etliche 16-jährige Leserinnen enttäuscht zurückgewiesen worden
waren, hat das Buch seit vergangene Woche eine "Altersfreigabe"
(gesteuert über eine Mediengruppe) ab 12 Jahre.