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[InetBib] Fwd: akademische Beschäftigung in Forschung und Lehre ab der abgeschlossenen Doktorarbeit



---------- Weitergeleitete Nachricht ----------
Von: Naomi Kubota <naomi.anne.kubota@xxxxxxxxxxxxxx>
Datum: 26. Juli 2013 03:12
Betreff: akademische Beschäftigung in Forschung und Lehre ab der
abgeschlossenen Doktorarbeit
An: swip germany <swipgermany@xxxxxxxxx>


Hallo,


ich möchte einen Vorschlag zur Diskussion stellen, der zwar sowohl für
Frauen als auch für Männer gelten soll, allerdings vermutlich insbesondere
für Frauen ein größeres Desiderat darstellt.

Nach feministischen Schätzungen vollbringen Frauen weltweit ca. 70-90
Prozent der tatsächlich durchgeführten Arbeitsstunden, während sie nur etwa
10% des Kapitals besitzen. Dies führt zu einer strukturellen Position, in
der Frauen - insbesondere dann, wenn sie Kinder haben - in starke
Abhängigkeit von zahlungskräftigen Personen geraten können. Umso wichtiger
ist eine realistische, stabile finanzielle Perspektive, die nicht nur
Familienplanung grundsätzlich ermöglicht, sondern auch Möglichkeiten
bietet, etwa eine Wohnung oder ein Auto zu kaufen - auch dann, wenn eine
Hypothek von einer Bank nötig ist, mit den damit einhergehenden Nachweisen
einer gesicherten Rückzahlung des Kredits - oder für sonst irgendetwas sich
auf regelmäßige Einkünfte verlassen zu können, etwa die Rückzahlung eines
Studienkredits. Es ist ein Unding, wenn die Strukturen in einer
akademischen Welt grundsätzlich so beschaffen sind, daß ohne ein
gutgefülltes Portemonnaie - und sei es der Eltern oder des/der PartnerIn -
ein akademischer Werdegang kaum möglich ist.

Grundsätzlich bin ich der Meinung, daß es wie in den USA völlig unmöglich
sein sollte, an der promovierenden Universität auch im Anschluß eine
Anstellung zu bekommen. Dort ist es offen, sich nach einer Anstellung an
einer anderen Universität dann an die promovierende Universität
zurückzubewerben, wenn dort eine inhaltlich passende Stelle ausgeschrieben
werden sollte.

Mein Vorschlag für akademische Beschäftigungen nach der Doktorarbeit wäre
der folgende - alle Punkte sind als Diskussionsanregungen gedacht, bei
denen ich mir Beiträge und regen Gedankenaustausch auf der Liste erhoffe:


Junior-Professuren, die zwar auf Lebenszeit vergeben werden, aber mit einer
dreijährigen Probezeit einhergehen (wie dies in Großbritannien existiert).

Dazu einige Punkte:

1) Es sollte überlegt werden, wie eine sinnvolle Berufungskommission für
solche Stellen aussehen sollte. Möglich wäre etwa, daß Stellen
grundsätzlich thematisch ausgeschrieben werden (bei sehr kleinen
Instituten, die nur sehr wenige Stellen haben, ist das problematischer) und
daß grundsätzlich alle Gutachten nur von Personen geschrieben werden
können, die eine Stelle auf Lebenszeit an ihrer Universität haben und nicht
in der BRD ihren Arbeitsort haben. Die Idee dieses Vorschlags wäre, eine
möglichst große strukturelle Unabhängigkeit der GutachterInnen zu
gewährleisten, die ausschließlich die Schriften in der eingereichten Form
beurteilen.

2) Analog zu den Richtlinien der DFG wäre mein Vorschlag, bei den
einzureichenden Schriften eine quantitative Grenze zu setzen. Die Qualität
sollte zählen, nicht die Quantität. Möglich wäre etwa, nur das Einreichen
der Doktorarbeit und eines weiteren Aufsatzes, der ein anderes Thema als
die Doktorarbeit behandeln soll, einzufordern. Dadurch wäre der Druck auf
DoktorandInnen geringer, bereits vor Abschluß der Doktorarbeit viele
Aufsätze schreiben zu müssen. Es sollte auch möglich sein, sich "nur" mit
der Doktorarbeit zu bewerben.

3) Sofern Leistungen in der Lehre und Studierendenbetreuung vorliegen,
sollte ein Gutachten der promovierenden Universität zu diesen Fragen
angefordert werden, daß vom Institut mitsamt den studentischen
VertreterInnen abgesegnet werden muß. Dabei könnte z.B. offengelassen
werden, ob prinzipiell erwartet wird, daß jede Lehrveranstaltung von den
Studierenden in der letzten Semesterwoche schriftlich evaluiert wird, oder
ob ab einem Zeitpunkt, bei dem die Bewerbungsphase von DoktorandInnen
vorhersehbar langsam anfängt, die studentischen VertreterInnen öffentlich
um das Einreichen von ihnen namentlich bekannten Kommentaren bitten. Z.B.
in den USA ist es zumindest an manchen Unis bei Bewerbungen für Stellen für
studentische Betreuung im StudentInnenwohnheim so, daß die Namen der
KandidatInnen öffentlich auf einer Liste ausgehängt werden und dann alle
Studierenden schriftliche Kommentare einreichen können - bzw. sich
natürlich auch mündlich äußern können. Dies verringert den bürokratischen
Aufwand und ermöglicht eine ganzheitlichere Betrachtung.

4) BewerberInnen um eine solche Stelle sollten nicht nur ihren Lebenslauf,
die Schriften und eine Liste der Lehrveranstaltungen/Publikationen vorlegen
(wo bei der Auflistung der Publikationen die oben genannte Restriktion
gelten soll), sondern sich auch schriftlich zu den folgenden Punkten
äußern: 1) weitere Pläne in der Forschung, 2) weitere Pläne in der Lehre,
3) Pläne in Kooperation mit den ProfessorInnen und StudentInnen des
Zielinstitutes in fachlicher und evt. anderer Hinsicht, etwa weitere
Entwicklung des Lehrangebotes, des Profils des Instituts oder der Struktur
des Studiums.

5) Die auswählende Kommission selbst sollte nur mit Personen der
Zieluniversität besetzt werden. Hier ist zu überlegen, wann und wie eine
Einbindung von Personen außerhalb der Philosophie sinnvoll ist und ob dazu
prinzipielle Festlegungen festgehalten werden sollten. Bei vielen Themen
ist ein gewisser Grad an Interdisziplinarität einer Kommission sicherlich
wünschenswert, etwa bei der Bioethik oder Ästhetik.

6) Die Arbeit der Kommission sollte protokolliert werden. Die Kommission
wählt den Vorsitzenden/die Vorsitzende der Kommission und den/die
Protokolanten/in aus den Reihen der ProfessorInnen mit Gleichberechtigung
der Stimmen aller Mitglieder.

7) Meine Idee wäre, daß drei Gutachten ausreichend sind. Da ich es für
grundsätzlich problematisch halte, wenn die "Wissenschaftskultur" eines
einzigen Landes massiv auf die Wissenschaftskultur eines anderen Landes
Druck ausübt, wäre mein Vorschlag, daß die drei Gutachten aus drei
verschiedenen Ländern kommen müssen (von denen, wie gesagt, keines die BRD
sein kann).

8) Ich würde die Struktur, grundsätzlich etwa 6-9 KandidatInnen zum
Probevortrag einzuladen und dann eine Dreier-Liste zu erstellen,
aufrechterhalten. Die Stelle wird der erstplatzierten Person angeboten, bei
Ablehnung dann der zweitplatzierten etc. Wenn alle drei Personen absagen,
berät die Kommission über das weitere Vorgehen.

9) Meine Idee wäre, daß die eingeladenen KandidatInnen in der Regel eine
Sitzung eines Probeseminars abhalten, bei dem alle Studierenden des
Instituts eingeladen sind, einen Probevortrag halten, nach dem erst ein
fachliches öffentliches Gespräch stattfindet, an das sich andere Fragen
anschließen können - alle Anwesenden haben Fragerecht. Danach sollte noch
ein persönliches Gespräch mit der Kommission durchgeführt werden, und
denkbar wäre auch ein Gespräch etwa zwischen den einzelnen KandidatInnen
und ausgewählten Personen, z.B. weiteren ProfessorInnen des Instituts oder
der Universität, dem/der LeiterIn des Instituts, des Fachbereichs oder der
Universität (das ist z.B. in den USA üblich).

10) Jedes Mitglied der Kommission muß schriftlich eine Einschätzung der
drei KandidatInnen einreichen, die dann auf der Liste sind. Diese
Einschätzungen werden Teil der Akten.

11) Eine grundsätzliche Frage stellt sich mir bei der deutschen Praxis,
eine Liste nach der Arbeit der Kommission dann von den Instanzen der
Universität (Institut, Fakultät, Senat, Präsident/in) absegnen zu lassen,
bis der Bildungssenator/-minister die Berufung selbst ausspricht. Nach
meinem Kenntnisstand ist die Situation in vielen oder allen Bundesländern
rechtlich gesehen nach wie vor so, daß rein theoretisch der
Bildungsminister nach all diesen Vorgängen sogar eine Person rechtskräftig
berufen kann, die sich noch nicht einmal auf die Stelle beworben hat.
Sicherlich ist dies ein Extremfall, von dem ich kein einziges Beispiel
benennen könnte und der dann massivstem politischen und akademischen Druck
ausgesetzt wäre, aber die theoretische rechtliche Möglichkeit sollte
trotzdem einer Kritik unterzogen werden. Es ist auch problematisch, wenn
theoretisch die Entscheidung der Kommission, die nach langer, sorgfältiger
Arbeit in vielen Sitzungen und Diskussionen eine Liste verabschiedet hat,
grundsätzlich vom nächsthöheren Gremium innerhalb der Unviersität völlig
umgeworfen werden kann (inklusive einer Liste mit Personen, die bisher in
keiner Weise Teil des Verfahrens waren), obwohl der Regelfall sein dürfte,
daß etwa die Mitglieder des Fakultätsrates oder des Akademischen Senats die
Akten bestenfalls oberflächlich zur Kennnis genommen haben und weder bei
den Vorstellungen der KandidatInnen (Seminar, Vortrag, Gespräche etc.)
dabei waren noch aus demselben Fach kommen. Daher wäre meine Tendenz ein
Plädoyer dafür, daß die Kommission selbst eine endgültige Entscheidung
trifft, die danach in den höheren "Instanzen" nur noch aufgrund von
formalen Fehlern in Frage gestellt werden kann.

12) Grundsätzlich sollte geklärt werden, wieviel Lehrbelastung und
administrative Arbeit in diesen Stellen sinnvoll ist. Hier bitte ich um
Rückmeldung und Vorschläge - meine KommilitonInnen, die inzwischen
Juniorprofessuren innehaben, klagen teilweise sehr über die hohe
Lehrbelastung, die das Verfassen einer weiteren Forschungsschrift kaum
möglich machen.

13) Ich denke, eine einheitliche Regelung des Gehaltes macht schon deshalb
keinen Sinn, weil die finanzielle Ausstattung der verschiedenen Institute
in Deutschland sehr unterschiedlich ist, ebenso wie der Lehrbedarf
variiert. Sicherlich sollte es eine Obergrenze geben. Meines Wissens dürfen
derzeit ProfessorInnen maximal 5.000 Euro (netto?) verdienen, aber
vielleicht gibt es landesspezifische Unterschiede - bzw. eine Frage wäre
die Regelung von zusätzlichen Einkünften, wie dies etwa in den
Naturwissenschaften sehr üblich ist (Expertisen, Forschungskooperationen
mit der Privatwirtschaft etc.). Meine Tendenz wäre, jegliche
Zusatzeinkünfte über dieser Obergrenze strikt zu verbieten und nur
Spesenerstattungen zuzulassen (z.B. bei Vortragsreisen die Fahrtkosten).
Ich halte Bereicherungstendenzen, die massiven Einfluß auf universitäre
Forschungen haben können, für prinzipiell ethisch falsch - gerade hier
sollten PhilosophInnen, die sich zumindest ein wenig im Studium mit Ethik
beschäftigt haben, ihre argumentativen Fähigkeiten für best practice in die
öffentliche Debatte einbringen. Ich kann gerne ausführlich zur Frage des
"Wettbewerbs" Stellung nehmen.

14) Ich würde grundsätzlich dafür plädieren, daß es keine studentischen
Hilfskraftstellen mehr geben sollte, allerdings sehr wohl TutorInnen. Ich
finde es eine Form moderner Sklaverei bzw. des Monarchismus, wenn
Studierende dazu angehalten werden, für DozentInnen Photokopien
anzufertigen oder Bücher aus der Bibliothek zu holen. Ich sehe darin auch
keinen sinnvollen akademischen Lerneffekt. Begleitende Tutorien zu
Seminaren finde ich sinnvoll - fortgeschrittene Studierende sagen immer
wieder, daß sie durch das Leiten von Tutorien und der damit einhergehenden
Vorbereitungsarbeiten und Praxis im expliziten Formulieren ihrer Thesen und
Argumente sehr viel lernen. Lektorate etc. von wissenschaftlichen
Publikationen inklusive etwa die Erstellung aufwendiger Indices sollte an
externe LektorInnen mittels eines institutseigenen Budgets vergeben werden.

15) Alle Mittelbaustellen sollten durch solche Juniorprofessuren ersetzt
werden, die dann Freiheit in Lehre und Forschung ermöglichen - ohne die
strukturelle Abhängigkeit von einem/einer habilitierten ProfessorIn alten
Stils am personengebundenen Lehrstuhl. Es sollte keine Mittelbaustellen
mehr geben.

16) Parallel können diejenigen, die (noch) keine solche Juniorprofessur
haben, entsprechend Gelder bei der DFG, der EU etc. beantragen.

17) Nach den drei Jahren Probezeit, in denen grundsätzlich eine Entlassung
möglich ist, wird die Stelle automatisch zu einer Anstellung auf
Lebenszeit, sofern nicht eine eventuelle Kündigung am letzten Tag der drei
Jahre rechtskräftig mitgeteilt wird.

18) Im Falle einer Kündigung wäre es sinnvoll, daß die Person einen
befristeten und nicht-verlängerbaren Vertrag von einem Jahr Dauer erhält,
um Zeit für Bewerbungen an anderen Universitäten im In- und Ausland zu
haben. Die sonstigen Konditionen sollen dieselben sein. (In den USA ist
dies bei abgelehnter tenure üblich.)

19) Nachdem gegebenenfalls nach drei Jahren eine Stelle entfristet wird,
wäre eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur freiwillig oder durch die
normalen Bestimmungen des Arbeitsrechts etc. möglich. Ich weise darauf hin,
daß bei extremen Problemen nach einer Entfristung natürlich auch informelle
Möglichkeiten vorhanden sind, einer Person nahezulegen, an eine andere
Universität zu wechseln.

20) Bei der Auswahl der GutachterInnen wäre vielleicht eine Idee, daß die
KandidatInnen sechs Vorschläge machen können, von denen drei ausgesucht
werden (dies ist üblich in den USA). Vielleicht sollte noch überlegt
werden, ob die Kommission nach Deliberation ein viertes Gutachten nach
eigener Wahl einholen kann, das dann noch geographisch zu bestimmen wäre.


Nu - was denken die anderen?



Bestens


Naomi Anne Kubota
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