Lieber Herr Umstätter,
Zu Ihrer Frage: Die Altersuntergrenze „14 Jahre“ bei der Studie zur
Nichtnutzung von Bibliotheken hat mehrere Gründe:
1. Bei bevölkerungsrepräsentativen Befragungen werden in der Regel
Personen ab 14 Jahre befragt, da ab diesem Alter juristisch formuliert
die „Einsichtsfähigkeit“ vorausgesetzt werden kann. Das bedeutet für
die Befragung: die Einwilligung der Eltern für die Teilnahme an einer
solchen Befragung ist nicht mehr erforderlich. Das bedeutet generell:
Kinder werden offiziell zu Jugendlichen – und sind in diesem Alter
auch fähig, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese zu äußern.
Das zeigt sich ja auch daran, dass diese Altersgrenze in vielen
Bereichen gilt: ab 14 ist man strafmündig, ab 14 ist man
religionsmündig etc.
2. Dass diese Abgrenzung für die Befragung gewählt wurde, hat aber
zugleich auch seinen inhaltlichen Grund in der Forschungsfrage: es
ging in der Untersuchung ja vorrangig um die Nichtnutzer, um die
Frage, warum (Welche Gründe? Welche Erfahrungen? Welche Motivationen?)
entscheidet man sich gegen die Nutzung von Bibliotheken., wenn es
einem frei steht, sie zu nutzen. Kinder unter 14 Jahren entscheiden
dies meist nicht selbst, sondern sie werden zur Nutzung von
Bibliotheken angehalten (oder unter Umständen auch vom Elternhaus
davon abgehalten).
3. Ein dritter Grund sprach auch für diese Grenze: der gewünschte
Vergleich mit anderen Studien, zum Beispiel auch „Lesen 2008“, die in
aller Regel das Verhalten von Erwachsenen und Jugendlichen, ab 14
Jahre also, messen.
4. Und schließlich: die begrenzten Mittel, die vom Bundesbeauftragten
für Kultur und Medien beantragt werden konnten.
Mit besten Grüßen,
Barbara Schleihagen
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von
h0228kdm
Gesendet: Donnerstag, 25. April 2013 13:56
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Studie "Wissen wir tatsächlich mehr? -
Aussagewert - Artikel BuB
Dass lange Zeit nur etwa zehn Prozent der Gesellschaft
Bibliotheksbenutzer von ÖBs waren ist seit langem bekannt. Das hat man
durch den Kauf attraktiver, nicht immer hochwertiger Bücher (z.B.
Angelique) zu überwinden versucht (nicht nur in Deutschland, sondern
noch stärker in den Niederlanden oder England). Dabei sollte man
allerdings auch die Dynamik der Gesellschaft nicht übersehen. So
benutzen viele Kinder und Jugendliche eine Zeit lang ÖBs, um sich dann
in ihren Interessen (insbesondere in einem Studium) immer weiter zu
spezialisieren. Wenn es nun also 37% Bibliotheksbenutzer in der
deutschen Bevölkerung sein sollten, so wäre das eher erfreulich. Dass
dabei das Elternhaus von entscheidender Bedeutung ist, ist ebenso
bekannt, weshalb man in den USA eine Kampagne betrieb, bei der
Bibliothekare in die Entbindungsstationen gingen, um jungen Müttern
mit einem Leseausweis ihren Kindern den Gang in die Bibliothek nahe zu
legen. Hier erwächst also die Frage, warum man in der vorliegenden
Befragung erst bei 14 Jährigen die „standardisierte CATI Studie“
eingesetzt hat. Ist dieses, als „in der Umfrageforschung seit vielen
Jahren gängiges Verfahren“ bezeichnete Befragungsinstrument, bei
Kindern mit einer altersbedingten Bias behaftet?
Bei der Frage der „Non-User“ von Bibliotheken sollte man allerdings
auch
bedenken: „Hier werden also oft Klischees und Stimmungen, wie die
Bibliothek für gemütliche Mußestunden, für Freizeitvergnügen oder
Musikgenuss bis hin zum fröhlichen Kinderspielplatz mit Rutsche und
Kissen genutzt. Auch wenn eigentlich nichts dagegen einzuwenden wäre,
Bibliotheken auf diesem Wege attraktiv zu machen, so hat diese
Vorstellung bei Laien und Politikern ohne Zweifel schon so manche
Öffentliche Bibliothek die Existenz gekostet. Wenn Kommunen und Städte
sparen müssen, gehört Unterhaltung und Freizeitgestaltung nicht zu
ihrem Kernbereich, zumindest nicht nach Ansicht der Steuerzahler.“
(Lehrbuch des Bibliotheksmanagements S. 150; 2010) Dagegen ist seit
PISA die Leseförderung (insbesodere bei Kindern) gefragt, was den ÖBs
wieder erheblichen Auftrieb brachte.
Dass die Attraktivität von Bibliotheken mit ihrer Bestandsgröße linear
wächst ist bekannt ( S. 212), andererseits gilt: „Schon aus der
Halbwertszeit der Literatur ergibt sich, dass bei einer permanenten
Ausleihe von rund 15% des Bestandes, die sich zu 50% auf die letzten
fünf Jahre beziehen, der sogenannte Satisfaction level bei rund einem
Drittel liegt. Mit anderen Worten, jedes dritte Buch, dass ein
Benutzer in seiner ÖB erwartet, ist für ihn nicht greifbar. Es spricht
viel dafür, das dies etwa der Grenzwert ist, bei dessen Überschreitung
die Leser vom Besuch der Bibliothek Abstand nehmen, weil sich der Weg
dorthin nicht mehr lohnt. Anders gesagt, wenn jedes zweite Buch nicht
greifbar ist, reduziert sich die Zahl der Benutzer, bis die noch
verbleibenden Benutzer immerhin zwei von drei Büchern ausleihen
können.“ (S. 136) Dass die elektronisch verfügbaren Informationen
dabei dem gedruckten Buch in einer ÖB weitgehend ebenbürtig sind ist
inzwischen auch bekannt. Insofern kommen immer mehr
Bibliotheksbestände über das Internet zu uns nachhause.
Wenn Mevill Deweys Aussage: "The time is when a library is a school,
and the librarian is in the highest sense a teacher." (S. 29) noch
immer stimmt, sollten sich ÖBs unter den heutigen Möglichkeiten auch
des Fernstudiums darauf einstellen - vorausgesetzt die Verlage hindern
sie nicht weiter durch Enteignung daran.
MfG
Walther Umstätter
Am 2013-04-25 11:04, schrieb Barbara Schleihagen:
Sehr geehrter Herr Maass, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Die Auseinandersetzung um – auch kritische – Punkte bereichern die
Entwicklung von Verfahren. In diesem Sinne freuen wir uns über Impulse
und Kritik von außen. Die Autorinnen des Beitrags im BuB Heft 4/2013
haben allerdings den Dialog mit dem Deutschen Bibliotheksverband e.V.
(dbv) und der Stiftung Lesen nicht gesucht, so dass wir zu einer
Klärung der sachlichen Fragen unmittelbar nicht beitragen konnten.
Daher sollen auch Sie die Möglichkeit erhalten, die methodischen
Details der Untersuchung zu den Ursachen und Gründen für die
Nichtnutzung von Bibliotheken unvoreingenommen beurteilen zu können.
Wir haben die zentralen Punkte der Autorinnen aufgegriffen und die
relevante Sachinformation in einer Stellungnahme:
http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/projekte/Nichtnutzungsstudie_Stellungnahme_dbv_Stiftung_Lesen_Kritik.pdf
zusammengestellt.
Der überwiegende Teil der Sachinformation war bereits seit April 2012
auf den Webseiten von dbv und Stiftung Lesen zugänglich:
http://www.bibliotheksverband.de/dbv/projekte/nichtnutzungsstudie.html
Wir bedauern, dass die Autorinnen der HTKW gerade zu solchen Fragen
den wissenschaftlichen Diskurs nicht gesucht haben. So kann man sich
beispielsweise auch durchaus gewinnbringend fachlich darüber
auseinandersetzen, ob Tests auf statistische Repräsentativität von
Ergebnissen sinnvoll sind, wenn man mit einer Studie Teilgruppen
vergleichen, nicht aber Aussagen über die Gesamtbevölkerung machen
möchte. Der Deutsche Bibliotheksverband und die Stiftung Lesen stehen
den Autorinnen wie auch allen anderen interessierten Leserinnen und
Lesern für Fragen und einen sachlichen Dialog gern zur Verfügung.
Mit besten Grüßen,
Barbara Schleihagen
Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv)
Geschäftsführerin
Tel: 030/644 98 99-12
Fax:030/644 98 99-29
www.bibliotheksverband.de
www.treffpunkt-bibliothek.de
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag
von Philipp Maass
Gesendet: Donnerstag, 25. April 2013 08:10
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Studie "Wissen wir tatsächlich mehr? - Aussagewert
- Artikel BuB
Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Kollegen_Innen,
in der aktuellen Forum Bibliothek und Information (4/2013)
haben Frau Prof. Andrea Nikolaizig (HTWK Leipzig), Frau Prof. Helga
Tecklenburg (HTWK Leipzig) sowie die Studentinnen der HTWK Daniela
Hoffmann und Martina Werder den Artikel
-Wissen wir tatsächlich mehr?
Zum Aussagewert der Studie „Ursachen und Gründe für die Nichtnutzung
von Bibliotheken in Deutschland“-
veröffentlicht. In dem Artikel geht es um die Aussagewer einer vom
Deutschen Bibliotheksverband (DBV) herausgegebenen Studie. Mich hat
der Artikel in Unruhe gebracht, da ich die Argumentation des Verbandes
für Betriebsinterne - und externe Kommunikation nutze. Außerdem war
ich sehr enttäuscht. Es ergeben sich aus meiner Sicht viele Fragen
durch diesen Artikel. Fragen die wir stellen sollten. Deshalb habe ich
Frau Nikolaizig um Erlaubnis gebeten, den Artikel hier (Inetbib,
Forumoeb, ggf. Blogs) veröffentlichen zu dürfen, was Sie auch gerne
getan hat.
Mir geht es nicht darum, den DBV oder seine Arbeit zu diskreditieren.
Es geht mir
1. Um die Information für alle BuB-Nichtleser, dass die Studie nicht
brauchbar ist 2. Darum, zu verhindern dass sowas nocheinmal passiert
3. Um eine sachliche Diskussion
Sie finden den Artikels unter
http://tiny.cc/5j12vw
bzw.
https://docs.google.com/file/d/0B0rxsxQnH0QnQzZ2blM5UUdJTWc/edit?usp=sharing
Sie können den Artikel gerne in einem Blog posten oder weiter
verbreiten, wenn Sie Frau Nikolazig anfragen. -
nikolaiz@xxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Mit den besten Grüßen,
Philipp Maass
Philipp Maass B.A.
Hochschule für Kunsttherapie Nürtingen
Staatlich anerkannte Fachhochschule der Stiftung für Kunst und
Kunsttherapie Nürtingen University of Applied Sciences
-Bibliothek-
Sigmaringer Str. 15/2
D-72622 Nürtingen
Telefon +49 / 70 22 / 93 33 6-18
E-Mail: p.maass@xxxxxxxxxxxxxxxxx
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