Dass ein gedrucktes Buch "jedenfalls zum lesen und forschen immer besser als
eine elektronische Quelle" ist, da teile ich nun Ihre Meinung wiederum nicht
ganz. Sicher liest man einen gedruckten Text besser auf Papier als am
Bildschirm, aber gezielte Textpassagen, Worte oder Wiederholungen lassen sich
nun mal, insbesondere in umfangreichen Texten, in einer Textsuche rascher
ermitteln und analysieren. Ich weiß nicht ob Sie schon mal Textanalysesysteme
gesehen haben, aber die sind für Sprachwissenschaftler meist interessanter
als für Naturwissenschaftler, und auf Papier nicht möglich.
Der Hinweis auf die anderen Maßstäbe bei den Geisteswissenschaften ist mir
nicht neu. Am interessantesten fand ich immer den, dass die Halbwertszeit nur
bei den Naturwissenschaften 5 Jahre betrage. Wenn die bei den
Geisteswissenschaften wirklich höher läge, brauchten die aber weniger
Neuerwerbung in den Bibliotheken, weil sie ja immernoch die alten Bücher
lesen können. Das ist aber eindeutig nicht der Fall.
Ich finde es in der deutschen Sprache sehr viel richtiger, bei Natur-,
Sozial- und Geisteswissenschaft von Wissenschaft zu sprechen und nicht die
Unterscheidung von Science, Social Science und Arts and Humanities zu machen.
Insofern sind auch die Two Cultures von C.P. Snow eine eher
angloamerikanische, denn deutsche Problematik. Sicherlich sind die
Geisteswissenschaften noch immer stärker narrativ geprägt, als die
mathematisch dominierten Naturwisssenschaften, aber Biologie und auch
Bibliothekswissenschaft sind noch recht stark geisteswissenschaftlich (um
nicht zu sagen beschreibende Wissenschaften). Nicht zufällig ist die
Informations- und Bibliothekswissenschaft an der HU-Berlin in der
Geisteswissenschaft angesiedelt. Dass sie als Nationalökonomie des Geistes,
besser bei der Wirtschaftsinformatik beheimatet wäre, sei nur am Rande
erwähnt.
Dass beim Ankauf von privaten Bibliotheken auch wertvolle Bücher dabei sein
können, steht außer Frage, aber sie sind eher selten, und ich habe
Bibliotheksdirektoren kennen gelernt, die mir immer wieder die
Schwierigkeiten schilderten, Witwen zu erklären, dass die von ihrem Mann
zusammengekaufte Bibliothek leider weitaus weniger Wert ist, als sie hofften.
Ich war einst in einer neu gegründeten Bibliothek, wie die UB-Ulm, wo der
Aufkauf von Gelehrtenbibliotheken durchaus interessant war, um überhaupt
einen Grundstock aufzubauen. Das erschöpfte sich aber trotzdem bald, weil die
Dubletten rasch zunahmen. Sogar bei Schenkungen sind die anfallenden
Personalkosten oft höher als der Gewinn.
Das mit dem "Unsinn" und den "Metadaten" scheint mir übrigens ein Eigentor,
denn die Metadaten im Bibliothekswesen sind eine Errungenschaft von XML und
entstammen gerade der digitalen Welt. Erst danach wurden Metadaten ein
Modewort, das dann für etlichen Unsinn verwendet wurde.
Was den Strom anbelangt, so wäre es u.a. wirklich interessant zu überprüfen,
was in einer Bibliothek mehr Strom kostet, ein Buch unter einer
Deckenbeleuchtung, den zahlreichen Leselampen oder der Stromversorgung des
iPad. Ich weiß nicht, ob Sie schon mal gesehen haben welche Stromrechnungen
große Bibliotheken haben, und die kommen nicht alle vom Rechenzentrum. Ganz
abgesehen davon, dass Sie das vermutlich auch nicht gleich ausschalten
wollen, denn bei denen ist so eine "Datenbank" meist nur ein kleiner Teil im
Gesamtgeschehen.
MfG
Walther Umstätter
Am 24.11.2012 21:14, schrieb Mathis Christian Holzbach:
Ich teile Ihre Meinung nicht ganz! Das Verschwinden von FTD und
möglicherweise nun auch die Frankfurter Rundschau ist eher auf
Managementfehler zurückzuführen. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass
auch einige Datenbankprojekte nicht erfolgreich waren. Ein Buch ist
jedenfalls zum lesen und forschen immer besser als eine elektronische
Quelle (für die Geisteswissenschaft gesprochen). Auch kann ein
Digitalisat eines historischen Buches wohl kaum das Original ersetzen.
Und sie dürfen nicht den Fehler machen, nur die Natur- bzw.
Informationswissenschaft im Auge zu haben. Für die Geisteswissenschaft
gelten andere Maßstäbe. Es braucht da schon ein paar Jährchen bis so
Buch "verramscht" wird. Dass Buchpreise nichts mit dem Inhalt zu tun
haben, stimmt auffallend;-)! Auch gehöre ich zu denen, die
Bibliotheksbestände geerbt haben. Die Bücher sind nicht wertlos. Denn
da sind ein paar Originaldrucke dabei, die schon einiges auf dem Markt
kosten würden. Ferner gibt es Bücher, die nur schwerlich in
Bibliotheksverzeichnis gefunden werden können und schon gar nicht in
einer Datenbank. Datenbanken erfüllen ihren Zweck zur ersten
Orientierung. Arbeiten kann man nur mit dem Buch oder mit dem
Ausdruck! Oder ist es der Sinn der vermeintlichen neuen Zeit, dass man
nun alle Bücher wieder ausdruckt und dann selbst zusammenheftet, dann
im schlimmsten Fall nicht weiß, woher man dies hat (z.B. wenn man
vergessen hat, die Metadaten aufzuschreiben). Das ist doch Unsinn. Und
außerdem wissen Sie wie viel Strom so eine Datenbank schluckt? Wird
der Strom nicht teurer? ;-)
Mathis Holzbach
Am 24.11.2012 um 20:39 schrieb h0228kdm:
Ich habe eben mal kurz nachgeschaut, bei eBay kostet die Brockhaus
Enzyklopädie, komplettes Lexikon 17. Auflage (1966-1981) mit 21 Bänden und
Goldschnitt gerade 180 €. An anderer Stelle 99 € (wobei die Selbstabholung
fast teurer sein könnte ;-). Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, wie
viele Menschen sich noch die Letzten Auflagen geleistet haben, mit der
Hoffnung, dass es jeweils die letzte gedruckte Auflage ist, die dann im
Laufe der Zeit im Wert steigen wird. Bis gedruckte Bücher so alt werden,
dass die meisten Exemplare verloren gegangen sind und sie wieder im Preis
steigen, dauert es recht lange. Der Wertverlust von Publikationen dagegen
ist recht rasch und fördert ihr Verschwinden. Das sieht man schon daran,
dass etliche Verlage damit einverstanden sind, ihre Produkte nach einem
halben Jahr zu Open Access zu machen. Auch bei Paperbacks muss das Geld im
ersten Halbjahr verdient werden, danach wird meist verramscht oder der Rest
mit dem Caterpillar zusammengeschoben und entsorgt. Verlage denken da mit
sehr spitzem Stift, wenn mir diese Metapher hier erlaubt ist.
Das etliche kleine Spezialbibliotheken in nächster Zeit dicht machen, wenn
immer mehr Zeitungen, Zeitschriften und gedruckte Bücher verschwinden
(Frankfurter Rundschau, Financial Times Deutschland, ...) kann hier
niemanden überraschen, wenn wir seit über einem Jahrzehnt über die Digitale
Bibliothek diskutieren. Im Prinzip begann es doch schon vor über dreißig
Jahren, dass die One Person Libraries immer mehr zu Online
Literaturdokumentationen mutierten, dafür gab es speziell die Ausbildung
der Dokumentare.
Die ZDF Bibliothek dürfte nur sehr begrenzt mit "Stralsund" vergleichbar
sein, auch wenn es natürlich interessant ist davon zu hören, und zu
verfolgen, wie es da weiter geht. Insbesondere, wenn die Druckhäuser nun in
immer größere finnzielle Schwierigkeiten kommen. Die Kampagnen der
BILD-Zeitung, bis hin zum Sturz eines Bundespräsidenten waren ja erst der
Anfang der damit verbudenen Charakterlosigkeit. Beim Existenzverlust werden
Menschen verständlicherweise sehr erfinderisch. Darum müssen auch
Bibliothekare ihre Existenz immer mehr in der Digitalen Bibliothek und der
Nationalökonomie des Geistes suchen. Auch wenn einige Menschen glauben,
dass ihr Weltbild zerstört wird, wenn sie kein Zeitungspapier, sondern
einen iPad für die Tagesneuheiten brauchen.
Wie wertlos gerade gedruckte Bücher schon nach kurzer Zeit sind, wissen
insbesondere Bibliothekare, die z.B. von Witwen die Bibliothek des
verstorbenen Ehemanns angeboten bekommen, außerdem kann man ja in den
Firmen nachfragen, die gebrauchte Bücher aufkaufen. So bekäme ich für
"Zwischen Informationsflut und Wissenswachstum: Bibliotheken als Bildungs-
und Machtfaktor der modernen Gesellschaft" z.Z. noch 1,58€. Insofern muss
man den Wert von Bibliotheken sehr viel differenzierter betrachten.
Buchpreise haben mit ihrem Inhalt bekanntlich nichts zu tun ;-)
MfG
Walther Umstätter
P.S. Wie man sieht habe ich meine Unterschrift diesmal nicht vergessen -
entschuldigung.
Am 24.11.2012 19:09, schrieb Mathis Christian Holzbach:
ZDF Bibliothek macht Bibliothek dicht und wirft Bücher weg!
"Stralsund" geht also weiter!
http://www.rhein-zeitung.de/regionales_artikel,-Nachschlagewerke-im-Altpapier-ZDF-macht-seine-Bibliothek-dicht-_arid,494339.html
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