BarCamp ist auf dem besten Wege ein Modewort zu werden, was bedeutet, dass
unter diesem Namen so manche verballhornte Idee ihren Platz findet.
Das erinnert mich sehr stark an die Delphistudien, wie sie am Beginn der
Big Science während des zweiten Weltkriegs in den USA aufkamen, und dann
später in einer Vielzahl von Verballhornungen mit (meist) sehr mäßigem
Erfolg oder zu massiven wissenschaftlichen Irrwegen führten. Um so
positiver aufgefallen ist darum die Delphi Studie von F.W. Lancaster et
al. in der dieser schon 1980 die Entwicklung zu dem, was wir heute
Digitale Bibliothek nennen, vorzeichnete. (Lancaster, F.W.; Drasgow, L.
and Marks, E.: The Impact of a Paperless Society on the Research Library
of the Future. Final Report to the National Science Foundation. Urbana,
Il. University of Illinois, Graduate School of Library Science 1980)
Schon die Benennung Unkonferenz dürfte eher provokativ und damit abwegig
sein, denn über ein Netz zu konferieren, wird nicht weniger kommunikativ,
als es die sog. Invisible Colleges schon immer waren. Sie kommunizierten
nur Jahrhunderte lang sehr viel langsamer auf Papier und hin und wieder
auf Tagungen.
Es ist sicher von Vorteil, dass man heute Aussagen eines Vortragenden
schon während des Vortrags ad-hoc online überprüfen kann. Ich verstehe
auch, dass sich Konferenzteilnehmer immer öfter so vorkommen, als würden
die Vortragenden nicht viel mehr als Reklame für sich, ihre Einrichtungen,
ihre Produkte oder Projekte machen, und darum das Format von BarCamps
bevorzugen. Gegen so manche solcher Reklamefeldzüge gesponsorter
Diskussionen zu protestieren ist höchste Zeit. Dass manche
BarCamp-Teilnehmer oder –Sponsoren aber oft auch nur ein Forum suchen, um
sich zu profilieren, sollte darum nicht völlig übersehen werden.
Der eigentliche Sinn von angekündigten Vorträgen auf Konferenzen war und
sollte sein, dass diejenigen, die sich auf ein bestimmtes Problem
besonders gut vorbereitet haben, darüber berichten und sich damit auch
kritischen Fragen dazu stellen können.
Es ist sicher kein Fortschritt, wenn Menschen sich zu Konferenzen treffen,
auf die sie sich gar nicht vorbereiten können, weil sie ja noch nicht
wissen welche Themen zur Debatte stehen werden. Auch wenn es in Fernsehen
und Rundfunk modern geworden ist, dass Menschen über Themen sprechen, von
denen sie oft wenig verstehen, weil das sehr erheiternd sein kann (meist
ist es nur peinlich, weil Menschen gezwungen werden ihre Unkenntnis zu
Markte zu tragen), so darf das nicht zum Maßstab von wissenschaftlichen
Diskussionen werden. Auch Arbeitgeber stehen vor der Frage, welche ihrer
Spezialisten sie auf eine Konferenz schicken, wenn noch gar nicht klar
ist, für welche Spezialisten es wichtig wird. Bei Studierenden ist das
eher unerheblich, wenn sie sich möglichst breit fortbilden wollen.
Nichts gegen BarCamps, aber sie sollten nur dort eingesetzt werden, wo sie
ihre stärken haben. Ob sie ein geeignetes Newcomer Forum sind, bei dem
sich insbesondere Anfänger zu Wort melden können, ist sehr fragwürdig.
Unwissenheit im sog. Schwarm wird nicht zu Wissen. „Schwarmwissen“ ist
eine sehr eigene Form von selbstorganisierendem Spezialwissen. Auch das
ist so ein Modewort, wo die meisten nicht wissen, wovon sie sprechen.
Sicher waren BarCamps ursprünglich nicht für Anfänger gedacht. Es sei hier
nur an „foobar“ [f(ucked) u(p) b(eyond) a(ll) r(epair)] erinnert, das eine
eigene Spezies von Programmierern ansprach ;-)
Wenn sich Programmierspezialisten zusammen tun, um gemeinsam ein Programm
zu erzeugen, ist es naheliegend, dass sie nicht auch noch dafür bezahlen.
Darüber sollten auch Wissenschaftler und Bibliothekare wieder neu
nachdenken, warum sie Tagungsgebühren zahlen, um ihr Know How mit Kollegen
auszutauschen. Interessanterweise bekommen Studierende dabei Ermäßigungen,
obwohl sie meist weniger Erfahrung beisteuern können. Das hat mit dem viel
gepriesenen "Information kostet Geld, und muss entsprechend bezahlt
werden" wenig zu tun. Natürlich hat das soziale Aspekte, aber wir sollten
nicht übersehn wie unlogisch unser Informationsmarktdenken heute ist.
Es ist gleichgültig ob man die Bibliothekartage, die BarCamps oder beide
fortntwickelt, entscheidend ist, das eigentliche Ziel, den Wissensgewinn
aller Teilnehmer zur "Library of the Future" im Auge zu behalten, und dass
das Wissen der Welt allen kostenlos zur Verfügung stehen muss, wenn wir
diese Welt nicht ruinieren wollen.
MfG
W. Umstätter
Nur kurz:
Sowohl der englische wikipedia-Eintrag wie auch der deutsche sind m.E.
keine gute / valide Quelle (ich schätze wikipedia sehr). Im englischen ist
die deutsche Aussage bereits etwas abgeschwächt mit 'typically"....
Ansonsten ist der kostenfreie Zugang (viele Barcamps erheben inzwischen
Unkostenbeiträge) lediglich eines von mehreren Wesensmerkmalen eines
'klassischen' Barcamps - m.E. wesentlich relevanter ist der Aspekt der
Selbstorganisation durch die TN und die Rolle der TN als 'Aktive'....
Egal - schauen wir einfach, was draus wird ....
Tom Becker
===
Professor für Medienmanagement und Medienvermittlung in Bibliotheken (FH)
FH Köln
Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaften
Raum B5 431.A
Hausanschrift:
Claudiusstr. 1
D 50678 Köln
+49 221 8275 3495
Postanschrift:
Gustav-Heinemann-Ufer 54
D 50968 Köln
Am 10.05.2012 um 14:24 schrieb Martin de la Iglesia:
Lieber Tom Becker,
danke für Ihre Antwort. Zunächst einmal: Ich habe nichts gegen die
angekündigte Veranstaltung und wünsche Ihnen viel Erfolg dabei. Aber
BarCamps haben nunmal eine wesentliche Eigenschaft: "Die Teilnahme ist
kostenlos" (http://de.wikipedia.org/wiki/Barcamp). Dadurch, dass man
nicht am BIBbarCamp teilnehmen kann, ohne zugleich die gesalzene
Bibliothekartagsteilnahmegebühr entrichten zu müssen, ist es eben keine
wirklich offene Veranstaltung mehr und sollte daher nicht "BarCamp"
genannt werden. Wenn in der Ankündigung Formulierungen wie "Ähnlich wie
bei einem BarCamp..." oder "In Anlehnung an die Tagungsform BarCamp..."
verwendet worden wären, wäre das ehrlicher gewesen.
Nichts für Ungut,
--
Martin de la Iglesia
Goettingen State and University Library
Metadata and Data Conversion
Papendiek 14
37073 Göttingen
Germany
phone: +49 551 39 14070
room: 1.411
martin.de-la-iglesia@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
http://www.sub.uni-goettingen.de/
Am 10.05.2012 14:06, schrieb Tom Becker:
Lieber Martin de la Iglesia
ich möchte als Hauptverantwortlicher seitens des BIB Ihre Wortmeldung
gerne kommentieren:
====
angesichts der Tatsache, dass die Teilnahme am Bibliothekartag bis zu
222 Euro kostet - halten Sie da die Bezeichnungen "BarCamp" und
"Unkonferenz" nicht selbst für irreführend?
===
Kurz: nein, überhaupt nicht!
Begründung:
Im Sinne von Konnektivismus, kollaborativem Lehren / Lernen und
diversen OpenSpace- / OpenLearning-Konzepten stellen BarCamps und
Unkonferenzen nur eine Erscheinungsform da, die in und durch der ihr
innewohnenden Innovativität evolvieren wird - das bibac12 ist eine
mögliche Form eines KVPs oder einer Modifizierung, die sich pragmatisch
an Rahmenbedingungen einer nunmehr jahrhundert-alten Veranstaltungsform
- des Bibliothekartages - anpasst.
Für Studierende kostet die Teilnahme 30 €, und da geht es dann nicht
nur um 2 halbe Tage sondern um die Teilnahme an einem hochkarätigen
Symposium. Nichts desto trotz - in der Tat zahlen 222 Euro Kolleginnen
und Kollegen, die nicht Mitglied der Personalverbände BIB und VDB sind
(darüber hinaus gibt Ermäßigungen u.a. für Studierenden, Azubis,
arbeitslose Kolleginnen und Kollegen) - und auch diese zahlen ja nicht
'nur' für das Camp, sondern für die Gesamttagung.
Der Idealtyp der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen
Unkonferenz ist sicher das BIBcamp - da haben ja auch alle TN einen
kostenlosen Zugang. Das ist nicht oder nur in Ansätzen vergleichbar mit
dem, was #bibac12 in seiner (sicher noch zu optimierenden Pilotphase)
anstrebt: Wir wollen interessierten KollegInnen eine eigenständig zu
bespielende Plattform anbieten. Wir wollen mit dem Barcamp innerhalb
(!) einer zugegebenermaßen sehr
"durchorganisierten" Veranstaltung wie dem Deutschen Bibliothekartag
ausprobieren, wie sich dort offene Formate integrieren lassen. Eine
Idee übrigens , die aus dem letzten BIBcamp heraus kam und von vielen
ProtagonistInnen gut angenommen wird.
Wieso darf ein Barcamp nichts kosten? Wieso sollte sich ein Idealtyp
nicht auch verändern dürfen?
Themen, die im Rahmen des BIbcamps in Köln schon äusserst kontrovers
diskutiert worden sind - als pragmatischer Berufsverband nehmen wir uns
die Freiheit der gelebten und lebendigen Improvisation heraus. Wir
wissen bisher weder, wieviele Sessions in einem der Blöcke parallel
laufen und laufen können, noch wer oder wieviele spontan / en passent
mal in Hamburg in Saal F reinschauen.
Mut zum Experiment, Mut zur Veränderung - Lust auf Neues und Anderes.
Das ist unsere Motivation.....
Idealtypische Modelle überlassen wir in diesem Kontext (gerne!) anderen
*g*
Ansonsten: Sie sind herzlich eingeladen, diese Punkte in die
Abschlussdiskussion des #bibacs am Freitag mittag einzubringen - und
duerfen ansonsten an dem HAW-Camp partizipieren, das Montag stattfindet
- allerdings kostet auch das 5€.....
Tom Becker
BIB-Budesvorstand
Michael Reisser
BIB-Geschäftsführer
p.s. in diesem Zusammenhang sicher interessant:
http://www.uebertext.org/2012/03/beitrag-zur-zukunft-der-bibcamps.html
---
Berufsverband Information Bibliothek e.V. (BIB)
Zeitschrift BuB - Forum Bibliothek und Information
Postfach 13 24, D-72703 Reutlingen
Gartenstraße 18, D-72764 Reutlingen
Fon +49 (0) 71 21/34 91-13
Fax +49 (0) 71 21/30 04 33
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