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Re: [InetBib] Hallo? Jemand zu Hause?



Lieber Herr Prenz,
liebe Liste,

es geht nicht nur darum, in der "Nähe" eines physischen Exemplars
eines Journals zu sein. Ein paar Beispiele.

a) Sie wollen herausfinden, wie oft in Artikeln der zehn
bibliothekarischen Top-Journals nach Grazia Colonia in den letzten
zehn Jahren der Begriff "Open Access" verwendet wurde, und wie oft die
Begriffe "Bibliometrie" oder "Szientometrie", "Benutzerforschung",
"Digitalisierung" und "verwaiste Werke" verwendet worden sind, jeweils
in Korrelation mit "Open Access", und das alles im zeitlichen Verlauf.

b) Sie wollen einfach mal sehen, welche Artikel auf IWP, BFuP und ZfBB
in den letzten zwölf Monaten am häufigsten gelesen worden sind.

c) Sie wollen einen längeren Absatz aus einem zwei Monate alten
IWP-Artikel in einem Blogposting wiedergeben, weil darin ein
Sachverhalt, den sie in einem öffentlichen Workshop behandeln, sehr
gut erklärt wird. D.h., sie machen selbstverständlich eine
Quellenangabe, aber lassen die Passage unkommentiert für sich sprechen
(also kein Zitat im Sinne der Rechtssprechung), und sie wenden sich an
ein prinzipiell unbeschränktes Publikum (also kein Fall für
Schrankenregelung im Urheberrecht).

d) Sie finden ein veröffentlichtes Thesenpapier eines Kollegen und
schlagen ihm vor, das Thesenpapier in einer geringfügig überarbeiteten
Fassung (eine These umgeschrieben, eine weitere hinzugefügt), online
erneut zu veröffentlichen.

e) Sie haben vor kurzem ihr Studium abgeschlossen, arbeiten nun für
ein Unternehmen und müssen bis morgen einen Förderantrag zuende
geschrieben haben. Sie erinnern sich an einen Aufsatz in einem
Online-Journal aus Ihrer Studienzeit, der wichtige Informationen über
das Thema enthält. Ihre Unibibliothek hat das Journal nicht in
gedruckter Form, vielleicht gibt es das Journal nicht mal gedruckt.
Ihr Benutzerkonto ist herabgestuft von "Mitglied der Bibliothek" auf
"Lokalbenutzer".

f) Sie führen eine angeregte Diskussion in einem offenen Online-Forum
(z.B. einer Mailingliste wie Inetbib). Gerade eben erst ist in einem
Online-Journal ein Artikel erschienen, der ihr Argument wunderbar mit
aktuellen Zahlen aus einer empirischen Untersuchung unterstützt. Sie
möchten auf den Artikel verlinken, damit alle Diskussionsteilnehmer
(worunter mehrere keine Mitgliedschaft in einer Hochschule mit gut
ausgestatteter Bibliothek haben) sich rasch ein Bild von diesen Zahlen
machen, und die Diskussion vielleicht sogar noch am gleichen Abend
fortsetzen können.

Diese Liste ließe sich fortsetzen. Übrigens ist keines der genannten
Beispiele "erfunden", in Sinne von: Das alles ist mir so oder ähnlich
selbst passiert, oder ich habe als Bibliothekar erlebt, wie es meinen
BenutzerInnen passiert ist.

Es ist ganz einfach: Bei jedem der oben skizzierten Nutzungs-Szenarien
sind sie ohne Open Access (oder bewußt in Kauf genommene
Urheberrechtsverletzungen) aufgeschmissen.

Zu jedem dieser Szenarien könnten Sie nun sagen: So etwas passiert mir
nicht, oder nur in seltenen Ausnahmefällen.

Nur wenn Sie Wissenschaftler in einer ganz bestimmten Disziplin sind,
dann gilt dieser relativierende Einwand allerdings nie. Nämlich für
die Informationswissenschaft.

InformationswissenschaftlerInnen, wenn dieser Begriff überhaupt noch
eine Bedeutung haben soll, müßten Experten dafür sein, wie (unter
anderem) Wissenschaftler mit Informationen umgehen. Sie müßten eine
feine Nase dafür haben, wie genau im Laufe weniger Jahre neue
Werkzeuge und Srategien des Arbeitens mit Informationen entstanden
sind. (Stichwort "Internet".) Sie müßten ein Gespür dafür haben, daß
wir erst am Anfang einer umfassenden Medienrevolution stehen. Sie
müßten die Neugier und den Mut haben, neue Wege zu beschreiten, Dinge
auszuprobieren, um auf Grundlage dieser Erfahrungen Dritten ebensolche
Wege aufzeigen zu können.

Momentan merke ich von alledem wenig in DE, von positiven Ausnahmen
wie http://www.dgd.de/CfP2012DGI-Konferenz.aspx einmal abgesehen. Was
"Open Science" ist, also ein Konzept des netzoffenen
wissenschaftlichen Arbeitens, das sogar noch über bloßen "Open Access"
für Endergebnisse hinausgeht, läßt sich Zeit Online von einem
Mathematiker (!), Christian Spannagel, erklären
(http://www.zeit.de/wissen/2012-05/open-science - übrigens
lesenswert).

Dieser Dornröschenschlaf der Informationswissenschaft in DE ist direkt
ablesbar an der Selbstverständlichkeit, mit der unterstellt wird, das
Renommee des Journals der eigenen Disziplin bemesse sich am
Markennamen des Verlags. Dazu hat Herr Hilf schon das nötige gesagt.

Viele Grüße,
Lambert Heller

P.S. Ja, ich heiße immer noch Heller, nicht Heler. Mein Fehler. :)



Am 6. Mai 2012 11:57 schrieb Dietrich Pannier <dietrich.pannier@xxxxxx>:
Sehr geehrter Herr Prof. Hilf,

die eindrucksvolle Signatur Ihrer Antwort an Herrn Wolff gibt keinen
Anlass auf einen Pensionär zu schließen.

Ihre Einlassung gegenüber Herrn Prenz erinnert mich aber an einen
Vorgang in meinem aktiven Bibliotheksleben. Ein pensionierter
Senatsvorsitzender, der auch als Gutachter und Schiedsrichter tätig war,
regte in einem Anruf bei mir dringend an, ich möge doch ein zweites
Exemplar eines Handbuchs zum Schiedswesen erwerben, Preis ca. 150 DM.
Das erste Ex. sei gerade ausgeliehen, weshalb ihm der Zugang unmöglich
sei. Ich bin dieser Anregung aus zwei Gründen nicht nachgekommen. Der
eine Grund waren die immer klammen Haushaltsmittel, der andere Grund
wurde von der Überlegung geleitet, dass mir nicht unzumutbar erschien,
dass der Schiedsrichter in Erwartung eines Schiedshonorars von
vermutlich nicht unter 7.500 DM sein "Handwerksmittel" einmal selbst
erwerben könne (von der weiteren Amortisation durch weitere
Schiedstätigkeit und steuerliche Geltendmachung ganz abgesehen).
Lag ich damals schon so falsch oder was hat sich geändert?

Mit freundlichem Gruß

Dietrich Pannier


Am 05.05.2012 22:30, schrieb Eberhard R. Hilf:

Am 05.05.2012 22:30, schrieb Eberhard R. Hilf:
Lieber Herr Prenz,
Sie verkennen, dass ich kein Hochschullehrer in einer Universitaet mehr
bin, sondern als Wissenschaftler ueberzeugter Privatmann und Pensionaer,
sowie als wiss. Gutachter fleissig taetig.  Alle Nicht-OA-Zeitschriften
sind mir daher nicht zugaenglich.

Gerade als Gutachter muss ich, zur richtigen Einordnung und Ueberpruefung
eine gewisse Anzahl von Arbeiten einsehen, zu denen ich aber vom
entsprechenden Verlag keinen Zugriff bekomme. Ziemlich absurd.

Und nun will sich auch noch die GI mit dem IWP vom wissenschaftlichen
Markt, auf dem jeder die Qualitaet des IWP pruefen kann, verabschieden,
eindeutig eine Verschlechterung der wissenschaftlichen Qualitaet, zu der
der Mut gehoert, jedem offen zu zeigen, was man gemacht hat.
Eine Fachgesellschaft, und insonderheit die GI, sollte offen sein und
sich offen legen.

Mit freundlichen Gruessen Eberhard Hilf

Die Ironie will es uebrigens, dass der Verlag mir
nicht einmal gestattet, meine eigenen Publikationen
bei ihm kostenfrei einzusehen...

.....................>  Lieber Herr Hilf,

helfen Sie mir auf die Sprünge: Der Katalog der UB Oldenburg gibt folgende 
Auskunft:

Information - Wissenschaft&  Praxis : IWP / gegr. von H.-K. Soeken. Hrsg. 
von der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und 
Informationspraxis e.V (DGI). - Berlin ; Boston, Mass. : de Gruyter, 2002-
Zusatz anfangs: Nfd. - 53.2002 -. - Ersch. 7x jährl. - Online-Ausg.: 
Information - Wissenschaft und Praxis. - In 53.2002,4 CD-ROM-Update von: 
Informations-System Medienpädagogik. - Beil.: Gesellschaft für Technische 
Kommunikation: Programm. - Beil.: Gesellschaft für Technische 
Kommunikation: Newsletter zur tekom-Jahrestagung. - Beil.: Deutsche 
Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis: Programm. 
- Vorg.: Nfd. -
ISSN 1434-4653 - 1434-4653
Schlagwörter:
Information und Dokumentation / Zeitschrift ; Informations- und 
Dokumentationswissenschaft / Zeitschrift ; Informations- und 
Dokumentationswissenschaft / Wissensmanagement / Zeitschrift
Systemstelle(n):
bub 850 ja


53.2002 -
BIS/Standort : Z bub 850 ja ZA 1780 nicht ausleihbar
Neueste Hefte/Bände
2012 63 1 05.03.12
2011 62 8 02.01.12
2011 62 6/7 17.10.11
2011 62 5 29.08.11

Warum können Sie eine Nicht-OA-Zeitschrift nicht mehr lesen? Der weite Weg?

Herzliche Grüße

Markus Prenz


Am 05.05.12 12:01 schrieb "Eberhard R. Hilf" unter<hilf@xxxxxxxxxxxxxxxx>:

Lieber Herr Kollege Wolff,
zu Ihrer Meinung:
Die Repositionierung von IWP ist kein "sich dem Verlagsmoloch
an den Hals werfen", kein OA verachtender Schritt, sondern ein
nachvollziehbarer Versuch, die Zeitschrift stärker wissenschaftlich zu
positionieren, was dem Fach gut tut. Dass dies in der
informationswissenschaftlichen Community nicht unumstritten ist, ist
nachvollziehbar.

genau das ist der Kern der Diskussion: Sie muessten begruenden, warum die
Einfuehrung einer Zugangsbeschraenkung, die Einschraenkung des
Leserkreises (ich z.B. koennte eine Nicht-OA IWP dann nicht mehr
lesen) eine 'staerkere wissenschaftliche Positionierung' sein soll. Die
wird auch nicht durch die Wahl eines Verlages gewaehrleistet, sondern
durch die Wahl des Konzeptes, des Chief Editors und der Gutachter. Alle
Grossverlage haben nun einmal gute und schlechte Zeitschriften.

Mit freundlichen Gruessen Ihr Eberhard Hilf

.................................................
Eberhard R. Hilf, Dr. Prof.
Geschaeftsfuehrer (CEO)
Institute for Science Networking Oldenburg GmbH
an der Carl von Ossietzky Universitaet
Ammerlaender Heerstr.121, D-26129 Oldenburg
ISN-Home: http://www.isn-oldenburg.de/
Homepage: http://isn-oldenburg.de/~hilf
E-Mail  : hilf@xxxxxxxxxxxxxxxx
Tel     : +49-441-798-2884
Fax     : +49-441-798-5851
ISN ist unter HRB5017 im Handelsregister beim
Amtsgericht Oldenburg (Oldb.) eingetragen.
USt-ID  : DE220045733
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