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Re: [InetBib] Literatur zur "Bibliothekenkrise"
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
da kann ich beiden Vorrednern zunächst nur beipflichten: Die
Bibliotheksfläche, die weltweit - besonders auch in Europa und Asien -
seit dem Beginn digitaler Dienstleistungen durch Bibliotheken gebaut
wurde, dürfte bei weitem alles übertreffen, was in den Jahrhunderten
vorher entstanden ist. Leider liegt hier keine globale Bestandsaufnahme
vor, sie wäre aber lohnend.
Auch aus meiner Sicht ist das, was viele als 'Bibliothekenkrise'
erleben, vor allem Symptom einer generellen Krise bzw. Infragestellung
öffentlicher Versorgung: Was nicht mit mehr oder weniger Erfolg
privatisiert wurde, wird existentiell hinterfragt. Die Digitalisierung
ist nur das Schlagwort unter dem man diese Schließungen dan verkaufen
kann. Ich finde andererseits die vielen Beispiele, in denen sich Bürger
massiv für ihre von Kürzungen bedrohten Bibliotheken einsetzen (und das
weltweit) sehr ermutigend. Wer glaubt, Bibliotheken hätten keine Zukunft
sollte sich nur mal an einem beliebigen Nachmittag in eine gute,
räumlich ansprechende Stadtbücherei begeben und sich das Publikum
ansehen; die Zukunft der Bibliotheken sitzt schon dort und macht
Hausaufgaben oder spielt Games.
Vor dem Hintergrund dessen, was Herr Umstätter dazu schreibt sollte den
Politikern in Europa und den USA vielleicht zu denken geben, dass die
asiatischen Länder, die ökonomisch Anschluss suchen oder 'Überholen ohne
Einzuholen' unabhängig von ihrem politischen System massiv auch in
Bibliotheken investieren, während im Westen diese Investitionen
zurückgefahren werden. Dies könnte sich dann von einem Symptom der
gegenwärtigen Krise zu einer der Ursachen für die nächste entwickeln.
Aber wir müssen uns natürlich auch die Frage stellen, wie wir eigentlich
mit unseren 'Grenzen des Wachstums' umgehen. Während die
Informationsmenge weiter wächst, werden andere Ressourcen wie Energie
und Rohstoffe teurer und auch rarer. Das, was man im besten Sinne unter
Nachhaltigkeit versteht, sollte auch im Bibliothekswesen ernster
genommen werden. In diesem Zusammenhang wird auch zu oft von der
ökonomischen und zu wenig von der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung von
Bibliotheken gesprochen.
Viele Grüße,
Olaf Eigenbrodt
Am 14.12.2011 08:11, schrieb Rohde Bernd Martin:
Liebe Kollegen/innen,
Walther Umstätter schrieb:
All das heißt nicht, dass die Bibliotheken nicht auch heute um ihre
Existenz kämpfen müssen, es ist aber gefährlich ein solches Wachstum in
ein Bibliotheksuntergangsszenarium umzumünzen.
Sicher kein Untergangsszenarium, aber eben auch ein Beispiel dafür, wie mit
den Auswirkungen der finanziellen Haushaltslagen der öffentlichen Hand
Bibliotheken zu einem Spielball werden können:
http://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/kantone/luzern/Kantonsrat-legt-ZHB-Umbau-auf-Eis;art92,140219
Die Geschichte sehr gut aufgearbeitet von den Luzerner Kollegen/innen auf:
http://www.zhbluzern.ch/index.php?id=1589
Erst wird ein von Seiten der Verantwortlichen in der Bibliothek detaillierter
langjährig vorbereiteter Plan für die Sanierung über den Haufen geworfen -
indem man auf politischer Seite kurzfristig aufgrund der Haushaltslage kein
Geld zur Verfügung stellt und lieber die diesbezüglichen Ausgaben verschieben
möchte.
Dann kommt ein Parlamentarier mit einem Vorstoss für einen kompletten Neubau
(nebenbei ist jener Politiker interessanterweise übrigens selbst aus der
Baubranche), was nicht nur eine Änderung der Planungen bewirkt (das alleine
schon ärgerlich genug), sondern alle bisherige Planung, die ja auf eine
Sanierung abzielt, de facto zu für-die-Katz macht.
Grundsätzlich gönne ich den Kollegen/innen in Luzern einen Neubau. Aber die
Art und Weise, wie dieser jetzt dann möglicherweise zustandekommt, ist doch
sehr fragwürdig. Das kostet dort im Haus Nerven und Geld, lenkt unnötig von
den Kernaufgaben ab und führt möglicherweise zur Beerdigung von anderen,
inhaltlich bibliothekarisch-fachlichen Projekten, da die vorhandenen
Ressourcen umgelagert werden müssen. Und die Sache mit dem angedachten
privaten Investor...
Nein, um die Existenz muss in diesem Fall nicht gebangt werden, aber gesundes
Wachstum sieht doch auch irgendwie anders aus?
Ob der Fall in Luzern oder der Fall der Mainzer Stadtbibliothek - oder
letztes Jahr Augsburg (und und und): Wenn Bibliotheken aufgrund
haushalttechnischer (Um)Planung durch die Auswirkungen der Finanzwelt so zum
Spielball werden, dann ist Krise womöglich doch kein unpassendes Wort.
Mit freundlichen Grüssen
Bernd Martin Rohde
P.S. Zudem bin ich überzeugt: Die Zahl der neu errichteten und sanierten
Gebäude für Bibliotheken und Archive wird weiterhin im selben Zeitraum
deutlich durch die Zahl der neuerrichteten und sanierten Bankgebäude
übertroffen.
_________________________________________________________
Bernd Martin Rohde, Dipl.-Bibl. (FH), UP in Rare Book Librarianship
Obergütschstrasse 9, CH 6003 Luzern
Fasanenweg 2, D 88284 Wolpertswende
mailto:b.m.rohde@xxxxxxx
http://berndmartinrohde.gmxhome.de
dienstl:
Universitätsbibliothek Bern, Zentralbibliothek
Münstergasse 61, CH 3000 Bern 8
Tel.: +41 (0)31 631 93 16
mailto:bernd.rohde@xxxxxxxxxxx
http://www.ub.unibe.ch/zb
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Viele Grüße,
Olaf Eigenbrodt
Universität Hamburg
Fachbereiche Sprache Literatur Medien
Leiter der Fachbereichsbibliothek
Vorsitzender der Bibliothekskonferenz der Universität Hamburg
Von-Melle-Park 6
20146 Hamburg
Tel.: +49-40-42838-5330
Fax: +49-40-42838-4853
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