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Re: [InetBib] "Eckenknick - Double fold"



Sehr geehrter Herr Dr. Fenn,

abgesehen, davon, dass ich nicht glaube, dass wir den Bibliotheksbegriff
"immer wieder erweitern", wenn wir sagen: Die Bibliothek ist „eine
Einrichtung, die unter archivarischen, ökonomischen und synoptischen 
Gesichtspunkten publizierte Information für die Benutzer sammelt, ordnet
und verfügbar macht“ ( http://de.wikipedia.org/wiki/Bibliothek ), so bin
ich ganz Ihrer Meinung. Der definitorische Unterschied ist nur, das man
frueher eine lokationsorientierte Definition hatte, und dass dies eine
funktionsorientierte Definition ist, weil die Digitale bzw. auch die
Virtuelle Bibliothek schon vor längerer Zeit (1987 - Bull Med Libr Assoc.
76(2): 191–192 1988) als "library without walls" keinen bestimmten Ort
mehr hatte.

Gerade weil das Problem, dass Sie ansprechen so essentiell ist, müssen 
Bibliothekarinnen und Bibliothekare ihre Aufgabe klar und nachhaltig
definieren, um die Funktion der Bibliothek auch fundiert verteidigen zu
können. Wenn sie nur noch die Bibliothek als Ort an dem sie Bücher sammeln
verteidigen, werden ihre Einrichtungen immer weiter obsolet. Darum haben
ja so viele Bibliothekare/innen, die keine klare oder eine falsche
Vorstellung von der heutigen Bibliothek haben, so eine große
Existenzangst. Sie befürchten bei jeder Bibliotheksschließung den
fortschreitenden Untergang und sehen nicht, dass brachiale Wachstum von
3,5 % (Verdopplungsrate von 20 Jahren), mit dem wir konfrontiert sind.

Es muss also eine Profession geben, die auch in Zukunft den Zugang zum
Wissen der Welt und die Informationsfreiheit sichert - darum die
synoptischen Gesichtspunkte! Alle Welt regt sich seit kurzem darüber auf,
dass Doktoranden zu viel abschreiben. In Wirklichkeit ist das ihre
fundamentale Aufgabe, die sie nur erfüllen können, wenn sie
funktionierende Bibliotheken haben. Sie müssen allerdings auch klar dazu
sagen, was sie woher haben, und daraus müssen sie neue Thesen herleiten,
die wirklich neu sind. Dieses Abschreiben (und natürlich auch das
vorherige Lesen) ist in Gefahr, wenn die Bibliotheken das publizierte
Wissen der Welt nicht bezahlbar zugänglich machen.

MfG

W. Umstätter

P.S. Auch eine Digitale Bibliothek hat immer noch gedruckte Bestände, aber
zunehmend häufig nur noch als Ausgabemedien ihrer digitalisierten
Informationen.


Am 14.07.11 13:45 schrieb Walther Umstaetter:

Mir scheint es bemerkenswerter, dass hier in *InetBib* niemand dem Satz

"... denn eine Bibliothek ohne Bestand, also ohne Besitz (!), mag alles
mögliche sein, aber sicherlich keine Bibliothek."
widerspricht.
Ist eine geordente Sammlung von Büchern im Internet demnach keine
Bibliothek, oder sind E-books keine Bücher?
Ich dachte, dass diese Frage schon durch den Ausdruck Digitale
Bibliothek
(und deren Definition) seit etlichen Jahren geklärt ist.

Das mag sein. Natürlich kann man den Bibliotheksbegriff immer wieder
erweitern. Es kann aber durchaus sein, daß die Digitalitis verbunden mit
dem Outsourcen von Inhalten auf externe Dienste am Ende dazu führt, daß
unsere Bibliotheken im wahrsten Sinne des Wortes einmal ohne Bücher
dastehen könnten, falls die Verlage den Zugriff auf bisher kostenlose
Angebote plötzlich kostenpflichtig machen oder die Preise auch hierfür
anheben, eben weil dann ja alle auf Online angewiesen sind. Ich denke
dabei nicht nur an die großzügig geöffneten Datenbanken von Spiegel und
Zeit, sondern auch an wissenschaftliche Datenbanken wie etwa Springer.

Wenn ich es richtig verstanden habe, kann das bei den Datenbanken, für
die Nationallizenzen vereinbart worden sind, nicht mehr geschehen, weil
dort ein zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht geschuldet ist, das auch
die Backfiles für die Langzeitarchivierung mit einbezieht, was der
Anschaffung eines gedruckten Buchs entspricht. Wenn aber Datenbanken wie
Juris oder Springer über eine Flatrate abgerechnet werden, besteht nur
ein Recht auf den Zugriff auf den jeweiligen Bestand der Datenbank.

Auf der letzten Buchmesse konnte man mir bei Springerlink nicht sicher
Auskunft darüber geben, ob von einem Lehrbuch, das dort im Bestand sich
befindet, auch zukünftig alle früheren Auflagen weiterhin abrufbar sein
werden. Es ist ein Problem, das wohl in der Wahrnehmung allgemein
vernachlässigt wird, weil sich das Augenmerk immer mehr auf die
Gegenwart verschiebt, so dass das historische Interesse verdrängt wird,
das aber für die wissenschaftliche Arbeit weiterhin von großer Bedeutung
ist.

Viele Grüße,
Jürgen Fenn.

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