Liebe Liste, Herr Kayß,
genau.. "Bestandteil", und zwar wesentlicher war bis dato nämlich eine
Gemeinnützigkeit, die ethische, professionell-fachliche und rechtliche
Dimensionen hat. Eine "Leihbibliothek", die privat und kommerziell wird
aufgrund dessen, dass das Staatswesen meint, diese Gemeinnützigkeit bzw. die
Infrastruktur Bibliothek für Bildung, Kulturerhalt und Wissenschaft nicht
unterhalten zu wollen, ist irgendwie witzlos. Sie würde doch den
Zusammenhang, ihren Auftrag einbüßen. Da kann man die Leute gleich in den
Buchhandel schicken oder ihnen Gelder zum Buchkauf überweisen, wenn man noch
etwas sozial dabei sein will. Außerdem ist so ein Geschäftsmodell ... aber
das lasse ich mal weg.
Private haben diese Gemeinwesen-Verpflichtung jedenfalls so nicht, zumindest
nicht ohne Übertragung. Damit sollen diese Wege nicht "persönlich" kritisiert
werden, sie werden kaum freiwillig gegangen.
Eine öffentliche Bibliothek, die "nur" nach Ausleihzahlen oder Gewinn
ausgerichtet wäre und so etwas wie Bildungsauftrag, Bestandsqualität in
Hinblick auf Forschungsinfrastruktur etc. außer Acht ließe, würde aus meiner
Sicht jedenfalls auch einem notwendigem Qualitätsmerkmal aus dem eigenen
Kontext entgegenarbeiten.
Staat und Öffentlicher Dienst haben diese Verpflichtungen, also das zu
unterhalten, was der Einzelne nicht leisten kann, aber für eine Gemeinschaft
notwendig ist. Das hat Grenzen, muss nicht kostenfrei sein, das wissen wir,
aber im Rahmen der Gleichbehandlung und des Zugangs für alle erschwinglich.
Das diese Leistungen ergänzt werden können durch echte Projekte und dann
projektfinanzierte, zulässige "Einnahmen", sei akzeptiert. Leider hat man
aber den institutionellen Teil destrukturiert.
Ich habe mich im Rahmen des Kulturmanagements sehr intensiv mit NPM
beschäftigt. Diese Methoden wurden sehr stark im Bereich von
Kultureinrichtungen wie Theater, Museen, Ausstellungshäuser, Volkshochschulen
und Kunstförderung -später auch in Bibliotheken angewendet. Dabei gibt es
durchaus sinnvolle Anwendungsgebiete. Damit einhergehend gelangte die
Projektfinanzierung im großen Stil in die Haushaltssysteme. Ich fand auch
mal, dass Bibliotheken hier "viel machen könnten" um "zusätzliche Gelder" für
"zusätzliche Leistungen" zu bekommen. Das war Thema in einigen meiner Texte,
allerdings ohne den Kontext zu verlassen.
Man hat sich nämlich wenig Mühe gemacht, zu unterscheiden, was in diesen
Bereichen infrastrukturell und was Sparte, Individualförderung ist. Eine
infrastrukturelle Einrichtung wie eine Bibliothek - und ich würde sagen
Museum und Archiv mit Forschungs-, Nachweis- und Kulturerbe-Relevanz ebenso -
gehören nicht unter einen Hut mit der Förderung des Kulturfestivals X.
Allerdings kann man mit dem KFX besser sektschwingend in Erscheinung treten -
übrigens zuweilen ohne "Kunden" (da dürfen sie "Besucher" heißen).
Merkwürdigerweise sind hohe Bibliotheksnutzerzahlen kein Argument für uns und
niedrige Besucherzahlen selten gegen ein Haus X. Man verzeihe mir, Kunst ist
individuell (und soll gefördert, nicht unterhalten werden) - Bibliothek
gemein! -wesentlich (und gehört grundfinanziert und nicht nur gefördert).
Das sage ich, obwohl Opernfan, das dürfen Sie jetzt aber gerne beschimpfen.
Gern hätte ich auch mal so eine Evaluation von Projektfinanzierung an sich
oder eine Kosten- Nutzenanalyse der daran beteiligten Beratungssysteme...
naja, ein bisschen grinse ich gerade über meinen Spott :-)
Ist auch besser, als sich darüber ärgern, dass man dies angeblich nicht
messen kann :)))
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Kayss,
Matthias-Martin
Gesendet: Mittwoch, 29. Juni 2011 16:15
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Noch einmal: OT: Kunde / Nutzer
Hallo, liebe ListenteilnehmerInnen,
zum Thema Kundenorientierung vs. Nutzerorientierung möchte ich noch einen
zusätzlichen Aspekt einbringen und dabei an das bereits Erwähnte anknüpfen,
dass nämlich dieser Begriff wie in anderen Verwaltungs- und öffentlichen
Dienstleistungsbereichen auch durch das New Public Management (NPM) in die
Bibliothekswelt eingebrochen ist.
Viele KollegInnen waren und sind offenbar immer noch der Ansicht, der "Kunde"
sei eine Art rhetorische Verstärkung für das, was vorher "Benutzer" oder
"Leser" war. Tatsächlich aber zielt die Verwendung des Kundenbegriffs nur
mittelbar auf eine Verbesserung der Dienstleistung. Vor allem steckt darin
eine Deprofessionalisierungsstrategie.
Die wichtige Frage lautet letztlich: Wer bewertet die Qualität einer
Dienstleistung? Einer konsequent ökonomisierten Sicht auf die eigene Arbeit,
die Bestandteil der NPM-Ideologie ist, steht das Selbstverständnis der
Berufstätigen im Wege, wenn diese sich einer Profession zugehörig fühlen. In
Talcott Parsons klaassischer Definition des Professionenbegriffs ist die
Autonomie eines Berufsstandes (neben der Wissenschaftlichkeit und der
Gemeinnützigkeit) ein wesentliches Element. Mitglieder einer Profession
können danach die Bewertung der Qualität ihrer Leistungen nicht oder
zumindest nicht ausschließlich vom Erfolg beim Kunden abhängig machen. Genau
das verlangt aber das NPM.
Etwas zugespitzt stellt sich bei der Frage nach "Kunden" in der Bibliothek
also zugleich die Frage: Bilden Bibliothekarinnen und Bibliothekare eine
Profession? Dabei natürlich auch: Könnten oder sollten sie es überhaupt?