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[InetBib] Missbrauch der Erinnerung - Zivilcourage (war: Bibliothek blockiert Wikileaks)



Sehr geehrte Frau Mahrt-Thomsen,

Sie schreiben:

Es ist beschämend zu hören, wie KollegInnen bei 
dem ersten Angriff von oben auf das Recht des freien 
Zugangs zu Informationen schon abtauchen und die Erinnerung 
an die NS-Zeit dazu missbrauchen, jeden Rest von Zivilcourage 
heute gleich an der (Verbuchungs-) Theke abzugeben.

ich verwahre mich gegen den Vorwurf, die Erinnerung an die NS-Zeit zu 
missbrauchen.

Wenn ich meine Familiengeschichte zurückverfolge, blicke auf 
Einzelschicksale, die den Bogen von Täterschaft über Mitläufer über 
unschuldig mitgefangen/mitgehangen reicht. Ich blicke auf ein 
alltagstypisches Sich-arrangieren-müssen, aber auch auf kleine Akte des 
Widerstands, z.B. Hören von Feindsender, das mit hoher Strafe bedroht war. 
Und ich blicke auf die Folgen: Gefallen, Gefangenschaft, Flucht und 
Verlust von Haus und Hof.

Ich kann mir schon ein Bild machen, was damals möglich war und was heute. 
Auch ich habe aus der Geschichte gelernt. Natürlich haben wir es heute 
unendlich viel leichter. Und mir ist auch der Satz von Erich Kästner 
bekannt, der sinngemäß lautet:

"Man darf nicht solange warten mit dem Aufbegehren, bis aus freier 
Meinungsäußerung Hochverrat wird." Klar.

Trotzdem habe ich Verständnis dafür, wenn Menschen Angst haben. Gerade 
heutzutage in den USA. Es ist schon mancher Unschuldige durch die Mühlen 
der Justiz gedreht worden. Trotz Rechtsstaat, trotz funktionierender 
Justiz! Ich verweise mal auf den Fall Kurnaz 
http://de.wikipedia.org/wiki/Kurnaz Oder kennen Sie den deutschen Fall 
Andrej Holm? Es reichen heutzutage nötigenfalls "linguistische 
Übereinstimmungen" (!!!), dass der Staatsschutz vor Ihrer Tür steht ... 
http://www.freitag.de/2007/47/07471301.php In den USA dürfte das "dank" 
des Patriot Acts noch viel schneller gehen!!!

Und apropos Jobverlust:

Wenn ich mir Ihren Lebenslauf anschaue,

geb. 1943, 1964-67 diplombibliothekarische Ausbildung in Berlin, 1967 bis 
2008 Mitarbeiterin der Stadtbibliothek (Friedrichshain-) Kreuzberg, davon 
27 Jahre Leiterin einer Stadtteilbibliothek. 
(http://www.vifa-recht.de/fachtagung2010/referenten.php)

dann wissen Sie wohl nur theoretisch, was das heißt, durch die Maschinerie 
der Arbeitsagentur geschleust zu werden. 
Wer je längere Zeit arbeitslos war - und ich war das! - hätte diese Zeilen

Gleich dem ersten Druck nachzugeben und das mit der Angst vor dem 
Jobverlust 
(fehlt nur noch das Argument:
"Ich muss ja für meine Familie sorgen") zu rechtfertigen, ist ein 
bisschen 
wenig.

nicht so leichtfertig von sich gegeben.

Besten Gruß

Martin Steinmetz
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Dipl.Bibliothekar Martin Steinmetz
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