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Re: [InetBib] Fwd: Kommentar zu Steinhauer
Steinhauer stellt Überlegungen an zum Verhältnis von Open Access und
Wissenschaftsfreiheit (Publikationsfreiheit). Wie immer bei Steinhauer
fundiert, reflektiert, reich referenziert; in der Regel vorsichtig auf
der Grundlage bestehenden Rechts bleibend - am Ende aber doch auch
leicht spekulativ visionär. Der Volltext des Kommentars mit dem Titel
"Ein Recht auf Sichtbarkeit ? aber nicht auch ein Recht auf
Sichtbarwerden?" kann abgerufen werden als PDF und Word-File aus dem
NETETHICS-Blog:
http://www.inf.uni-konstanz.de/netethicsblog/?p=265
und kann dort auch kommentiert werden.
RK
********************************
Prof. Dr. Rainer Kuhlen
Auf die Frage des Kollegen Kuhlen geantwortet scheint mir die Aussage von
Steinhauer ?Kann eine Wissenschaft das Maß ihrer Sichtbarkeit nicht mehr
selbst bestimmen, hört sie auf, eine freie Wissenschaft zu sein? zunächst
völlig erschöpfend. Eine Publikationspflicht kann es nicht geben. Um nur
ein triviales Beispiel zu nennen. Wenn ich die Entdeckung für den
perfekten Mord mache, würde ich persönlich diese Möglichkeit erst
publizieren, wenn ich auch dazu sagen kann, wie er sich auch wieder
verhindern lässt ;-) Dazu hatten wir auch lang genug die Diskussion über
die Verantwortung der Physiker für die Atombombe und die sogenannten
Technologiefolgeabschätzungen. Jedes neue Wissen zwingt den Menschen auch
die Verantwortung für dieses Wissen zu übernehmen. Arbeitgeber können von
Wissenschaftlern Rechenschaftsberichte zu Pflicht machen, aber nicht, dass
sie ihr Wissen grundsätzlich Preis geben ? ein altes Thema, von dem schon
so mancher Kriminalroman lebte.
Im Prinzip hat das aber mit dem Zweitveröffentlichungsrecht nichts zu tun,
denn wenn ein Wissen bereits publiziert wurde, kann es im
Zweitveröffentlichungsrecht nicht um die Frage gehen, ob publiziert werden
muss oder darf. Im Zweitveröffentlichungsrecht geht es eigentlich um eine
ganz andere Frage. Ein Autor hat die Möglichkeit und sollte auch sehr
genau überlegen, wer seine Erkenntnisse bekommen sollen. Er kann sie für
sich behalten und er kann sie an bestimmte Zielgruppen weiter geben, und
hier setzt bewusst oder unbewusst bei vielen Menschen die Frage ein, warum
wird das Wissen mir vorenthalten. Gleichgültig, ob aus finanziellen
Barrieren heraus, aus Geheimhaltungsgründen oder um Arbeitgeber oder
bestimmte Interessengruppen zu stärken.
Über die Tatsache, dass es als ungerecht empfunden wird, dass es in dieser
Welt Menschen gibt, die sehr viel besser mit Wissen versorgt werden als
andere, kann man nicht streiten. Dass Spitzenforschung nur mit einer
entsprechenden Wissensversorgung möglich ist, steht auch außer Frage.
Insofern ist das Zweitveröffentlichungsrecht eine Frage dieser
Gerechtigkeit. Eigentlich wäre es natürlich richtig, darum schon von
Anfang an das Wissen im Internet direkt kostenlos zur Verfügung zu
stellen. Wer dies aber fordert, sozusagen am bisherigen Verlagswesen
vorbei, hat die eigentliche Bedeutung der Verlage nicht verstanden. Sie
sind nicht dazu da, um sich am Publikationswesen der Wissenschaft zu
bereichern, sondern dazu, die Publikationen bei den richtigen Zielgruppen
sichtbar zu machen. Dass einige der großen Verlage sich durchaus
bereichern, liegt daran, dass es eine verbreitete Fehleinschätzung ist,
wir befänden uns in einer Zeitschriftenkrise.
Darum muss auch hier der viel zitierten Behauptung, das Publizieren
befände sich in einer Krise deutlich entgegengetreten werden. Diese
Aussage wird nicht dadurch richtiger, dass sie immer wiederholt wird. Das
Zeitschriftenwesen ist seit 1665 mit einer stetigen Verdopplungsrate von
20 Jahren ungebrochen gewachsen und hat, als das Papier knapp wurde die
Hürde in die digitale Form problemlos hinter sich gebracht. Es hat noch
nie so viel laufende Zeitschriften (und auch Bücher) gegeben wie heute,
und die Tatsache, dass die Spitzenverlage heute so hohe Preise fordern
können, ist eindeutig kein Zeichen einer Krise sondern ihrer Stärke.
Dass Bibliotheken diese Preise als übermäßige Belastung betrachten, und
sich damit in einer Krise sehen, ist verständlich, aber trotzdem falsch.
Denn in Wirklichkeit kauft zwar jede einzelne Bibliothek anteilig immer
weniger Zeitschriften, aber alle Bibliotheken der Welt zusammen halten mit
der Verdopplungsrate der Wissenschaft durchaus schritt. Die
Bibliotheksverwaltungen von einst sind in der Digitalen Bibliothek längst
in ein internationales Bibliotheksmanagement zum weltweiten Management des
Wissens übergegangen, weil die veraltete Vorstellung, dass die universale
Universitätsbibliothek jeweils das Wissen der Welt beherbergt, längst
obsolet wurde. Die meisten Universitäten und auch ihre Bibliotheken haben
damit begonnen in der Big Science sich auf bestimmten Spezialgebieten zu
konzentrieren.
Die Sichtbarkeit einer jeden Zeitschrift ist natürlich bei 200.000
Zeitschriftentiteln eine völlig andere als bei 200. Um dies zu
kompensieren hilft nur das Power Law des bekannten Bradford?s Law of
Scattering, das durch ein Verlagswesen aufrechterhalten wird, das
bestimmte Zeitschriften so weit bekannt macht, dass Journals wie Nature
oder Science in unangefochtene Spitzenpositionen der Naturwissenschaft
bringt. Die Tricks sind bekannt, und liegen weniger darin, dass ein Verlag
behauptet die beste Zeitschrift zu haben, oder das beste peer reviewing,
als darin für eine häufige Zitation zu sorgen. Die kann sogar negativ
sein, denn man kann Publikationen nur falsifizieren wenn man sie gelesen
hat.
Es gibt also zwei Arten der Sichtbarkeit. Die durch das Verlagswesen
geförderte (die auch oft mit erhöhter Qualität verwechselt wird) und die
durch das Internet (in der Google in erheblichem Maße mitbestimmt, wer
gesehen wird und wer nicht).
Steinhauer hat natürlich Recht, wenn er schreibt: ?Ein in einer
Zeitschrift publizierter Aufsatz erreicht daher - von wenigen
Kernzeitschriften einmal abgesehen - nicht mehr automatisch das Maß an
Sichtbarkeit, das für eine wissenschaftliche Publikation erforderlich und
wünschenswert ist.? Das liegt aber nicht an der Krise, sondern am
ungebrochenen Wachstum des Publikationsmarktes, und insbesondere daran,
dass dieses Wachstum längst dazu geführt hat, dass wir nur noch digital
archivieren können.
Wenn man allein den Hinweis von R. Supper hinzunimmt, dass die
Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft die Gebühren für ihre Autoren
bei den Publikationen übernehmen, dann wird auch klar in welcher Richtung
das Verlagswesen Open Access nun zu kanalisieren gedenkt. Neben der
wissenschaftlichen Leistung selbst wird nun zunehmend auch ihre
Publikation von den Forschungseinrichtungen bezahlt. Das ist sicher nicht
ganz neu, dass Forschungseinrichtungen ein Interesse daran haben bestimmte
Ergebnisse ihrer Arbeit als Reklame für ihre Exzellenz zu verbreiten, ob
das allerdings die Qualität der Wissenschaft fördert ist zweifelhaft.
Tatsache ist, dass das Wissen (und die Information) in unserer Zeit immer
stärker dazu missbraucht wird um Reklame zu transportieren. Das ist auch
der Grund warum Information so zahlreich verschenkt wird - auch von den
Verlagen. Sie verlangen oft nur Geld dafür, dass man nicht merkt, dass sie
nur Reklame verteilen.
Mit freundlichen Grüßen
W. Umstätter
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