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Re: [InetBib] Wikipedia als Goldesel?



Demnach würde sich für Sie, Herr Umstätter, das Zitationsproblem mit der 
Wikipedia erledigen? Zur Kenntnis nehmen und nicht weiter darüber reden? Auch 
gut!
Aber ist denn WP nur ein Lexikon, dem man Begriffsbestimmungen und knappe 
Beschreibungen von Sachverhalten entnehmen kann? Das kann man m.E. so nicht 
sagen. Mit der Benutzung einer Enzyklopädie überschreitet man eindeutig die 
Grenze zu dem, was man als Allgemeinwissen annehmen kann, weil darin auch 
bestimmte Perspektiven und Positionen zum Ausdruck kommen.
Es ist ja beispielsweise nicht egal, ob man sich über Begriffe wie "Wahrheit", 
"Freiheit" oder auch "Sterbehilfe" in einer Enzyklopädie marxistischer, 
atheistischer, christlicher oder buddhistischer Provenienz informiert. Man wird 
dazu jeweils sehr unterscheidliche Artikel erhalten und es ist durchaus wichtig 
dies in einer wissenschaftlichen Arbeit zu vermerken. Wertneutralität gibt es - 
das haben wir seit der Zeit der Enzyklopädisten gelernt - eben nicht.
Bisweilen sprengt die WP sogar den Rahmen einer Allgemeinenzyklopädie und 
bietet Artikel von einer Länge, die sich einer Fachenzyklopädie (kaum freilich 
deren Niveau) nähern.

Auch das Gattungsproblem ist also nicht eben vernachlässigbar: Sie würden die 
WP den Lexika zurechnen, ich den Enzyklopädien. Das hat z.B. die praktische 
Auswirkung auf die Frage, ob man sie als Quelle angeben muss oder nicht. WP 
selbst legt sich dazu nicht fest. Ein bisschen von allem...

Der Unterschied in der Redeweise "hier irrt Brockhaus, Duden oder WP" liegt - 
abgesehen von der Veränderbarkeit - tatsächlich in der Verantwortlichkeit. 
Wissenschaft wird von Personen betrieben, die ihre persönlichen Einsichten 
vertreten und auch ihre Fehler verantworten müssen. WP verantwortet nichts 
dergleichen.

Grüße,

Philipp Gahn

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx 
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von h0228kdm
Gesendet: Montag, 22. Februar 2010 11:54
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Wikipedia als Goldesel?


Sehr geehrter Herr Gahn,

im Prinzip sehe ich keinen Unterschied darin zu schreiben, 
hier irrt der Brockhaus, der Duden oder Wikipedia.
Wenn etwas falsch ist, ist es falsch, und muss korrigiert werden. Das nennt man 
Falsifikation ;-) Wenn im gedruckten Brockhaus etwas geändert werden sollte, 
konnte das erst in der nächsten Auflage geschehen. Die Fehler des Brockhaus 
sind also in Bibliotheken noch immer nachlesbar.

Bezüglich der Zitation einer Quelle hat ja E. Garfield mal drei Gruppen 
der Uncitedness aufgezählt. Lexika gehören auch dazu. Sonst käme man aus 
dem zitieren ja nicht mehr heraus. Lexika zitiert man normalerweise nur dann, 
wenn sie wider erwarten einen Fehler enthalten. 
Alles andere gilt mehr oder minder als Allgemeinwissen. 
Das war ja auch das Ziel der Enzyklopädisten, eine solche Grundlage zu 
schaffen, und hier liegt auch der Grund, dass man die Autorenschaft bei 
Enzyklopädien so weit zurückgenommen hat. Sie sollten nicht die Ansicht 
bestimmter Autoren enthalten, sondern, so weit möglich, das Allgemeiwissen.

Das Problem ist leider noch ein anderes. Das Internet ist so umfangreich, 
dass es neben unzähligen wichtigen Informationen eine schier unendliche Menge 
an Unsinn (früher sagte man Schund dazu) enthält. Vieles davon zu falsifizieren 
lohnt sich meist nicht, weil eszu abwegig ist, und sich selbst ad absurdum 
führt. Unserer Zeit ist zu kostbar, um auf jeden Quatsch argumentativ 
einzugehen.

Das hat auch etwas mit der Uncitedness 4 zu tun, die ich mir erlaubt habe, den 
drei von E. Garfield hinzuzufügen. 

Dass man Wikipedia als Quelle heute nicht mehr einfach ignorieren kann, 
steht meines Erachtens außer Frage.  

MfG

W. Umstätter





On Mon, 22 Feb 2010 08:55:00 +0100, Philipp Gahn <gahn.pth@xxxxxxx> wrote:
Lieber Herr Allers,

Sie mahnen zurecht die Auseinandersetzung in der Sache an. Aber ist 
die denn schon erfolgt? M.E. wurde der wesentliche Punkt, der WP für 
den wissenschaftlichen Gebrauch problematisch macht, noch kaum 
berührt. D.i. nicht nur das
Prinzip
der nicht namentlichen Zeichnung, sondern idealiter der kollektiven 
Verfasserschaft. Hier wird ein Grundprinzip wissenschaftlichen
Arbeitens,
das da lautet: jeder ist für den Mist, den er verzapft hat, auch 
selbst verantworlich, nicht nur negiert, sondern geradezu umgekehrt. 
Denn, so
ich
Fehler in einem WP-Artikel entdecke, bin ich sogleich aufgerufen, 
diesen
zu
verbessern und ich vergehe mich sozusagen an der Community, wenn ich 
das nicht tue.

Natürlich entfällt die Namenszeichnung auch bei anderen Enzyklopädien. 
Aber Fehler, die sich in diesen finden, fallen auf den Verlag oder auf
die
Redaktion zurück. Der Satz: An dieser oder jener Stelle irre der
Brockhaus,
ist eine sinnvolle Redeweise, obwohl natürlich nicht jerder einzelne 
Mitarbeiter des Verlages mit dem Fehler im Lexikoneintrag konform 
gehen muss oder gar den Fehler verursacht hat. Aber Redaktion und 
Verlag repräsentieren das Unternehmen insgesamt und stehen deshalb 
auch für Fehler ein. Auf die WP gewendet ist eine solche Aussage nicht 
sonnvoll, weil hier niemand für Fehler einsteht. Demgegenüber ist es 
nachrangig, ob WP-Artikel besser oder gleichwertig sind im Vergleich 
zu anderen Nachschlagewerken. Das WP-Prinzip scheint
mir
korrumpierend für die Wissenschaft.

Dass es die Möglichkeit gibt, die Autorschaft eines Artikels oder
gewisser
Texteile zurückzuverfolgen, ändert m.E. daran nichts. Denn 1. hat das,
wie
bereits bemerkt wurde, seine Grenzen und 2. ist nicht einzusehen, 
warum
man
einen Grundkurs "Philologische Edition" belegt haben muss, um einen
simplen
Lexikonartikel zu zitieren. Ein Student, der seinem Dozenten eine 
Hausarbeit mit den Worten übergäbe: "Die an sich ja nicht wichtigen
Zitate
und Literaturangaben finden Sie gut versteckt in der kleinen Tasche, 
die ich auf die Rückseite des Einbanddeckels geklebt habe", würde
wahrscheilich
nicht nur einen fragenden Blick ernten, sondern sogleich die Arbeit 
zurückerhalten.

Beste Grüße

Philipp Gahn

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Heinrich
Allers
Gesendet: Samstag, 20. Februar 2010 23:42
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Wikipedia als Goldesel?


Manfred Nottebrock meinte:

Es ist befremdlich, dass auf die abwegigen Einlassungen eines 
fundamentalistisch angehauchten "Querdenkers" hier so ausführlich
eingegangen wird. ...

Mir scheint, daß "befremdlich" hier das falsche Wort ist. Stattdessen
wäre
vielleicht das Wort "erhellend"
passend: der Ablauf der Diskussion ließ doch die Abwegigkeit der
Positionen von Herrn Röhler 
zunehmend klarer erkennen! Gut, der Google-Zugriff auf biographische
Details von Herrn Röhler macht 
nun einiges verständlicher und hätte eher zu einer angemessenen
Einschätzung seiner Einlassungen 
geführt, aber ich meine, daß es _für_ die Diskussionskultur in INETBIB
spricht, daß die Disqualifikation 
von Andreas Röhler nicht via biographischer Recherche erfolgte, sondern
auf dem Wege der 
Auseinandersetzung in der Sache.

Mit besten Grüßen von

Heinrich Allers

allers@xxxxxxxxxxx * http://www.h-allers.de
Netztagebuch: http://heinrich-erlo-ger.blogspot.com/
Bitácora: http://heinrich-erlo-spa.blogspot.com/

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