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Re: [InetBib] Stellungnahme des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv) zur Europeana; Einbringen von eigenen Daten über EuropeanaLocal
- Date: Fri, 27 Nov 2009 23:53:08 +0100
- From: Walther Umstaetter < h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Stellungnahme des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv) zur Europeana; Einbringen von eigenen Daten über EuropeanaLocal
On Nov 27, 2009, at 3:39 PM, Matthias Ulmer wrote:
Liebe Liste,
die Stellungnahme des DBV zu Europeana führt zu einer interessanten
Frage: Es wird wohl von niemandem angezweifelt, dass es irgend wann
eine digitale Bibliothek geben wird, bei der jeder Werke online lesen
oder Dateien befristet ausleihen kann.
Zunächst bezweifle ich, dass wir ?irgend wann? eine Digitale Bibliothek
haben werden. Zumal die Digitalisierung schon seit langem in vollem
Gange ist. Die Digitale Bibliothek ist also längst Realität, auch wenn
sie
sich immer weiter verbessert. Die Vorstellung, dass es einmal eine
Bibliothek geben wird, die keine gedruckten Bücher mehr haben wird,
und dass wir erst dann von einer Digitalen Bibliothek sprechen können,
ist eher abwegig.
Zum zweiten bezweifle ich auch, dass es in diesem Zusammenhang
wirklich diskutabel ist, Dateien nur befristet ausleihen bzw. lesen zu
können. Es war und ist kein Zufall, dass man seit Jahrzehnten, wichtige
Teile eines wissenschaftlichen Buches kopieren und darin Randbemerkungen
machen konnte. Vor dieser Zeit hat man exzerpiert ? in diese Zeit wieder
zurückkehren zu wollen wäre sicher eine Zumutung.
Diese Bibliothek muss die gemeinfreien Inhalte genau so wie die
geschützten enthalten. Ansonsten hat sie nur für einen sehr kleinen
Teil der Bevölkerung eine Bedeutung.
Dass die gemeinfreien Werke über öffentliche Institutionen
digitalisiert und eingebracht werden sollten, daran gibt es wohl auch
keine Zweifel.
Bleibt also (sieht man mal bewusst von der Grauzone der verwaisten
Werke ab) die Frage, wer die geschützten Werke einbringt. Hier gibt
es nun zwei Modelle:
1. die öffentliche Hand kauft für alle geschützten Werke
Nationallizenzen und bringt die Werke in die DDB ein.
Dieser Vorschlag zeigt, dass die Verlage nun die Hoffnung hegen, aus
Verwertungsrechten, die sie vor der Digitalisierung sicher als erledigt
Betrachtet haben, nun noch Kapital zu schlagen. Das wäre völlig legitim,
aber nicht, wenn es die deutsche Wissenschaft gegenüber der
amerikanischen beispielsweise ins Hintertreffen führt. Dass demgegenüber
eine Entwicklung wie Google Books für die Wissenschaft eine weitaus
größere Attraktivität hat, scheint mir naheliegend zu sein.
Man sollte wohl auch nicht übersehen, dass jeder der heute Bücher und
Zeitschriften in großem Umfang digitalisieren will, sich in Konkurrenz
zu Google begibt, und dazu sollte man dann auch konkurrenzfähig sein.
2. Die Rechteinhaber bringen die Werke ein, die Nutzung der
geschützten Werke erfolgt - im Gegensatz zu den gemeinfreien Werken -
gegen eine geringe Nutzungsgebühr.
Der Unterschied liegt, wenn ich das richtig sehe, einfach darin, dass
in Punkt 2.
die Verlage ihre alten Produkte digitalisiert für ?"eine geringe
Nutzungsgebühr?"
einzeln vermarkten, so wie wir es schon heute bei zahlreichen
Zeitschriftenarchiven beobachten (mit 2 -? 3 oder mehr Euro pro Seite),
oder eben als Nationallizenzen.
Im Vergleich dazu vermarkten die USA ihre publizierte Wissenschaft als
Reklame dafür, wie leistungsfähig sie auf diesem Gebiet sind,
nach einem Jahr kostenlos (s. NLM). Mit diesem Trick ist es ihnen
gelungen heute bei fast jeder Recherche in MEDLINE, CHEMABS
oder SCISEARCH den Eindruck zu vermitteln, dass die USA auch auf
dem jeweils recherchierten Gebiet weltweitführend ist.
Das kostenlos erreichbare Volltexte öfter gelesen, zitiert
und damit bekannt gemacht werden, wurde hier ja schon ausreichend
diskutiert.
Es kommt in der Wissenschaft darauf an, dass wir es in bestimmten
Bereichen besser machen als die USA, nicht darauf, noch mehr Fehler
zu machen, als es bei den IuD- bzw. Fachinformationsprogrammen
schon geschah.
Welche Konsequenzen hätte die Variante 1? Ein für den Nutzer
kostenloses Angebot auch aller lieferbaren Bücher hätte vermutlich
die Folge, dass daneben kein privatwirtschaftliches Geschäftsmodell
mehr denkbar wäre. Die Kosten für die Nationallizenzen müssten sich
also daran ausrichten, welcher Umsatz beziehungsweise welche
Umsatzpotentiale durch eine solche Bibliothek entfallen.
In einer ungeprüften und grob vereinfachenden Daumenpeilung müsste
man auf folgenden Wert kommen: wenn der Buchmarkt heute mit über 8
Mrd Euro angegeben wird und wir davon ausgehen, dass in zehn Jahren
mindestens zehn Prozent des Umsatzes über neue E-Book-
Geschäftsmodelle laufen, dann müsste die Nationallizenz entsprechend
auch jährlich (!) 800 Millionen Euro betragen und von Jahr zu Jahr
weiter steigen, da der Anteil der elektronischen Geschäftsmodelle am
Gesamtmarkt sicher nicht bei 10% stehen bleiben wird.
Ist es realistisch, dass dieses Geld zur Verfügung steht? Wenn nein,
ist es realistisch, dass die Rechteinhaber die Lizenzen erheblich
günstiger verkaufen? Wenn auch das verneint werden muss, ist es dann
realistisch, dass eine rechtliche Schranke geschaffen wird, die
einen so umfassenden Eingriff in die Märkte rechtfertigen würde, um
die Inhalte billig zu bekommen?
Mir scheint das Modell einer Public-Private-Partnership hier
realistischer, bei der Bibliotheken und Verlage beim Aufbau der DDB
zusammen arbeiten.
Es würde mich interessieren, wie das bei den Lesern der Liste gesehen
wird.
Herzliche Grüße
Matthias Ulmer
MfG
W. Umstaetter
--
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