[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[InetBib] Open Access und Zeit



Liebe Liste, lieber Herr Graf,


"Merkwuerdigerweise beteiligen sich deutsche OA-Vertreter
ausser mir ueberhaupt nicht an Diskussionen ueber Mandate
in den einschlaegigen Foren. In Harnads AMSCI kann ich mit
holprigem Englisch zu erklaeren versuchen, wieso die
Germans einen Sonderweg gehen. Ich habe weder dort noch in
liblicense irgendetwas von Steinhauer oder Herb usw.
gelesen. Und in der verschnarchten Mailingliste von
open-access.net waren Mandate auch noch kein Thema."

Ihre zutreffende Beobachtung gibt mir Gelegenheit, ein paar grundsätzliche 
Bemerkungen zum rechtspolitischen Engagement von Bibliotheken und 
Bibliothekaren zu machen. Jenseits der Frage nach der Fachkompetenz, die im 
Bibliothekswesen durchaus vorhanden ist - mir fällt ohne Schwierigkeiten eine 
zweistellige Zahl von fähigen Kolleginnen und Kollegen im aktiven Dienst ein - 
ist dies vor allem eine Frage der Zeit.

Zunächst setzt Fachkompetenz voraus, dass man auf dem Stand der Dinge bleibt. 
Das heißt: Aufsätze und einschlägige Monographien lesen. Wenn man tatsächlich 
auf Dauer am Ball bleiben will, sind drei Stunden Lektüre in der Woche sicher 
nicht zu knapp bemessen.

Wenn man sich zu Themen äußern soll, muss man das in Form bringen, also einen 
Beitrag verfassen, einen Vortrag vorbereiten, Folien erstellen usw.

Jeder Vortrag und jede Äußerung zieht Anfragen nach sich. Auch dies kostet 
Zeit, vor allem dann, wenn man fundiert antworten möchte.

Open Access ist ein wichtiges Thema. Es gibt aber noch andere Themen, die für 
Bibliothekare relevant sind: Hochschulrecht, Benutzungsrecht, Gebührenfragen, 
Bibliotheksgesetzgebung, Dienstrecht. Auch hier gibt es Baustellen. Und die 
sind nicht klein...

Wer soll das alles leisten? Es gibt im Bibliothekswesen keine Stellen, die 
allein für diese Fragen gewidmet sind. Das ist ein strukturelles Problem. Die 
Folgen spüren wir, wenn es um professionelle und wissenschaftlich fundierte 
Lobbyarbeit bei Gesetzgebungsverfahren geht. Substanzielles kann hier nur zum 
Preis immenser Selbstausbeutung geleistet werden. Auf die Dauer trägt das 
nicht. 

Aus den Hochschulen mit bibliothekarischen Ausbildungsgängen könnte man sich 
vielleicht die eine oder andere Aktion erhoffen. Indes ist es hier - man muss 
das leider sagen - sehr ruhig, obwohl gerade das Bibliotheksrecht ein reiches 
Forschungsfeld eröffnet, auf dem man noch viele weiße Flecken beackern könnte. 

Und wir Bibliothekare in der Praxis? Wir haben unsere Fachreferate, 
Personalverantwortung und diverse Projekte und Baustellen im Haus. 
Substanzielle Diskussion kosten Zeit, und Zeit ist ein sehr rares Gut. Wenn 
Bibliothekare nicht so, wie es vielleicht wünschenswert wäre, in bestimmten 
Diskussionen präsent sind, so sind sie nicht verschlafen, verschnarcht oder 
sonstwie faul, sondern schlicht und einfach beschäftigt. Beschäftigt mit dem, 
was ihres Amtes ist und wofür sie alimentiert und bezahlt werden. Alles weitere 
ist Zugabe auf Kosten der Freizeit und der Familie. 

Kann man das ändern? Das dürfte schwierig sein. Bibliotheksrecht war lange 
Jahre kollegiale Selbsthilfe in einem gemütlichen Rechtsgebiet. Heute hat es 
einen Umfang erreicht, der eigentlich andere Strukturen braucht, sei es an 
Hochschulen sei es an den Bibliotheken selbst. Aber welche Bibliothek sollte 
dies leisten? Ich bin hier leider überfragt.

Eric Steinhauer




Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.