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Re: [InetBib] Der technische Kopf der Woche: Ursula von der Leyen



Lieber Herr Baumgartner, liebe Liste,

Ich bin ein potenzieller Pädokrimineller, weil ich meine
/etc/resolv.conf ändern kann?

Das Interview 
(http://download.radioeins.de/mp3/_programm/8/20090424_zt_kopf.mp3) ist nicht 
nur an dieser Stelle so wirr, daß man nur mutmaßen kann, was Frau von der Leyen 
hier wohl gemeint haben könnte. Es zeigt aber wohl, wie technischer 
Sachverstand (bei der Konfiguration von DNS-Servern würde ich heute bereits 
eher von Alltagswissen sprechen) von Politikern einfach beiseite geschoben 
wird, damit man irgendwie Handlungsfähigkeit suggerieren kann.

Behörden, Universitäten und Provider mit weniger als 10.000 Kunden
sollen von der Sperrverpflichtung ausgenommen werden:
http://www.golem.de/0904/66551.html
Spätestens dadurch wird die ganze Sache endgültig zur Farce.

Das Ganze scheint also eine Art von Pseudoaktionismus zu sein. Aber eine sehr 
gefährliche Art. Wenn man das konsequent durchspielt, dann würden bald auch 
diese "Ausnahmen" getilgt und es gehörte die Nutzung von Proxyservern technisch 
ebenso unterbunden wie die Nutzung alternativer DNS-Server. Am Schluß hätten 
wir die politische Aufforderung zur Etablierung einer "zentralistischen 
Bundesnetzinfrastruktur", die man heute schon in China und einigen arabischen 
Ländern bewundern kann. Der Bundestrojaner könnte gleich in "Windows 8" 
integriert werden, die Nutzung von Linux wird gesetzlich verboten, da versierte 
Nutzer ja ihr eigenes Betriebssystem kompilieren können.

Hierzu paßt, was gerade über Archivalia gelaufen ist:

  http://archiv.twoday.net/stories/5667711/

Der "Augsburger Appell" bringt das "Problem", mit dem wir hier konfrontiert 
sind, ganz gut auf den Punkt:

"Heute ist die Lagerung oder Speicherung von geistigen Inhalten (Bücher, Filme, 
Musik-Alnben etc.) durch Computertechnik innerhalb weniger Jahrzehnte nahezu 
kostenlos geworden. Moderne Festplatten in TeraBytegrösse fassen ganze 
Bibliotheken, Film- und Musikarchive. Ebenso ist die Verbreitung von geistigen 
Inhalten via Internet und Digitalkopie nahezu kostenlos - ein Internetanschluss 
zum monatlichen Pauschalpreis ermöglicht das Abrufen von beinahe allen Büchern, 
Filmen, Musikstücken. Digitale Speichermedien schrumpfen von Jahr zu Jahr in 
der Grösse und im Preis und gewinnen an Kapazität. Beides macht die Weitergabe 
geistiger Inhalte so problemlos wie noch nie zuvor in der menschlichen 
Geschichte. Dass Teile dieser kostenlosen Distribution im Moment als illegal 
gelten, geht am Problem vorbei: Es ist technisch nicht möglich, diese 
Verbreitung zu verhindern, aber der Urheber erhält keinen Gegenwert für seine 
geistige Leistung."

Man kann sich zwar trefflich streiten, ob die Distribution "ganzer 
Bibliotheken" wirklich so kostenlos ist, wie hier - aus der privaten 
Nutzungsperspektive - beschrieben. Dennoch würde ich dem Verfasser recht geben, 
daß:

"Das Gefäss der Pandora ist geöffnet, und wird sich nie wieder verschliessen 
lassen. Die Digitalisierung lässt sich genau so wenig rückgängig machen wie 
einst der Buchdruck. Wir müssen uns mit der stark veränderten Realität 
arrangieren, ob es uns gefällt oder nicht."

Nun möchte ich hier nicht den Eindruck erwecken, die schwerstkriminelle 
"Herstellung, Distribution und Konsumtion" von Kinderpornographie sei 
vergleichbar mit der illegalen "Herstellung, Distribution und Konsumtion" von 
Raubkopien, die das Urheberrecht tangieren. Mir liegt nur daran zu 
verdeutlichen, in welchem Ausmaß wir mit medialen Realitäten konfrontiert sind, 
die man verstehen muß, wenn man über technische und rechtliche Instrumente 
nachdenkt, mit ihnen "fertig" zu werden.

Beste Grüße,
Kay Heiligenhaus

Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.