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Re: [InetBib] Ulmer-Brief an wiss. Autoren



Am 30 Mar 2009 um 14:17 hat Matthias Ulmer geschrieben:


Ihr Hinweis auf Lessing führt natürlich zu der Frage: wer ist wer?
Jeder nimmt wohl für sich in Anspruch, hier der Lessing zu sein und
gegen die Dogmatik des anderen anzukämpfen. Aber wer entscheidet,
wer
wer ist?

Ich natürlich nicht, aber ich würde gerne noch ein paar Beobachtungen
anfügen, die bei der Entscheidung hoffentlich hilfreich sein können:

- Selbst an unserer kleinen Hochschule habe ich zahllose Fälle miterleben
müssen, wo Verlage dem Wunsch der Promovierten nicht zugestimmt
haben, ihre Dissertation nicht nur als Print-Medium beim Verlag zu
veröffentlichen, sondern auch parallel auf dem Dokumentenserver der
Hochschule.
Versteht man das auf Verlagsseite als Freiheit der Autoren, selber zu
entscheiden, wo und wie ihre Werke veröffentlicht werden?
- Ganz zu schweigen von den vielen Fällen, wo Promovierte einen
Spießrutenlauf durch das Verlagswesen der gesamten Republik absolvieren
mussten, um überhaupt einen Verlag zu finden, der bereit war, die
Dissertation zu veröffentlichen. (Ich weiß: Das Dissertationswesen ist auf
dem besten Weg zu kollabieren.) Dabei konnte ich, mit Verlaub, nicht
immer erkennen, dass dabei qualitative Gesichtspunkte im Vordergrund
standen.
- Das zeigt meines Erachtens, dass die Verlage sich gerne als Beschützer
"ihrer" Autoren sehen, diese aber nicht selten in Wirklichkeit knebeln. Nicht
das Publikationswesen steht immer im Vordergrund, immer aber auch das
kommerzielle Interesse des Verlages.

- An unserer Hochschule ist es den Promovierten frei gestellt, ob sie ihre
Dissertation über den Dokumentenserver der Hochschule oder über einen
Verlag oder auf beiderlei Weise veröffentlichen. Letzteres geht natürlich nur
mit Zustimmung des Verlages und die wird in den meisten Fällen immer
noch verweigert.

- Es scheint mir auch kategorisch falsch, wissenschaftliche Autoren und
freie Schriftsteller in diesem Zusammenhang in einen Topf zu werfen.
Wissenschaftlich Tätige sind hierzulande üblicher Weise Beamte oder
Angestellte einer wissenschaftlichen Trägerinstitution. Ihre
Forschungsergebnisse basieren auf der Infrastruktur, die ihnen der Träger
zur Verfügung stellt. Und nicht zuletzt werden sie für ihre Arbeit bezahlt.
Vor diesem Hintergrund finde ich die Forderung der Rektorenkonferenz
durchaus vertretbar, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse, die
i.d.R. mit öffentlichen Geldern finanziert worden sind, nicht an kommerzielle
Verwerter weiter gegeben werden sollten, so dass man diese dann
wiederum mit öffentlichen Geldern zurück kaufen muss.

Man stelle sich einen Mitarbeiter eines Pharma-Unternehmens vor, der im
Labor und mit Auftrag seiner Firma ein neues Medikament entwickelt, um
nach Fertigstellung dann zu sagen: Ach, ich würde das Medikament gerne
einer anderen Firma für die Vermarktung anbieten (und mich an dem
Gewinn beteiligen) ...

Genau das geschieht aber, wenn ein Wissenschaftler seine
Arbeitsergebnisse einem Verlag gibt und nicht - was zugegebener Maßen
erst seit kurzem möglich ist - die Publikationsinfrastruktur der eigenen
Einrichtung nutzt. Dieses Verfahren hat sich im Laufe der Geschichte
dermaßen eingebrannt in unser Wissenschaftssystem, dass es nun
Verwunderung auslöst und man sogar die Verletzung von Rechten darin
sieht, wenn es in Frage gestellt wird.

Ich muß gestehen, dass auch ich  mir ungläubig die Augen gerieben habe,
als ich seinerzeit zum ersten Mal die entsprechende Verlautbarung der
Rektorenkonferenz gelesen habe.


Mit freundlichen Gruessen
Armin Stephan
Jefe de Biblioteca
Augustana-Hochschule / Bibliothek
D-91564 Neuendettelsau
Tel. 09874/509-300
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