[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [InetBib] About arXiv.org. CERN.



Herr Dietz bringt immer diese interessanten Zitate ... Also im Web 2.0 Zusammenhang ging's ihm da ja sicher um Community & Cooperation.


Karl Dietz schrieb, Am 01.08.2008 10:59:
ZUR METHODENFRAGE

»Heute« beklagte sich Herr K., »gibt es Unzählige, die sich öffentlich rühmen, ganz allein große Bücher verfassen zu können, und dies wird allgemein gebilligt. Der chinesische Philosoph Dschuang Dsi verfaßte noch im Mannesalter ein Buch von hunderttausend Wörtern, das zu neun Zehnteln aus Zitaten bestand. Solche Bücher können bei uns nicht mehr geschrieben werden, da der Geist fehlt. Infolgedessen werden Gedanken nur in eigener Werkststatt hergestellt, indem sich der faul vorkommt, der nicht genug davon fertig bringt. Freilich gibt es auch dann keinen Gedanken, der übernommen werden könnte. Wie wenig brauchen diese alle zu ihrer Tätigkeit! Ein Federhalter und etwas Papier ist das einzige, was sie vorzeigen können! Und ohne jede Hilfe, nur mit dem kümmerlichen Material, das ein einzelner auf seinen Armen herbeischaffen kann, errichten sie ihre Hütten! Größere Gebäude kennen sie nicht als solche, die ein einziger zu bauen imstande ist.«

Bert Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner, in: Gesammelte Werke, Band 12, Frankfurt / Main 1967, Seite 379 f

Hhm. Brecht, der bekennende Kommunist und DDR-Bürger. Was mag er damit gemeint haben? Vermutlich die nachgerade scholastische MEGA-Zitiererei der kommunistischen Wissenschaft, gleich in welchem Fach: ist doch a) das Gegenteil von Offenheit, b) das Gegenteil von Fortschritt.

Und das andere Zitat?
----
"Im Grunde aber sind wir alle kollektive Wesen, wir mögen uns stellen wie wir wollen. Denn wie weniges haben und sind wir, das wir im reinsten Sinne unser Eigentum nennen! Wir müssen alle empfangen und lernen, sowohl von denen, die vor uns waren, als von denen, die mit uns sind. Selbst das größte Genie würde nicht weit kommen, wenn es alles seinem eigenen Inneren verdanken wollte. Das begreifen aber viele sehr gute Menschen nicht und tappen mit ihren Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dunkeln. ... Es ist im Grunde auch alles Torheit, ob einer etwas aus sich habe oder ob er es von anderen habe; ob einer durch sich wirke oder ob er durch andere wirke: die Hauptsache ist, daß man ein großes Wollen habe und Geschick und Beharrlichkeit besitze, es auszuführen; ..."

Johann Wolfgang von Goethe (Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Berlin und Weimar, 1982, S.662 ff.)


Ich lasse mal den obligatorischen Zweifel an der Authentizität der Eckermann-Gespräche dahingestellt. Hier ist Goethe schon in klassischer Stimmung, und das lässt sich leicht interpretieren als Wendung gegen das eigene Originalgenie-Getöse im Werther. Bekanntermaßen hat Goethe ja auch Newton gelesen, der seine Principa mathematica begann mit dem Zitat, dass nun auch Google Scholar ziert: "auf den Schultern von Giganten". Das ist eine Bescheidenheitsgeste, die Goethe sich leisten konnte, weil er eben mehr produzierte als bloßes "Remix" des Vorhandenen. Oder mit einem anderen Zitat: "Was du ererbt von deinen Vätern / erwirb es, um es zu besitzen." Ist allemal noch Arbeit mit verbunden.

Damit dieser Kommentar hier nicht ganz so selbstzweckhaft stehen bleibt, noch die Anwendung auf Web / Bibliothek 2.0: wird Webzwonulliges selbstzweckhaft angewandt, ist es kein Gewinn. Ich denke mir, dass es nicht darauf ankommt, "Freaks" oder "Early Adopters" zu erreichen, sondern eine Zielgruppe. Und es ist immer auch eine Frage des Geldes, ob ich es mir leisten kann, erst die Anwendung zu schaffen und dann auf die Zielgruppe zu warten. (Google macht mit Knol gerade das umgekehrte, aber die haben ja Geld wie Heu.)

Schönes Wochenende!

J. Eberhardt (UB Erlangen-Nürnberg)



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.