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Re: [InetBib] Antw: Re: Nutzungsrechte an Diplom-, Master- und Bachelor-Arbeiten



Liebe Liste, lieber Herr Graf,

ich denke nicht, dass Österreich als Vorbild taugt. Was bedeutet es, wenn die Arbeit "durch Übergabe an die Bibliothek der Universität, an welcher der akademische Grad verliehen wird" und durch Abgabe an die Nationalbibliothek "veröffentlicht" wird? Das bedeutet, dass sie praktisch unsichtbar ist. Alle Bibliographien und bibliographischen DAtenbanken, die darauf beruhen, dass die erarbeitende Institution oder Person ein Stück in den Händen hat, dass sie aufnimmt, kann österreichische "veröffentlichte" Arbeiten nicht aufnehmen (wenn die nicht elektronisch publiziert wurden, selbstverständlich, aber das ist ja nicht Pflicht). Ein interessierter Wissenschaftler kann die Arbeit, wenn er denn trotzdem auf sie gestoßen ist, per Fernleihe bekommen: gegen hohe Gebühren und einige Monate Wartezeit, wenn ich da meinen beschränkten eigenen Erfahrungen traue. Nein, Österreich taugt nicht als Vorbild.

Gestern habe ich noch versucht, Ihren Links nachzugehen aus den Netbib-Einträgen zum "Milliardengrab". Das plakative Wort verdankt sich ja einer Studie von 2002 (?), die behauptet, dass der Wirtschaft jährlich 1,8 Mrd. entgehen würden. Die Studie ist leider nicht mehr zugänglich, und so kann man nur darüber rätseln, wie die Zahl zustandegekommen ist.

Ich wiederhole noch einmal meine Frage, wie denn die Kooperationen mit der Wirtschaft sich mit der geforderten Veröffentlichungspflicht vertragen: weil gerade dort das beteiligte Unternehmen ein Interesse daran hat, die geschaffenen Erkenntnisse allein zu nutzen. Es scheint mir durchaus plausibel anzunehmen, dass einige Unternehmen dann von für die Studierenden durchaus fruchtbaren Kooperationen abgeschreckt werden, dass also durch eine solche Pflicht weniger wirtschaftliche Werte entstehen als jetzt schon.

Im übrigen stimme ich Herrn Steinhauer darin zu, dass man die Veröffentlichung von Abschlussarbeiten lieber als wenn-dann-Beziehung sehen sollte: Wenn die Arbeit wissenschaftlich/wirtschaftlich interessant ist, dann sollte sie auch veröffentlicht werden. Aus der Tatsache, dass man in den 1920er Jahren einen Dr. bekam für einen 30seitigen Aufsatz auf dem Niveau einer heutigen guten Seminararbeit folgt allerdings nicht, dass darum heutzutage Seminararbeiten jedenfalls veröffentlicht werden sollten, und dasselbe gilt erst recht für Abschlussarbeiten. Besser (und viel schneller zu erreichen) wäre es wohl, wenn stattdessen Werkzeuge und Wege geschaffen würden, die Autoren guter Abschlussarbeiten zu einer zusätzlichen Veröffentlichung auf anderem Wege zu bringen. Ich denke mir dies nicht bloß als Filter, sondern auch als weiteren Verbesserungsprozess, so wie bei einer Diss zwischen der Einreichungs- und der veröffentlichten Fassung in der Regeln noch ein Überarbeitungsschritt liegt, der die Anregungen der Gutachter aufnimmt.

J. Eberhardt


Klaus Graf schrieb, Am 23.07.2008 19:22:
On Wed, 23 Jul 2008 15:32:19 +0200
 "Josef PAUSER" <j.pauser@xxxxxxxxxx> wrote:
Österreich: Die Regelung des Universitätsgesetzes 2002:

Vielen Dank fuer diese fundierten Auskuenfte.

Sollten wir nicht annehmen duerfen, dass der
oesterreichische Bundesgesetzgeber die
Veroeffentlichungswuerdigkeit von universitaeren
Abschlussarbeiten besser beurteilen kann als der
stellvertretende Direktor der Universitaetsbibliothek
Magdeburg?

Im uebrigen habe ich 1989 - also lange bevor ich etwas vom
Internet wusste - bereits ausfuehrlich zu dieser Frage
Stellung genommen:

http://www.db-thueringen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-6476/GrafDiplomarbeiten.pdf

Wenn der baden-wuerttembergische Landesgesetzgeber
seinerzeit eigens eine besondere Klausel zur
Pflichtablieferung solcher aus Archivalien erarbeiteter
Arbeiten im Archivgesetz verankert hat, spricht auch das
fuer den Wert dieser Arbeiten.

Wesentlich einsichtiger (und zutreffend) hat Steinhauer
2005 in dieser Liste ueber Pruefungsarbeiten geurteilt (ich
habe den Link bereits mitgeteilt):

"Sie stehen inhaltlich und von ihrem Umfang her
Dissertationen des frühen 20. Jahrhunderts nicht nach.
Diese Arbeiten werden aber aufgehoben. Dabei gerät leicht
in Vergessenheit, daß zur damaligen Zeit die Dissertation
die einzige Form der universitären Abschlußarbeit war.
Funktional ersetzt wurde sie erst Ende der 60'er Jahre
durch Magisterarbeiten und in bestimmten Fächern auch durch
die Diplomarbeiten."

Was geht ihn heute sein Geschwaetz von gestern an?

Klaus Graf





Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.