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Re: [InetBib] Enquetekommission empfiehlt inihremSchlussberichtBibliotheksgesetze



Apropos "sprachliche Unschärfe":

Es gibt ja eine alte Diskussion darüber, ob man "öffentliche Bibliothek"
groß oder klein schreiben sollte.
Dieser Frage wird durch die Kleinschreibung meist ausgewichen,
um keine bibliothekswissenschaftliche Position beziehen zu müssen.
Ich neige allerdings dazu, bei "Wissenschaftlichen Bibliotheken" oder
"Öffentlichen Bibliotheken" diese durchaus groß zu schreiben,
um damit u.a. deutlich zu machen, dass die "Wissenschaftliche Bibliothek"
bibliothekarisch betrachtet eine bibliothekarische Bezeichnung ist,
für eine Bibliothek, die Wissenschaftler/innen mit Publikationen versorgt,
die sie für ihre Wissenschaft brauchen.
Es legt also die Definition der Bibliothek zugrunde
("Die Bibliothek ist eine Einrichtung, die unter archivarischen,
ökonomischen und synoptischen Gesichtspunkten publizierte Information
für die Benutzer sammelt, ordnet und verfügbar macht."),
und schränkt diesen Oberbegriff auf eine Zielgruppe der Benutzer ein.
Wissenschaftler als solche zu identifizieren ist dabei im Prinzip kein
Problem.
Dass man allerdings diese Abgrenzung nicht zu rigide handhaben sollte ist
auch klar, wenn man an all diejenigen denkt, die wissenschaftlich tätig
werden möchten (Studierende, Abiturienten etc.).
Ob eine Wissenschaftliche Bibliothek öffentlich zugänglich und damit eine
öffentliche Bibliothek ist, ist somit eine Frage für sich.
Bei der "Öffentlichen Bibliothek" sehe ich das ähnlich. Sie ist eine
Bibliothek, die beispielsweise von einer Kommune der dortigen
Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird. Welche Öffentlichkeit sie
dann unter welchen Bedingungen zulässt, ist ebenfalls eine Frage für sich.
Es sei hier z.B. nur an Altersbegrenzungen oder den sog. "Giftschrank"
erinnert. Wir haben bekanntlich zahlreiche "Öffentliche Bibliotheken"
in sehr unterschiedlicher Trägerschaft.

Im Prinzip kann man Juristen nicht übel nehmen, wenn ihnen eine Wissenschaft
auf deren geistigem Territorium sie sich bewegen müssen, ihnen nicht die
entsprechende Terminologie zur Verfügung stellt, und dass dies zwangsläufig
zu terminologischer Unschärfe führt. Darum ist ja auch bekannt,
dass es einen Unterschied macht, ob man vom Urheberrecht oder vom
Copyright spricht, dass sich aber wissenschaftlich gesehen dahinter
verbirgt,
dass man sich hier einerseits unbewusst auf  die Information (Urheberrecht)
und andererseits auf die Redundanz (Copyright) bezieht, wird im
allgemeinen nicht wahrgenommen, und das ist ein großes Problem, das
die Juristen nicht verstehen können, wenn es ihnen nicht von einer
ausreichend großen kritischen Masse von Experten deutlich gemacht
werden kann. Verlage versuchen gern alles was sie produzieren als
hochwertige Information zu deklarieren und einzeln bezahlen zu lassen,
obwohl sie grundsätzlich eigentlich nur die Kopien verlegen,
und in diesen bekanntermaßen viel Schrott, um es bildlich auszudrücken.

Wie weit eine Bibliothek öffentlich ist, wird ja inzwischen bei den
Verträgen, wer unter welchen Bedingungen Zugang haben darf,
längst hochdifferenziert (ich erinnere nur an die sog. Wissensbank
bei de Somples SFX) geregelt.
Hier wird im Moment wie auf einem Marktplatz gefeilscht und getrickst.

Die Leistungsfähigkeit eines Bibliotheksgesetzes wird maßgeblich davon
abhängig sein, wie klar die Worte die darin Verwendung finden,
definiert sind. Darum haben ja viele an der Leistungsfähigkeit von
Bibliotheksgesetzen Zweifel, weil sie sehr leicht weniger Wert sein können,
als das Papier auf dem sie stehen. Die Gegner solcher Gesetze haben
also die Aufgabe, sie für Bibliotheken möglichst restriktiv zu machen,
und wenn sich dies nicht durchsetzen lässt, möglichst zweideutig.

Wer also in der Bibliothekswissenschaft Freunde hat, die gegen klare
Definitionen sind, braucht keine Gegner mehr, er hat sie bereits.
Leider gilt aber das Motto: "Viel Feind, viel Ehr.", nur bei Siegern nicht
bei
den Verlierern ;-)
Ansonsten bin ich der Meinung, dass man sich um die Zukunft der
Bibliotheken keine Sorgen machen muss. Es überleben ohnehin nur die Staaten,
die die besten Bibliothekssysteme haben - um es mal darwinistisch zu sagen
:-).

MfG

W. Umstätter







----- Original Message -----
From: "Harald Müller" <hmueller@xxxxxxx>
To: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Thursday, December 13, 2007 12:05 PM
Subject: Re: [InetBib] Enquetekommission empfiehlt
inihremSchlussberichtBibliotheksgesetze


Lieber Herr Steinhauer!

Ich hatte Ihre Bemerkung dahingehend verstanden, daß Sie sich auf die
Überschrift zu Abschnitt 3.1.2.3 Öffentliche Bibliotheken (Bundestag
Drucksache
16/7000) S. 129 beziehen. Schon auf dieser Seite ist jedoch auch von
Staats-,
Universitäts-, Hochschul- usw. Bibliotheken die Rede.

Mein eleganter Schlenker zum Urheberrecht hat inhaltlich nichts mit dem
Bericht
der Enquete-Kommission zu tun. Ich wollte nur auf die sprachliche
Unschärfe
hinweisen.

Jedoch: Mir fällt auf, daß Sie meine Frage noch nicht beantwortet haben.
Deshalb
nochmal:

"Im neuen § 52b UrhG steht "öffentlich zugänglicher Bibliotheken". Im
neuen §
53a
UrhG lesen wir dagegen mit Erstaunen die Worte "öffentliche Bibliotheken".
Sind
somit wissenschaftliche Bibliotheken zukünftig vom Kopienversand "für
Zwecke der
wissenschaftlichen Forschung" ausgeschlossen?"

Sie sollten sich Ihre Antwort sorgfältig überlegen! Wir führen eine
öffentliche
Diskussion; die halbe Welt kann mitlesen. Wenn Sie meine Frage mit JA
beantworten, gerät der Kopienversand in Deutschland in Schwierigkeiten (um
es
vorsichtig auszudrücken).

8-); (= hinterhältig verschmitzt lächelnd)

--
Dr. Harald Müller

Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht /
Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law
and International Law / Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx

-----Original Message-----
From: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] On Behalf Of Eric Steinhauer
Sent: Thursday, December 13, 2007 11:41 AM
To: Internet in Bibliotheken
Subject: Re: [InetBib] Enquetekommission empfiehlt in
ihremSchlussberichtBibliotheksgesetze

Lieber Herr Müller,

der Streit um Worte ist in der Tat die Lieblingsbeschäftigung von uns
Juristen.
So gesehen, darf man dem Gesetzgeber dankbar sein, wenn er sich nicht
präzise
ausdrückt. :))

Waren Ihre Ausführungen zu meiner Ansicht zu § 52b UrhG ein wörtliches
Zitat?
Über methodische Fragen der Auslegung im Bereich der urheberrechtlichen
Schranken
können wir uns an anderer Stelle ja noch einmal unterhalten.
:)
Aber Sie haben recht: Ich halte § 52b UrhG durch Auslegung und vor allem
Analogie(!) für nicht reparierbar. Aber das ist heute ja nicht Thema.

Sie sprechen eine terminologische Unschärfe im deutschen Urheberrecht an,
wonach
"öffentliche Bibliotheken" im wesentlichen die öffentlich zugänglichen
Bibliotheken sind. Unter diesen Begriff der öffentlichen Bibliotheken
fallen, da
ist sich die Kommentarliteratur nach meiner Kenntnis wohl einig, natürlich
auch
die wissenschaftlichen Bibliotheken an den Hochschulen, mitunter sogar
Behördenbibliotheken. Öffentlich ist in Abgrenzung zu privat zu verstehen.

Ich bezweifle aber, dass die EK Kultur sich hier vom Urheberrecht hat
inspirieren lassen.

Zwar werden in der Einleitung des Berichts auch die wissenschaftlichen
Bibliotheken, ja die gesamte deutsche Bibliothekslandschaft erwähnt, wenn
es
aber um die Frage nach einem Bibliotheksgesetz geht, verengt sich der
Blick der
Kommission doch sehr eindeutig:

"Eine ... rechtliche Normierung gibt es für kommunale Bibliotheken nicht.
Kommunale Bibliotheken sind Kultureinrichtungen und zählen zu den
freiwilligen
Aufgaben der Kommunen - sie sind nicht ausdrücklich als kommunale
Pflichtaufgabe
normiert."
S. 129 f.

Und hier kommt dann die Empfehlung:

"Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, Aufgaben und Finanzierung
der
öffentlichen Bibliotheken
in Bibliotheksgesetzen zu regeln. Öffentliche Bibliotheken sollen keine
freiwillige Aufgabe sein, sondern eine Pflichtaufgabe werden."
S. 132

Dieser Satz kann sich, betrachtet man die einleitende Passage auf S. 129
f. nur
auf die öffentlichen Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft beziehen,
antiquiert ausgedrückt, die (Volks)Büchereien.
Wie sollte auch eine Hochschulbibliothek eine Pflichtaufgabe sein? Dieser
Begriff entstammt dem Kommunalrecht!

Ich bleibe dabei, dass die konkrete gesetzgeberische Handlungsempfehlung
einen
wichtigen Teil des deutschen Bibliothekswesens, nämlich die
wissenschaftlichen
Bibliotheken, ausspart.
Das ist schade und nicht auf der Höhe der Zeit!

Wenn ich hier nicht genau gelesen habe, dann zeigen Sie doch eine Stelle,
aus der etwas anderes hervorgeht. Ich wäre dafür wirklich dankbar.

Aber vielleicht meinen Sie ja dies: Da die EK in ihren Ausführungen immer
wieder
Projekte und Dienstleistungen auch der wisseschaftlichen Bibliotheken
anspricht,
könnte man diese Sätze mehr betonen:

"Wichtiger Bestandteil einer Reform des Bibliothekwesens in Deutschland
muss
eine rechtliche Aufwertung von Bibliotheken sein. Mehr Verbindlichkeit und
Unterstützung könnten Bibliotheken durch eine rechtliche Festschreibung in
Form
von Bibliotheksgesetzen erfahren."
S. 131

Hier kann man durchaus auch die wissenschaftlichen Bibliotheken
hineinlesen,
die gehören ja auch zum "Bibliothekswesen in Deutschland".

Allerdings fürchte ich, dass der Begriff "Bibliotheksgesetz" im zweiten
Satz
wieder in der üblichen engen Sicht verstanden wird, die sich in der
Handlungsempfehlung niedergeschlagen hat.

Diese Sicht geistert seit mehr als 50 Jahren durch das deutsche
Kulturrecht.
Danach gehören die wissenschaftlichen Bibliotheken ins Hochschulgesetz,
die
"Volksbüchereien" sollen ein Bibliotheksgesetz bekommen. Vgl. schon
Süsterhenn/
Schäfer, "Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz" (!950), S. 176.

Dennoch sagt die EK Kultur: "Wichtiger Bestandteil einer Reform des
Bibliothekwesens in Deutschland muss eine rechtliche Aufwertung von
Bibliotheken
sein."

Das ist für mich der wichtigste Satz in dem ganzen Abschlussbericht, wenn
es um
die Projektierung von Bibliotheksgesetzen geht. Hier kommt das ganze
Bibliothekswesen in den Blick, also auch die wissenschaftlichen
Bibliotheken.
Nur, leider, ist das nicht Gegenstand der abschließenden
Handlungsempfehlung.
Der Jurist freilich hat gelernt, auch aus "obiter dicta" Honig zu saugen.

In diesem Sinne herzliche Grüße
Eric Steinhauer










Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.