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AW: AW: AW: [InetBib] Studiengebühren und Gruppenegoismen
Zu Peter Delins Anmerkungen:
Sehr wahr! Die Stadtbibliotheken, z.B. in Berlin, verengen ihr
Angebotsspektrum - nicht nur wegen knapper Finanzmittel, sondern
aus grundsätzlichen, geradezu ideologischen Gründen immer mehr auf ein
Publikum, das von ihnen als leicht und effektiv zu erreichende Klientel,
eben als handhabbare Zielgruppe eingeschätzt wird, die hohe
Ausleihzahlen verspricht.
Das sind in erster Linie:
- Kinder und Jugendliche
- Unterhaltungsliteratur- und Bestseller-Leser,
- im Sachbuchbereich: Konsumenten, die mit den Standing-Order-Angeboten
der
EKZ zufrieden sind (das sich nach eigenen Aussagen von
EKZ-Mitarbeitern
an den Wünschen orientiert, die in kleinen Mittelstadtbibliotheken mit
ca.
50 000 E. auftreten),
- DVD-, Musik-CD-, Hörbücher- und andere Nonbook-Konsumenten, die extrem
beliebt sind, weil ihre Massenausleihen die Statistik wunderbar nach
oben
treiben.
Der qualifizierte Bestandsaufbau für ein anspruchsvolles
Großstadtpublikum
findet im Bereich der Sachliteratur nur noch in engen Grenzen statt,
wird immer stärker nivelliert und gedeckelt durch die vom Rechnungshof
geforderte und von den Bibliotheksleitungen bereitwillig akzeptierte
Festlegung auf Standing Order-Bestellungen, sei es bei der EKZ oder bei
bestimmten Buchhandlungen, denen man im Rahmen eines summarisch
formulierten Profils oder unter Nennung begrenzter Sonderwünsche
überlässt, was sie für den Bestandsaufbau der Bibliothek vor Ort für
richtig halten.
Wenn gelegentlich mit Sondermitteln qualifiziertere Einführungen und
Standardwerke z.B. in die Naturwissenschaften gekauft werden konnten, so
stand schnell der Vorwurf im Raum: Das sei Literatur der Stufe III und
die solle eigentlich gar nicht mehr für eine normale öffentliche
Bibliothek angeschafft werden! Dabei handelte es sich in diesem Fall um
den Bestandsaufbau einer Zentralbibliothek für einen Bezirk mit 250 000
E. und zahlreichen studentischen LeserInnen!
An alle Bestandsgruppen wird die gleiche Elle der Ausleih- und
Umsatzzahlen
angelegt, ohne zu differenzieren und nach dem besonderen Charakter
bestimmter Sachgruppen zu fragen, wie z.B. der regional- und
heimatkundlichen Literatur. Hat der Bestand dort eine bestimmte Tiefe
erreicht, dann drückt das logischerweise trotz hoher absoluter
Ausleihzahlen auf die Umsatzquote und das führt in der Logik unserer
Marketingexperten zur Reduzierung der Etatmittel, was natürlich erst
recht zu einem Absinken der Effizienzkennziffern führt, aber nicht
beweist, dass die Leser kein starkes und berücksichtigenswertes
Interesse an qualifizierter Literatur zu diesem Themengebiet haben und
dass der Bestandsaufbau nicht sachgerecht ist.
Zwar kann man im Kinder- und Jugendbereich immerhin noch für sich in
Anspruch nehmen, etwas gegen PISA-Schock und Lernschwächen der
zukünftigen
Generationen zu tun, aber die Ausschließlichkeit, mit der
Programmarbeit, Veranstaltungen, inhaltliche Aktivitäten jenseits der
Medienbereitstellung und Auskunftstätigkeit fast nur noch im Kinder- und
Jugendbereich stattfinden, wirft die Frage auf, ob die Stadtbibliotheken
unter diesen Umständen noch ihren Vermittlungsauftrag gegenüber der
Gesamtheit der Bevölkerung erfüllen.
Sie machen sich zum Aushilfsorgan für die Aufgaben, die zum großen Teil
qualifizierte Kita-ErzieherInnen und LehrerInnen zu erfüllen haben und
reduzieren sich im Erwachsenenbereich immer mehr zu Ausleihmaschinen für
umsatzstarke Mainstream-Medien. Der Anpassungsprozess an
Marktmechanismen gipfelt dann in umfangreichen Anschaffungen, bei denen
die inhaltliche Qualität überhaupt nicht mehr Kriterium des
Bestandsaufbaus ist, sondern einzig die von Buchhandel und Verlagswesen
behauptete oder durch Werbekampagnen herbeigeführte Eigenschaft,
"Bestseller" zu sein.
Diese "Bestseller" vielfach zu staffeln und für deren Ausleihe
Sondergebühren von 2 € oder 2,50 € pro Stück zu fordern, wird von einer
wachsenden Anzahl öffentlicher Bibliotheken als besonders innovativer
Service dargestellt - mit höchster Absegnung von oben (s. dazu die
Antwort des Berliner Senats vom 15.3.2006 auf die Kleine Anfrage der
Abgeordneten
Alice Ströver vom 3.2.2006 zur Bestseller-Sondergebühr in Bibliotheken,
Drucksache 15/13212).
Wenn sich in deutschen öffentlichen Bibliotheken - zwar mit großer
Verspätung, aber immerhin - jetzt in zunehmendem Maße die Erkenntnis
durchsetzt, dass viel mehr als bisher für eine Gruppe der Bevölkerung
getan werden muss, die in manchen Städten oder Stadtteilen schon 20 oder
30 % der Einwohnerschaft ausmacht: die Migranten oder Menschen mit
Migrationshintergrund, so stellt sich diese Einsicht bei manchen
Bibliotheksleitungen nicht deshalb ein, weil die Migranten das gleiche
Recht wie alle anderen Mitbürger auf die für sie wichtigen und
notwendigen Bibliotheksdienstleistungen in ihrem Gemeinwesen haben (z.B.
neben Deutschkursen etc. auch auf ein qualifiziertes Angebot an
Literatur in ihren Herkunftssprachen), sondern weil sie als Zielgruppe
entdeckt werden, der man planungs- und ausleihmäßig etwas abgewinnen
kann.
Folgerichtig wehrt man sich heftig gegen ach so veraltete Begriffe wie
Soziale Bibliotheksarbeit (obwohl alle Bibliotheksarbeit sozial sein,
d.h. sich auf die Gesellschaft beziehen sollte) und beschwört: auch die
Multi- oder Interkulturelle Bibliotheksarbeit ist nichts anderes als
eine Marketingaufgabe!
Ist sie nicht zuallererst deswegen eine wichtige Aufgabe, weil unser
demokratisches Menschen- und Gesellschaftsbild sie erfordert?
Mit freundlichen Grüßen,
Frauke Mahrt-Thomsen / Berlin
Akribie - Arbeitskreis kritischer BibliothekarInnen
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Delin, Peter
Gesendet: Montag, 10. Dezember 2007 14:20
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: AW: AW: [InetBib] Studiengebühren und Gruppenegoismen
Diese Extragebühren für Externe, wie hoch sie auch immer sein mögen (die
30,- Euro summieren sich ja zu den Gebühren in anderen Bibliotheken)
verschärfen m.E. noch mehr ein zentrales Problem der
Bibliotheksentwicklung in Deutschland, nämlich den immer weitergehenden
Ausschluss der allgemeinen Bevölkerung von qualifizierter, auch
wissenschaftlicher Information. Wer nicht das Glück hat, in Berlin,
München, Hamburg, Köln oder anderen zentralen Großstädten zu leben, hat
dazu immer weniger Zugang - oder: wie Kurt Beck schon feststellte, 80%
der Bevölkerung leben außerhalb der großen Städte.
Vorangetrieben wird diese Entwicklung von der herrschenden
berufsständischen ÖB-WB-Ideologie, nach der Ö(!)ffentliche Bibliotheken
ihr Angebot immer mehr nach Zielgruppen ausrichten (Senioren ab 50,
Mütter, Migranten, Arbeitssuchende, Analphabeten u.ä. - zur Not findet
sich immer eine Zielgruppe) oder sich gleich ganz als Kinder- und
Jugendbibliothek verstehen. Für qualifizierte Angebote wie
Voltextdatenbanken haben sie kein Geld, sie sind kaum vernetzt und die
notwendige Qualifizierung wird auch nicht überall besonders
großgeschrieben. Wenn jetzt auch noch die Universitätsbibliotheken,
eigentlich die einzige durchgängige Infrastruktur für freie
wissenschaftliche Information in Deutschland, die Externen immer mehr
ausschließen, bleibt das nichtakademische Publikum außerhalb der großen
Zentren allein auf die Massenmedien und den eigenen Internetanschluss
mit kostenlosen Angeboten angewiesen, eine Entwicklung, die in einer
demokratischen Gesellschaft niemand wollen kann. Die Lösung kann m.E.
nur darin liegen, dass sich alle öffentlich finanzierten Bibliotheken
als ein Netz verstehen und sich entwickeln, mit einem
diskriminierungsfreien Zugang für alle.
Viele Grüße aus Berlin
Peter Delin
Zentral- und Landesbibliothek Berlin
http://www.zlb.de/wissensgebiete/kunst_buehne_medien/videos
http://buecherei.netbib.de/coma/Filmrecherche
http://buecherei.netbib.de/coma/Filmliteratur
http://dvdbiblog.wordpress.com/
-
Scheuble, Robert schrieb:
Lieber Herr Wolf, liebe Liste,
die Angaben zu den Konstanzer Gebühren für Externe sind schon länger
überholt. Seit dem 01.08.2007 betragen die Gebühren für Externe in
Konstanz wahlweise 3 EUR pro Ausleihe, 10 EUR pro Monat oder 30 EUR pro
Jahr. Alle Personen in Ausbildung, Empfänger von ALG I, II o.ä. sind
berechtigterweise von der Gebühr befreit
<http://w3.ub.uni-konstanz.de/v13/volltexte/2007/4232//pdf/heft86.pdf>.
Auch wenn ich selbst kein Freund von Benutzungsgebühren bin - weder in
öffentlichen noch in wissenschaftlichen Bibliotheken -, kann ich hier
kein problematisches "Gebühren-Wettrüsten" erkennen.
Mit freundlichen Grüßen
Robert Scheuble
Dr. Robert Scheuble
Bibliotheksleiter
---------------------------------------
Bibliothek der PH Schwäbisch Gmünd
Oberbettringer Straße 200
73525 Schwäbisch Gmünd
Tel.: 07171 / 983-338
E-Mail: Robert.Scheuble@xxxxxxxxxxxxxxx
Home: http://bibliothek.ph-gmuend.de
---------------------------------------
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Sebastian Wolf [mailto:sebastian.wolf@xxxxxxxxxxxxxxxx]
Gesendet: Montag, 10. Dezember 2007 10:35
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: AW: [InetBib] Studiengebühren und Gruppenegoismen
Hallo Herr Rohde, liebe Liste,
Rohde Bernd Martin schrieb:
Mir fällt nur die Geschichte in Konstanz ein. Da haben die
Studenten
gefordert, dass nichtstudentische Benutzer in der UB
Benutzungsgebühren zahlen sollen. Was ist eigentlich daraus
geworden?
Externe Nutzer zahlen in Konstanz wahlweise eine Gebühr von
56 Euro pro Jahr oder 14 Euro pro Monat. Siehe dazu:
- den Beitrag im Blog von Eric Steinhauer:
http://bibliotheksrecht.blog.de/2007/05/10/benutzungsgebuhren_
an_der_ub_konstanz~2243838
- den Beitrag im Blog Von Jakob Voß (inkl. Kommentar des Astas der
Uni
Konstanz):
http://jakoblog.de/2007/05/10/studierende-in-konstanz-fuer-meh
r-gebuehren/
- den Inetbib-Thread:
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg33335.html
Herr Voß schreibt ganz treffend in seinem Blog:
<zitat>
Alles wird versucht gegeneinander aufzurechnen und die
Spriale des Gebühren-Wettrüstens kann losgehen. Das
Leistungen wie Bildung und Bibliotheken kostenlos angeboten
werden und für eine offene Gesellschaft unabdingbar sind,
passt da wohl nicht ins Konzept.
</zitat>
Viele Grüße
Sebastian Wolf
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