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[InetBib] Studiengebühren und Gruppenegoismen
- Date: Sun, 09 Dec 2007 20:15:17 +0100
- From: Thomas Kees <t.kees@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] Studiengebühren und Gruppenegoismen
Liebe Liste,
im Saarland, einem bekanntlich armen, dennoch gegen innerdeutsche und
auch französische Zudringlichkeiten von Bevölkerung und derzeit
herrschendem politischen Personal gleichermaßen energisch verteidigten
Land (http://www.youtube.com/watch?v=hLRwJLR1KgU), wurden mit Beginn
des Wintersemesters 2007/08 Studiengebühren eingeführt. Diese belaufen
sich in den ersten beiden Semestern zum Anfixen auf EUR 300, die dann
nach eingetretener Abhängigkeit ab dem dritten Semester auf EUR 500
angehoben werden. Die so erhobenen Mittel werden an der Universität
des Saarlandes (UdS) unter Einbeziehung und Mitbestimmung der
Studierenden und der Studiendekane zu 70% den Fakultäten zugewiesen.
30% stehen für zentrale Aufgaben zur Verfügung,. Dies bedeutet
natürlich nicht, dass dieser Anteil automatisch den Zentralen
Einrichtungen zufließt, denn die Mittel werden als Projektgelder zur
Verfügung gestellt, über deren Bewilligung ein aus Studierenden und
Vertretern des Präsidiums zusammengesetzter Ausschuss befindet.
Projektanträge können von jedem Angehörigen der UdS eingereicht
werden. (Die Studierenden kamen so bereits in den Genuss einen
USB-Stöckchens, auf das nach Bedarf das eigene Konterfei aufgedruckt
werden und das mit Marketing- und Infomateial der UdS befüllt werden
kann => Finanzierungsaufwand für den 1 GB-Stock: EUR 160.000. Somit
konnten hier von den Studierenden immerhin EUR 10 pro (aufgedruckter)
Nase erfolgreich "refinanziert" werden, denn von einem USB-Stock hat
man ja was).
Auch die SULB hat mehrere Projektanträge gestellt, darunter einen auf
eine Campuslizenz für ein Literaturverwaltungprogramm, für das bislang
nie Geld aufzutreiben war. Die Studierenden haben das Projekt
bewilligt und sich aus der Masse der Angebote für eine
betriebssystemsunabhängige Webdatenbank entschieden, deren Betreiber
eine recht liberal gehandhabte und einfache Selbstregistrierung
erlaubt. Diese Bewilligung wurde jedoch an mehrere Auflagen geknüpft.
Drei sind sinnvoll und leicht zu erfüllen: Datenexport bei
Hochschulwechsel, dauernde Schulungen, Integration in die
E-Learning-Plattform der UdS. Die vierte Bedingung aber stimmt mich
unfroh. Der Zugang soll ?aus politischen Gründen? auf
gebührenpflichtige Studierende begrenzt werden, obwohl damit keine
Kostenreduzierung zu erreichen ist und der Anbieter selbst eine solche
Reglementierung in keiner Weise verlangt.
Als Mitarbeiter einer Bibliothek, die bisher immer bestrebt war, einen
möglichst ungehinderten campusweiten (oder authentifizierten Remote-)
Zugriff für alle Angehörigen der sie tragenden Institution und
physisch anwesende Tagesbesucher durchzusetzen, stehe ich dieser
Forderung einigermaßen rat- und fassungslos gegenüber. Die SULB hat
immer alles daran gesetzt, gruppenspezifische Eingrenzungen (die mit
Shibboleth und ähnlichen Mechanismen problemlos möglich wären bzw.
möglich sein werden), gegenüber Anbietern abzulehnen und einen
diskriminierungsfreien Zugang sicherzustellen. Also freie Fahrt für
freie UdS-Angehörige und Besucher (lieber Herr Graf, ich kann mir
denken, was Sie einwenden möchten. Lassen Sie stecken. Wir können
trotz des Einsatzes öffentlicher Mittel nicht die ganze Nation
beglücken. Obwohl wir es gerne würden).
Nun sehen wir uns erstmals mit der Forderung konfrontiert, diesen
weitgehend freien Zugang künstlich zu beschränken, weil die Nachfrager
- und nicht der Anbieter - dies so wünschen. Unabhängig von dem
"Verwaltungs-Overhead", den es mit sich bringen würde, ein technisches
Filterverfahren einzusetzen oder die SULB als Registrar
zwischenzuschalten, ist natürlich auch das Konzept gefährdet. Der
direkte Zugang zu einem solchen System, die Möglichkeit zur spontanen,
selbständigen Registrierung, d.h. zum Schnuppern und Ausprobieren für
alle, die daran Interesse haben, trägt wesentlich zur Verbreitung der
Software und damit zum Erfolg des ?Projektes? bei. Dies schließt
Dozenten und Tutoren selbstverständlich ein (die sich, das sei
fairerweise hinzugefügt, nach einer Selbstverpflichtung, das Programm
in Lehrveranstaltungen einsetzen zu wollen, auch nach den jetzt
festgelegten Bedingungen ebenfalls registrieren dürfen).
Dennoch erscheint mir die Forderung widersinnig, und weitere absurde
Szenarien wären leicht denkbar. Die Öffnungszeiten mancher
Bibliotheken werden durch Finanzierung aus Studiengebühren
ausgeweitet? Stellen Sie ab 22 Uhr Schilder auf: Mitarbeiter und
Professoren müssen draußen bleiben! E-Book-Pakete werden über
Studiengebühren finanziert? Stellen Sie sicher, dass der Klick auf das
PDF nicht von einem Professorenfinger ausging. Es würde dann nicht
lange dauern, bis auch andere Gruppen Sonderrechte einfordern oder
zugebilligt bekommen würden. Datenbank besonders teuer? Zugriff nur
für (wenige) Professoren und Mittelbauer. Zusätzlich vielleicht für
Studierende mit (nachgewiesen) hohem IQ (also nach dem sog. Freiburger
Modell). Willkommen in Absurdistan ...
Wenn Sie es geschafft haben, bis hierher durchzuhalten (die anderen
lesen dies ja eh nicht mehr ;-), einige Fragen: haben Sie bereits
ähnliche Erfahrungen gemacht? Sahen oder sehen Sie sich Forderungen
gegenüber, aus Studiengebühren finanzierte Informationsmittel
Studierenden vorzubehalten? Und falls ja: wie sind Sie diesen
Forderungen begegnet?
Fragt, noch immer (aber hoffentlich nicht mehr lange) etwas ratlos,
Thomas Kees
P.S. Mir (als dem Fragesteller) geht es nicht um die Motivation der
Studierenden (da Diskussionen auf InetBIB ja mitunter eine gewisse
Eigendynamik entwickeln, die das ursprüngliche Thema ein wenig in den
Hintergrund rücken lassen). Auch mir ist klar, dass für alle Gruppen
relevante Informationsressourcen aus zentralen Mitteln und nicht aus
Studiengebühren finanziert werden müssten. Auch mir ist klar, dass wer
zahlt, in der Regel auch die Musik bestimmt. Ich kann mir aber nicht
vorstellen, dass ein Musikbezahler die Umstehenden zwingen könnte,
sich die Ohren zuzuhalten. Zumindest nicht, wenn die Umstehenden dies
nicht selbst wollen.
--
Thomas Kees
O,O Saarlaendische Universitaets-
/(^^)\ und Landesbibliothek
" "
Leiter der Abteilung Technische Dienste
Fachreferent Wirtschaftswissenschaften
Tel.: +49 (0)681/302-58031
Fax: +49 (0)681/302-2796
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