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[InetBib] "Klassenrassismus"
- Date: Thu, 25 Oct 2007 09:52:32 +0200 (CEST)
- From: Eric Steinhauer<eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] "Klassenrassismus"
Liebe Frau Da Rin,
wer Bourdieu liest, kann auch simplere Text wie mein posting in dieser Liste
sicher richtig verstehen. Vielleicht haben Sie die Anführungsstriche bei den
Proleten übersehen? Unter diesen Begriff Personen zu subsumieren, die aus
bildungsfernen Schichten stammen, gibt mein Text nicht her.
Mit Proleten sind - aus dem Kontext der Aussage - nicht Angehörige irgendeiner
Unterschicht gemeint, sondern ein Habitus. Wer sein Studium allein aus
Statusgründen betreibt ohne inneres Interesse an der Sache, mag soziologisch
Akademiker sein, nicht aber von seiner Einstellung her. Der "Akademiker"
vierter Generation (Rechtsanwaltstocher oder Arztsohn) kann durchaus ein
promovierter "Prolet" sein. Man kann diese Spezies, die gerade den begüterteren
Elternhäusern entstammt (hier wären auch die Aussagen der von Ihnen erwähnten
Hochschulforschung anzusiedeln) und sich in Kleidung und Verhalten sehr
statusbetont gibt, an unseren Universitäten, insbesondere an der juristischen
Fakultät gut beobachten.
Wenn Sie also Begriffe als vemeintlich politisch inkorrekt kritisieren, so
jedenfalls fasse ich Ihre Schelte des "Klassenrassismus" auf, sollten Sie
zunächst Ihr eigenes Vorverständnis hinterfragen. Man erliegt leicht der
Versuchung, dieses an die Stelle des im Text Gemeinten zu setzen.
Um Ihr Bild des "Klassenrassisten" ein wenig ins Wanken zu bringen, erlaube ich
mir eine kleine biographische Anmerkung in eigener Sache: In meiner Familie
gibt es weder väterlicher- noch mütterlicherseits irgendwelche studierten
Personen oder gar Abiturienten. Mein Vater war weitergebildeter Hilfsarbeiter
ohne Berufsausbildung, mein bereits verstorbener Halbbruder KFZ-Schlosser ohne
Schulabschluss. Nennenswerte Bücherschätze und Bildungsanregungen gab es,
abgesehenvon einer positiven Grundeinstellung zu Lernen und Bildung, in meinem
Elternhaus nicht. Den Zugang zu dazu haben mir die Schule und vor allem die
Bibliotheken vermittelt. Hierfür bin ich zutiefst dankbar.
Der Aussage, die gesellschaftlichen Umstände bestimmten die Neugier des
einzelnen, kann ich nur mit großen Vorbehalten zustimmen. Abgesehen von
wirklich pathologischen Umständen wie Sucht der Eltern oder häuslicher Gewalt
ist es letztlich eine Entscheidung des einzelnen, ob er Bildung oder Ballermann
will. Der Prolet im Geiste wird Ballermann wählen, mag er finanziell auch
begütert sein und seine intellektuelle Dürftigkeit mit akademischen
Feigenblättern schmücken.
Die von mir hier gebrauchte Differenzierung zwischen Akademiker im
soziologischen und im eigentlichen Sinn ist übrigens nicht neu. Da es in dieser
Diskussion guter Brauch geworden ist, dem geneigtem Publikum Bücher und Texte
zur weiteren Lektüre zu empfehlen, will ich nicht nachstehen: Josef Pieper, Was
heißt akamisch?, in: ders., Werke in acht Bänden, Bd. 6, Hamburg 1999, S. 72 ff.
Eric Steinhauer
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.