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Re: [InetBib] [open] Kapuziner-Bibliothek aus Roudnice nad Labem



Armin Stephan schrieb am 16.3.2007

Um nicht falsche Vorstellungen  und Mythen entstehen zu lassen:

Nach meiner Kenntnis handelt es sich bei den Kapuziner-Beständen,
die von der UB Eichstätt übernommen worden sind, nun gerade
nicht um eine solche geschlossene, wertvolle, historische
Klosterbibliothek.

Vielmehr handelt es sich dort um die Übernahme eines
Aussonderungslagers der Kapuziner. An verschiedenen Orten
mit  Kapuzinerniederlassungen ausgesonderte Bestände mit sehr
unterschiedlicher Güte wurden an einem Ort gesammelt und unter
bibliothekarisch inakzeptablen Bedingungen gelagert (massive
Schimmelgefahr).

Sehr geehrter Herr Stephan,

Die von Eichstätt übernommene Zentralbibliothek der Kapuziner als
bloßes "Aussonderungslager" zu bezeichnen, zeugt von sehr ober-
flächlicher Kenntnis der Bibliothekskultur dieses Ordens im allgemeinen
und der Funktion seiner Zentralbibliothek im Besonderen. Das vermag
sogar ein Laie zu erkennen, der sich die Mühe gemacht hat, sich mit
den Verhältnissen vertraut zu machen.

Wenn es ihnen um "um Klarheit, nicht um Vertuschung" geht, dann
ist das mindeste, was man erwarten kann, dass Sie sich die Mühe
machen, im Handbuch der historischen Buchbestände nachzu-
schlagen, was dort über die Zentralbibliothek der Kapuziner in
Altötting zu lesen ist.

Ich zitiere die relevanten Abschnitte in extenso:

Altötting. Zentralbibliothek der Bayerischen Kapuziner
Sigel: <AKThB 102>

Unterhaltsträger: Provinzialat der Bayerischen Kapuziner

Funktion: Ordensbibliothek für dokumentarische Sammlung und
Archivierung der Altbestände aus einzelnen Klosterbibliotheken
der Ordensprovinz.

Sammelgebiete: 1. Allgemeine Sammelgebiete: Hauptsächlich
Theologie; in geringerem Umfang profane Sachgebiete (Geschichte,
Geographie, Naturwissenschaften u.a.). - 2. Besondere Sammel-
gebiete: Ordensautoren und Geschichte der Kapuziner.

1. Bestandsgeschichte

1.1 Platzmangel in den einzelnen Klosterbibliotheken der Kapuziner-
provinz und die Aufnahme der Bibliotheken aufgelassener Klöster
machten die Schaffung einer Zentralbibliothek notwendig. Sie wurde
in Altötting neu eingerichtet und war 1977 bezugsbereit. Inzwischen
befinden sich in ihren Räumen die Bibliotheken von 11 meist aufge-
lassenen, teils noch bestehenden, Klöstern der bayerischen Ordens-
provinz: Burghausen, Erding, Immenstadt (Allgäu), Lohr, Mainburg,
Mariabirnbaum, Mussenhausen, Neuötting, Rosenheim, St. Ingbert
(Saar) und Türkheim. Ferner sind in der Zentralbibliothek verschiedene
große Teilbestände der Bibliotheken folgender noch bestehender, teils
aufgelassener 13 Klöster untergebracht: Altötting-St. Magdalena,
Blieskastel (Saar), Eichstätt, Karlstadt (Unterfranken), Königshofen
i. Grabfeld, Laufen, Mariabuchen (Unterfranken), München-St. Anton,
Passau, Regensburg, Vilsbiburg, Wemding und Würzburg.

1.2 Aufgabe und Anliegen der Zentralbibliothek in Altötting ist die
dokumentarische Sammlung (Archivierung) der genannten Buch-
bestände aus den einzelnen Klosterbibliotheken, um sie für die
Ordensprovinz zugänglich zu erhalten, aber auch für wissenschaft-
lich Interessierte außerhalb des Ordens. Eine Bestandsvermehrung
durch Kauf neuer Werke geschieht nur ausnahmsweise bei
besonderen Titeln.

2. Bestandsbeschreibung

2.1 Konkrete quantitative Angaben lassen sich im derzeitigen
Anfangsstadium der Katalogisierung nicht machen. Vermutlich
werden ca. 80.000 Bde aufgestellt werden. Zeitlich reichen die
Bestände vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Der Anteil
lateinisch geschriebener Bücher im Bereich der Theologie ist
begrenzt. Sonstige fremdsprachige Werke sind eher die Ausnahme.

2.2 Entsprechend den Beständen der Kapuzinerklöster, aus
denen die Bestände der Zentralbibliothek stammen, haben die
theologischen Fächer das Hauptgewicht. Als Sachgebiete werden
die einer gewachsenen Kapuzinerbibliothek angelegt: Biblica
(Texte und Exegese), Dogmatik, Christologie, Mariologie,
Apologetik, Generaltheologie, Moral, Pastoral, Kirchenrecht,
Zivilrecht, Homiletik, Predigerwerke, Liturgie (Texte), Liturgik,
Aszetik, Betrachtung, Mystik, Gebetbücher, Standeslehren,
Patrologie, Kirchen-, Ordens- und Profangeschichte, Politik,
Sozialwissenschaft, Biographie, Hagiographie, Philosophie,
Psychologie, Pädagogik, Belletristik, Poesie, Literaturgeschichte,
Philologie, Musik, Geographie, Naturkunde (Botanik, Zoologie,
Anthropologie, Physik, Chemie), Medizin, Reihenwerke,
Flugschriften, Broschüren, Zeitschriften, Lexika. Dieser
Systematik wird die Systematik der Zentralbibliothek im
allgemeinen folgen, von einigen Veränderungen und weiteren
Differenzierungen abgesehen. Schwerpunkte sind vor allem
Kapuzinerautoren und Ordensgeschichte, weitere können sich
ergeben. Detaillierte Aussagen über die inhaltliche Zusammen-
setzung sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich.

3. Kataloge
Alphabetischer Katalog, Standortkatalog, Schlagwortkatalog
[in Zettelform, nach hauseigenen Regeln; im Aufbau]

Stand: Juni 1992                                    Alfons Sprinkhart

In der Präambel des Überlassungsvertrags von 1999 heißt es: "Zur
Sicherung dieser Bestände und zur Vermeidung ihrer Zersplitterung
hat die Provinzleitung beschlossen, sie der Universitätsbibliothek
Eichstätt zu übergeben. Dies erfolgt mit ausdrücklicher Zustimmung
und Unterstützung der Konferenz der bayerischen Bischöfe und im
Einvernehmen mit der Leitung der Katholischen Universität Eichstätt."

Und §7 Erweiterungsoption bestimmt: "Die vertragsschließenden
Parteien sind sich darüber einig, dass eine Zersplitterung der Buch-
bestände der Kapuzinerprovinz, auch soweit sie derzeit noch nicht in
der Zentralbibliothek in Altötting untergebracht sind, sondern sich
noch in einzelnen Klöstern befinden, zu vermeiden ist. Die Kapuziner-
provinz wird deshalb der Stiftung in künftigen Fällen der Auflösung
einer Klosterbibliothek die Übernahme dieser Bestände zu den oben-
stehenden Bedingungen vorrangig anbieten.

In der Ausstellung "Die Zentralbibliothek der Bayerischen
Kapuziner seit 1999 in Eichstätt - erste Ergebnisse" in der UB
Eichstätt von 2001/2002 hieß es:

"Diese Bestände waren durch die Aufhebung von etwa 20
Kapuzinerklöstern in der Bayerischen Provinz seit 1966 deutlich
gewachsen [auf ca. 400.000 Bde]. Deren Bibliotheken wurden in
die Altöttinger Zentralbibliothek der Kapuziner verbracht. Da die
Kapuziner ihre zentrale Bibliothek nach dem Tod ihres Bibliothe-
kars 1997 nicht mehr selbst betreuen konnten, schloss die
Provinz der Bayerischen Kapuziner im Juli 1999 mit der Stiftung
Katholische Universität Eichstätt und dem Freistaat Bayern einen
Vertrag über die Übergabe dieser Zentralbibliothek an die
Universitätsbibliothek Eichstätt unter Einschluss aller Bibliotheken,
deren Konvente künftig noch aufgehoben werden sollten (so 1999
Vilsbiburg, 2000 Passau).
 
Natürlich diente die Zentralbibliothek in Altötting *auch* als Speicher-
bibliothek, als Aufnahmelager für abgegebene, nicht mehr benötigte
Bestände aus weiterhin bestehenden Konventen, aus denen der
Altöttinger Bibliothekar Dubletten immer wieder ausgesondert und
verkauft hat, sie aber schlicht auf diese Funktion zu verkürzen, wie
Sie dies tun, ist hochgradig irreführend. Auch ist es m.E. unzulässig,
die von Klaus Littger an anderer Stelle dargestellten Besonderheiten
der Wanderungsbewegungen von Büchern zwischen den Konventen,
die es gerade wert wären, näher untersucht zu werden, ins Feld zu
führen, um daraus eine angebliche mindere Wertigkeit der aus Alt-
ötting übernommenen Kapuzinerbestände gegenüber "geschlossenen,
wertvollen, historischen Klosterbibliotheken" zu suggerieren. Die
Darstellung im Handbuch der historischen Buchbestände wie auch
der Wunsch der Kapuziner, "Es muss bei der Überlassung der
Zentralbibliothek gewährleistet sein, dass die Geschichte und die
Spiritualität der Bayerischen Kapuziner, das theologische Schaffen
und die Leistungen in Predigt und anderen Apostolatsformen in
all den Ausprägungen an der Universitätsbibliothek Eichstätt
nachgesehen und erforscht werden können." sprechen eine andere
Sprache.

Mit freundlichen Grüßen,
B.-C. Kämper, UB Stuttgart

Kommentare und Links zu früheren Beiträgen in
http://archiv.twoday.net/stories/3391254/

Literatur zu Kapuziner-Bibliotheken und -archiven - eine Auswahl
http://archiv.twoday.net/stories/3337985/

Kopien aus den Eichstätter Müllbüchern
http://archiv.twoday.net/stories/3388680



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.