Lieber Herr Wolf, liebe Liste,
Am 8 Mar 2007 um 17:04 hat Sebastian Wolf geschrieben:
Hallo liebe Liste,
Armin Stephan schrieb:
Für die Verhinderung der Klimakatastrophe bleibt uns angeblich
noch
Zeit bis 2013. Und wieviel Zeit bleibt uns noch, um uns nach einer
neuen
Berufung umzusehen?
Schon in den 60er-Jahren wurden prophezeit, dass es im Jahr 2000
keine
Bibliotheken mehr gibt, weil spätestens dann, alle Texte
elektronisch
verfügbar seien. Tatsache ist, dass die Nutzung der Dienste und
Räume
der Bibliotheken in den letzten Jahren eher gestiegen ist.
Weil eben die genannte Prophezeiung falsch war. Es sieht nun aber doch
so aus, als ob sie jetzt - verzögert - doch wahr werden würde.
Soviel zu
den
pessimistischen Zukunftsaussichten.
Bibliotheken sind doch heutzutage viel mehr (oder sollten es
zumindest
sein) als eine "Bücherhalle", z.B. erste Anlaufstelle, wenn es um
die
langfristigen Archivierung elektronischer Daten geht, wichtige
Vermittlerin von Informationskompetenz, Treffpunkt zum Arbeiten und
Diskutieren, um einfach per W-LAN im Internet zu surfen oder - und
auch
das gibt es im elektronischen Zeitalter häufiger als man denkt - zum
Lesen von Büchern!
Alles das habe ich in unserer Bibliothek in den letzten Jahren mit Nachdruck
zu realisieren versucht: Wir haben WLAN in der Bibliothek eingerichtet
(obwohl es an unserer kleinen Hochschule keine EDV-Abteilung gibt); wir
machen im Sommersemester jetzt regelmäßig Blockveranstaltungen zur
Literaturrecherche im Internet, beteiligen uns an den Einführungen in das
Wissenschaftliche Arbeiten; haben vor kurzem eine Nespresso-Maschine
angeschafft, um die Bibliothek als Kommunikationszentrum attraktiver zu
machen; haben unsererseits angefangen, vereinzelt Dinge zu digitalisieren;
haben Konsortien gebildet, um unseren Benutzern externe elektronische
Ressourcen nutzbar zu machen usw.
Sie sehen hoffentlich, dass ich nicht zu denen gehöre, die Bibliotheken als
reine Bücherhallen betrachten.
Trotzdem frage ich mich, was passiert, wenn obige Prophezeiung dann
wirklich wahr wird?
Beispiel Lizenzen: Wir als Bibliothek haben durch Abschluss von
Lizenzvereinbarungen unseren Benutzern bestimmte elektronische
Ressourcen verfügbar gemacht. Die Bibliothek hatte also eine
unverzichtbare vermittelnde Rolle.
Für die Nutzung dieser Ressourcen braucht der Benutzer die Bibliothek aber
nimmer.
Und wenn es - wie bei Google - keine Lizenzvereinbarungen mehr braucht?
Dann fällt dieser hehre Zweck auch noch weg.
Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir
zunehmend davon leben, dass triviale Ziele und Visionen künftiger
elektronischer Literaturbereitstellung trotz technischer Machbarkeit sich
immer noch quälend dahin schleppen. Bürokratische Strukturen, unklare
Zuständigkeiten, kommerzielle Interessen bremsen den Prozess hin zur
digitalen Omnipräsenz.
Vielleicht hätte ich die Zukunftsvision von Gioconda Belli in ihrem Roman
"Waslala" nicht lesen sollen ... Dort gibt es das Google-Book (auch wenn es
nicht so heisst), ein kleines, handliches E-Book, das alle Bücher der Welt
gespeichert hat, immer und überall verfügbar, in ergonomischer Form ...
Bibliotheken gibt es nicht mehr ...
Wer als Bibliothekar seine Bibliothek allerdings
immer noch als reine Bücherhalle begreift, sollte sich in der Tat
nach
einer neuen Berufung umsehen.
Viele Grüße
Sebastian Wolf
--
Sebastian Wolf, Universitätsbibliothek Bielefeld
- Gruppe Elektronische Dienstleistungen -
E-Mail: sebastian.wolf@xxxxxxxxxxxxxxxx - Tel.: 0521/106-4044
Website: http://www.ub.uni-bielefeld.de/
Bookmarks: http://del.icio.us/bibliothekswelt/
Feeds: http://www.bloglines.com/public/bibliothekswelt/
Mit freundlichen Gruessen
Armin Stephan
Augustana-Hochschule / Bibliothek
D-91564 Neuendettelsau