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AW: [InetBib] Stellungnahme Börsenverein DBV



Siehe dazu auch die Meldungen heute (8.2.2007 in der Süddeutschen Zeitung und 
der FAZ (8.2.2007): Gesicherte Versorgung. Bibliotheken und Verlage (FAZ) 
einigen sich.
Luise von Löw, 
München

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx 
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Eric Steinhauer
Gesendet: Donnerstag, 8. Februar 2007 09:10
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: AW: [InetBib] Stellungnahme Börsenverein DBV

Liebe Liste,

die "Stellungnahme von DBV und Börsenverein zum Urheberrecht in Bildung und 
Wissenschaft" vom 11. Januar 2007 enthält sinnvolle Regelungen für einen 
Burgfrieden zwischen Bibliotheken und Verlagen. 
http://www.boersenverein.de/global/php/force_dl.php?file=%2Fsixcms%2Fmedia.php%2F686%2FSchrankenpapier%2520070110%2520endg.pdf

Wer aber eine Perspektive für eine zukunftsweisende Entwicklung in der 
wissenschaftlichen Informationsversorgung erwartet, wird enttäuscht. Das Papier 
ist ein Versuch, überkommende Marktstrukturen in das digitale Zeitalter zu 
retten. 

Deutlich wird dies an solchen Formulierungen:
"Es darf sich aber auch die Absatzsituation der Verlage dadurch nicht 
nachhaltig verändern, dass die Bibliotheken die Möglichkeiten elektronischer 
Bereitstellung nutzen."

Die in dem Papier vorgeschlagenen Lizenzierungsmodelle sind im Grunde 
systemwidrig. In der analogen Welt war es dem Urheberrecht fremd, die einzelne 
Nutzung von Werken abzurechnen. Vergütet wurde pauschal durch 
Verwertungsgesellschaften. 

Das gesamte Papier ist von dem Versuch durchzogen, die Kontrolle über die 
Verbreitung digitaler Inhalte durch die kommerziellen Verwerter zu bewahren. 
Damit werden die Verwerter mittelfristig scheitern. Der Grund dafür liegt in 
der Logik wissenschaftlichen Publizierens. 

Die Publikation von Wissenschaftlern zielt einzig und allein auf Sichtbarkeit 
und Rezeption. Jedes Modell, was dieses behindert, wird scheitern, sobald 
gleichwertige oder bessere Alternativen von Sichtbarkeit geboten werden. Die 
mittlerweile schon weit etablierten Open Access-Strukturen sind eine solche 
Alternative. 

Die traditionellen Publikationswege profitieren derzeit noch von einer über 
lange Zeit aufgebauten Gatekeeper-Funktion. Gerade im Bereich von STM kann dies 
aber sehr schnell umschlagen. Es liegt in der Natur wissenschaftlicher 
Erkenntnisse, das sie sich meist in Paradigmenwechseln vollziehen. 
Wissenschaftssoziologisch stellen sich neue Ansichten zunächst als marginale 
Positionen dar, die von etablierten Wissenschaftlern und den gängigen 
Publikationsmedien meist ignoriert werden. Werden diese neuen Positionen dann 
aber über Open Access weitgehend bekannt, dürfte kaum zu erwarten sein, daß sie 
nach ihrer Etablierung in Verlagspublikationen weiterentwickelt werden, die ein 
Weniger an Sichtbarkeit gewährleisten.

Die Zukunft gehört innovativen Verlagen, die Wissenschaftler bei der 
professionellen Publikation ihrer Ergebnisse unterstützen und ihnen dabei die 
weitestmögliche Sichtbarkeit ermöglichen. Die Unterstützung kann in Form von 
Layout-Service, Metadaten- und Distributionmanagement oder der Organisierung 
von Review-Prozessen geschehen. Es ist denkbar, daß dadurch die 
Publikationskosten für die Autoren steigen. Es ist auch denkbar, daß 
Zeitschriften in der Form, wie wir sie heute kennen, nicht mehr existieren 
werden. Das bleibt abzuwarten. 

Sicher ist aber, daß Lizenzmodelle, die zu einem Sichtbarkeitshindernis für 
Wissenschaftler werden, keine Zukunft haben.

Es scheint wahrscheinlich, daß der parlamentarische Gesetzgeber den Vorschlägen 
des Papiers folgen wird. Als Konsens wichtiger Interessenverbände entfaltet es 
eine enorme politische Wirkung. Das ist problematisch. Es ist Sache des 
Gesetzgebers, wesentliche Strukturentscheidungen für die Zukunft der 
Wissensgesellschaft zu treffen. Hierbei sollte er sich vor Augen halten, daß 
ihn aus Art. 5 Abs. 3 GG (Wissenschaftfreiheit) eine besondere Pflicht trifft, 
den wissenschaftlichen Publikationsprozess wissenschaftsadäquat zu gestalten. 
Ob markkonservierende Lizenzmodelle hier ein sinnvoller Weg sind, darf mit 
guten Gründen (siehe oben) bezweifelt werden.

Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de




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