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[InetBib] ZVDD - DFG zahlt fuers Nichtstun



Zahlreiche deutsche Bibliotheken (wenngleich immer noch zu
wenige) bieten Sammlungen retrodigitalisierter Buecher an.
Als ich im Fruehjahr 2004 auf einem Koelner Workshop Kritik
an Digitalisierungsprojekten uebte
http://www.listserv.dfn.de/cgi-bin/wa?A2=ind0403&L=hexenforschung&P=R1430&I=-3
war ein Hauptpunkt der mangelhafte Nachweis der
Digitalisate.  Noch heute kann niemand mit Sicherheit
sagen, ob nicht ein entlegenes Digitalisierungsprojekt
beispielsweise einen alten Druck bereits frei online
zugaenglich gemacht hat. Vielfach befinden sich solche
Digitalisate im "Deep Web" von Datenbanken, etwa in den
OPACs japanischer Bibliotheken (um nur einen besonders
exotischen Fundort fuer deutsche Drucke zu nennen).

Fuer eine Uebersicht weltweit digitalisierter alter
abendlaendischer Drucke vor 1800 siehe
http://wiki.netbib.de/coma/DigiMisc

Sowohl der Evaluierungsbericht von Thaller und anderen 2005
http://www.dfg.de/forschungsfoerderung/wissenschaftliche_infrastruktur/lis/download/retro_digitalisierung_eval_050406.pdf
oder
http://preview.tinyurl.com/ytqm9p
als auch ein Vortrag Thomas Staeckers aus dem gleichen Jahr
http://www.initiativefortbildung.de/pdf/sondersammlungen2005/staecker.pdf
haben die unzulaengliche Nachweissituation deutlich
thematisiert. Staecker verwies bereits auf das "Zentrale
Verzeichnis digitalisierter Drucke" (ZVDD)
http://www.zvdd.de

Zitat: "Getragen vom sanften Druck der DFG, die ihre
Förderung vom Nachweis in dem Portal abhängig machen wird,
und der Einsicht, dass nur der Nachweis in einem zentralen
Portal mit konsistenten Metadaten auch die Sichtbarkeit der
mit viel Aufwand erstellten Digitalisate gewährleistet,
wird dem Verzeichnis bald einen Status geben, der den
Vergleich mit anderen europäischen und außereuropäischen
Portalen, wie Gallica oder Making of America nicht zu
scheuen braucht."

Inzwischen ist das ZVDD etwa ein Jahr offiziell online und
man muss sich fragen, wie es um die Effizienz des so
dringend ersehnten DFG-Projekts bestellt ist. Eine
kritische Bilanz faellt katastrophal aus.

Hinsichtlich der zu beruecksichtigenden Sammlungen hat
Patrick Sahle in einem Kommentar zu meinem Monitum, dass
viele Sammlungen fehlen
http://archiv.twoday.net/stories/3279956/
darauf aufmerksam gemacht, dass die dort aufgefuehrten
Sammlungen erst einmal in einer ersten Runde abgearbeitet
werden muessten, bevor man an die Beruecksichtigung
weiterer Sammlungen denken koennte. Dass man die interne
"Watchlist" mit weiteren Projekten aber nicht der
Oeffentlichkeit zugaenglich macht und die Linkliste nicht
aktuell haelt (Muenchen Varia mit veraltetem Weblink!), ist
mehr als nur ein kleiner Schoenheitsfehler.

Das gravierendste Manko ist aber, dass die beiden
beteiligten Bibliotheksverbuende seit vielen Monaten so gut
wie nichts am ZVDD tun. Der anfangs so beeindruckende
Datenbestand von 85.000 Titel war bereits beim offiziellen
Start eher eine Augenwischerei, bestand er doch im
wesentlichen (nämlich zu rund 90 %) aus den frei
zugaenglichen Artikeln in DigiZeitschriften (46.418 Titel)
und Beitraegen aus den juedischen Periodika des Compact
Memory-Projekts (30.383 Titel). Die eigentlich zu
erwartenden grossen Monographien-Sammlungen (z.B.
Wolfenbuettel) fehlten weitgehend. Damals waren rund 25
Projekte von der 130 Projekte umfassenden Liste digitaler
Sammlungen verarbeitet.
http://www.zvdd.de/sammlungen.html

Laut HBZ-Oberflaeche ist die aktuelle Titelanzahl 85.800.
Das bedeutet: Es hat seit einem dreiviertel Jahr keinen
substanziellen Fortschritt gegeben! Betrachtet man die
Tagesdaten der Einspielung im ZVDD (in der HBZ-Oberflaeche
angegeben), so ist als letztes Projekt das Portal zur
Westfaelischen Geschichte am 15.8.2006 hinzugekommen:
http://www.digitalisiertedrucke.de/?c=Westf%26auml%3Blische+Geschichte

Eigentlich haette das ZVDD in der ersten Runde - die erste
Foerderungsphase laeuft 2007 aus - noch hundert Projekte
abzuarbeiten, aber es passiert so gut wie nichts! 

Wenn man bedenkt, dass sich das ZVDD noch in einer Phase
intensiver finanzieller Unterstuetzung durch die DFG
befindet, stellt man sich die Frage, wie ein solcher Dienst
im Regelbetrieb funktionieren kann, wenn er schon im
Subventionsbetrieb nicht funktioniert?

Unuebersehbar sind die Schlampigkeiten und Inkonsistenzen,
die selbst bei einer Beta-Version unangenehm beruehren.

Da gibt es Digitalisate, die es gar nicht gibt. So
existieren etliche der Braunschweiger Kinderbuecher, die im
ZVDD nachgewiesen sind, in Braunschweig gar nicht. Nur ein
Beispiel: HBZ-Datensatz oai:digitalisiertedrucke.de:6946.

Da ist beim HBZ von der Deutschen Bilbiothek (!) die Rede
    (inzwischen heisst die Institution anders und der
Tippfehler haette irgendwann vielleicht doch auffallen
koennen).

In der VZG-Oberflaeche fehlen z.B. bei der Suche nach
Reuchlin Links zu den Hardenberg-Digitalisaten.

Es werden auch inkomplette Digitalisate aufgenommen (Seb.
Muenster "Annotationes" in Mannheim, nur 12 von 292
Seiten).

Sucht man nach theaterbibliothek ODER jacobi, so wird ein
Zeitfilter 1800-1810 nur auf die Jacobi-Treffer angewandt
(VZG).

Dass im HBZ ausserordentlich scheussliche Icons die
Projekte vertreten, sei nur am Rande bemerkt. Manchmal sagt
mangelnde Aesthetik etwas ueber den Wesenskern eines
Projektes aus ...
    
Uberhaupt ist die Aufteilung auf zwei Oberflaechen eine
Bankrotterklaerung. Dass die Verbund-Dinosaurier sich nicht
auf eine gemeinsame Oberflaeche einigen konnten, sollte sie
dauerhaft von Projekten ausschliessen. Denn die beiden
Oberflaechen bieten nicht etwa ein anderes Look-and-feel
auf  gleichem Datenbestand, die Treffermengen differieren
bei vielen von mir durchgefuehrten Suchabfragen. Wenn ein
Benutzer sicherheitshalber alle beiden Oberflaechen nutzen
muss, ist der Gedanke einer One-stop-solution ad absurdum
gefuehrt.

Betrachtet man Projekt zur westfaelischen Geschichte, so
stellt man fest, dass dessen Titel in der VZG-Datenbank
offensichtlich gar nicht enthalten sind (siehe z.B. den
Ortsnamen Reckenberg im ersten der 147 Titel).

Bei der Suche nach Leichenpredigt weist die VZG-Oberflaeche
36 Treffer nach, das HBZ 13, bei Leichpredigt sind es 50
bzw. 45.  

Bei Kurdistan hat die VZD 3 Treffer, das HBZ 4. Das liegt
daran, dass eine wichtige Anmerkung ueber den Inhalt eines
Buchs von der VZG-Oberflaeche nicht indexiert wurde.

Das Auseinanderdriften der Prototypen beweist
ueberdeutlich, wie morsch das Projekt im Kern ist.

Keine Entschuldigung gibt es dafuer, dass vorhandene
GVK-Pica-Datenbanken mit Katalogisaten (z.B.
http://wisopc4.hsb.hs-wismar.de:8080/DB=2/PPN?PPN=475549163
oder http://tinyurl.com/25xo2f = Karten Halle) schlicht und
einfach nicht eingespielt wurden.

Auch die eingespielten Daten wurden nicht aktuell gehalten.
Wenn von den Digitalen Drucken der UB Bielefeld der
juengste Eintrag vom 16.12.2005 stammt, dann fehlen im
Ergebnis nicht allzu viele Drucke, aber bei einem schneller
wachsenden Projekt wie DigiZeitschriften sieht das anders
aus. Man vergleiche etwa die Treffer zu Emmy Noether in
DigiZeitschriften und im ZVDD. Die letzte Aktualisierung zu
DigiZeitschriften erfolgte im Juli 2006!

Dass das ZVDD nuetzlich ist, weil man hier die
Open-Access-Artikel von DigiZeitschriften und stabile
Adressen findet, kann man dem ZVDD letztlich nicht
zugutehalten, denn eigentlich muesste DigiZeitschriften
selbst einen Open-Access-Filter bei der Suche anbieten und
dauerhafte Adressen angeben!

Das ZVDD waere eigentlich ueberfluessig gewesen, wenn die
Verbuende ihre Katalogisierungs-Hausaufgaben und die
Projekte ihre OAI-PMH-Hausaufgaben gemacht haetten.

Wenn es um deutsche Sammlungen geht, kann man sich -
solange das ZVDD mangels Masse wertlos ist - mit ein paar
Kruecken behelfen. Da sind die mit Online-Filter bequem
absuchbaren drei PICA-Verbunddatenbanken (SWB, GBV, HEBIS).
Im KOBV-Volltextserver http://volltexte.kobv.de/ fehlen die
Digitalisate der HU Berlin, aber die gibts ja auch via
OAI-PMH. Beim HBZ gibts auch einen Online-Filter
(wenngleich dort eklatante Katalogisierungsdefizite bei
Online-Quellen bestehen), nur im BVB kann man nicht gezielt
Online-Quellen filtern, aber das fuer Digitalisate wichtige
MDZ ist wiederum ueber OAIster gut recherchierbar.
Ausserdem sollte man im KVK im Freitext mit elek? bzw.
online? weitere Treffer ausfindig machen koennen.

(Beim Worldcat sieht es mit der Katalogisierung von
Online-Ressourcen nicht viel besser aus, siehe auch 
http://archiv.twoday.net/stories/837865/ )

Man mag einwenden, dass die aufwendige Sacherschliessung
den  Projektfortschritt behindert. Aber wenn man sich die
DDC-Kategorien anschaut, stellt man fest, dass dort im
wesentlichen die Sammlungen erschloessen wurden und
darueberhinaus nur wenige hundert einzelne Digitalisate.

Ein solches unerklaertes Nebeneinander von
Sammlungserschliessung und Einzelerschliessung ist aber die
denkbar benutzerunfreundlichste Loesung.

In der Ergebnisliste einer Suche oder beim (ohnehin aus der
Mode kommenden) systematischen Browsen muesste man beide
Ergebnisgruppen getrennt darstellen. Man sollte also
zunaechst die Sammlungen erhalten, die zur Suche passen,
sodann die (nach ZDB klassifizierten) retrodigitalisierten
Zeitschriften und dann die einzeln erschlossenen Titel.

Ohne die grosse Antisemitismus-Keule schwingen zu wollen,
moechte ich dennoch anmerken, dass die Zuordnung aller
ueber 30.000 Compact-Memory-Artikel zur DDC-Gruppe Religion
in hoechstem Masse unangemessen ist. Juedische Kultur ist
nicht nur Religion, sie betrifft auch Geschichte, Literatur
oder Kunst!

Was es fuer einen Sinn hat, eine Systemstelle mit
undifferenzierten 30.000 Treffern auszustatten, erschliesst
sich mir nicht. Nicht die Aufsaetze, die Sammlung muss an
dieser Stelle stehen.

In der Erprobungsphase sollte man moeglichst viel
ausprobieren und testen. Aber von einer Uebernahme der
sogenannten Strukturdaten (z.B. Inhaltsverzeichnisse) ist
nichts zu merken, obwohl das mit der erfassten Sammlung des
MPI fuer Rechtsgeschichte ohne weiteres haette realisiert
werden koennen.

Ein Hauch von Web 2.0 weht durch das Projekt, wenn dem
Benutzer vom HBZ angeboten wird, von anderen Nutzern
gemeinsam mit dem betrachteten Titel angesehene weitere
Titel anklicken zu koennen (Amazon stand Pate).
Ueberzeugende Ergebnisse erbringt dieses Feature nicht. Was
dagegen sinnvoll gewesen waere, naemlich Tagging durch
benutzer als Ausbau der Sacherschliessung, wird natuerlich
nicht erprobt.

Eine Fortfuehrung des Projekts in der bisherigen Form waere
nur eine weitere immense Geldverschwendung. Fuer eine
Metaabfrage von zwei Datenbanken (DigiZeitschriften und
Compact Memory) und einigen hundert Katalogisaten haetten
keine ueppigen oeffentlichen Gelder bereitgestellt werden
muessen. Alle paar Monate werden in Deutschland neue
digitale Sammlungen eroeffnet, aber das Projekt schafft es
noch nicht einmal, die Altprojekte zuegig abzuarbeiten.

Von vornherein war es verfehlt, sich auf die deutschen
Sammlungen zu beschraenken, da deutschsprachige Titel auch
in vielen anderen Laendern digitalisiert werden. Das
Projekt haette konsequent auf das OAI-Format setzen muessen
und bestehende OAI-Datenprovider abgrasen und
gegebenenfalls manuell filtern muessen. Was ein einzelner
auf dem Gebiet der Erschliessung alter Drucke neben einem
Fulltimejob als Hochschullehrer leisten kann zeigt die
bewunderungswuerdige Neolatin-Bibliographie von Dana Sutton
http://www.philological.bham.ac.uk/bibliography/

Weltweite Katalogisate (im MARC-Format) und OAI-Metadaten
in einer Meta-Suche zusammenzufuehren sollte kein Hexenwerk
sein. Da ein wirklicher Nutzen der ZVDD-"Sacherschliessung"
nicht zu erkennen ist, sollte man sich auf das KISS-Prinzip
besinnen (keep it simple and stupid).

Das ZVDD ist nicht das erste gescheiterte digitale Projekt
und es wird leider auch nicht das letzte sein. Wenn es um
"Digitalisierung" geht, regiert - gerade auch nach dem
Auftauchen von "Google Book Search" auf der Buehne -
offenkundig alles andere als Augenmass und Vernunft.

Klaus Graf



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.