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[InetBib] Auch Protest amerikanischer Wissenschaftler gegen Handschriftenverkauf
- Date: Thu, 28 Sep 2006 10:39:02 +0200
- From: Rita Albrecht <r.albrecht@xxxxxxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] Auch Protest amerikanischer Wissenschaftler gegen Handschriftenverkauf
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
zum geplanten Handschriftenverkauf in BW haben sich amerikanische
Wissenschaftler gemeldet und in einem Brief an die FAZ ihre Empoerung
geaeussert:
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Zitat """"""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""
Deutschland verschleudert seine Vergangenheit
Amerikanische und britische Kunsthistoriker sind entsetzt: Ein Protest
gegen die Pläne der Regierung Oettinger
An die Herausgeber
der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung
22. September 2006
Es fehlen uns die Worte, unserer Verwunderung, unserem Schock und
Entsetzen Ausdruck zu geben, angesichts der noch immer fast
unglaublichen Nachrichten über den skandalösen Plan, den größten Teil
der Handschriftenbestände - ungefähr 3500 von insgesamt 4200 Bänden -
aus der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe zu verkaufen, um es dem
Haus von Baden zu erlauben, seine Schulden zu begleichen und seinen
letzten Wohnsitz in Salem zu renovieren. Andere Nationen, zum Beispiel
England, haben Wege gefunden, durch Instrumente wie den National Trust
ein Gleichgewicht zwischen Konservierung und privaten Besitzansprüchen
herzustellen. Nicht zuletzt dank Dostojewski bleibt Baden-Baden, die
frühere Residenz des markgräflichen Hauses, weltbekannt als Sitz des
heute unbedeutenden Spielkasinos, aber wer hätte gedacht, daß die
Regierung von Baden-Württemberg sich als die größte Spielerin von allen
erweisen würde?
Abgesehen von allen anderen Erwägungen, ist es fraglich, ob der
Weltmarkt so viele Handschriften, von denen viele unvergleichliche
Schätze sind, auf einmal und innerhalb so kurzer Zeit aufnehmen kann.
Deshalb steht zu befürchten, daß eine große Zahl von ihnen zu Preisen
verschleudert werden, die in keiner Beziehung zu ihrem echten Wert
stehen. Abgesehen von der finanziellen Verantwortungslosigkeit, wird mit
dieser Aktion, die unter der Hand und ohne öffentliche Debatte oder
Rechnungsprüfung beschlossen wurde, eine der größten Sammlungen der Welt
in alle Winde verstreut und damit zerstört.
Dieser Handschriftensammlung repräsentiert in vielerlei Hinsicht einen
unvergleichlichen Nachweis und ein Repositorium von mehr als tausend
Jahren europäischen Mönchstums und europäischer Geschichte,
einschließlich bedeutender Monumente der Kunst, Literatur, Theologie,
Mystik und Musik. Bücher, die (unter beträchtlichen Kosten seitens des
Staats) konserviert, katalogisiert und ausgestellt wurden, werden nun
Gott weiß wo enden. Viele werden in Privatsammlungen verschwinden und
damit unzugänglich für Studenten, Wissenschaftler und die breite
Öffentlichkeit von kultur- und geschichtsbeflissenen Einzelpersonen.
Historische Sammlungen - Klosterbibliotheken, die über Jahrhunderte
hinweg entstanden - werden verstreut, wodurch es nahezu unmöglich wird,
sie systematisch oder kohärent zu erforschen. Es ist kaum zu glauben,
daß Bücher, die den Dreißigjährigen Krieg, die napoleonischen Kriege,
die Säkularisation und sogar zwei Weltkriege überstanden haben,
auseinandergenommen und zu Opfern des Marktes werden - und wofür? Um die
Würde einer aristokratischen Familie in finanziellen Schwierigkeiten zu
erhalten, in anscheinendem Bruch mit dem demokratischen Verfahren, ganz
zu schweigen vom öffentlichen Interesse.
Eine Bibliothek ist mehr als nur eine Sammlung von Büchern. Sie ist ein
Repositorium von Erinnerung, oder besser gesagt, sie ist eine Ressource,
die die Arbeit an Gedächtnis, Geschichte und kulturellem
Selbstbewußtsein ermöglicht. Obwohl die Sammlung während des Zweiten
Weltkriegs ausgelagert war, wurde der Großteil des Karlsruher Bestands -
ungefähr 360 000 gedruckte Werke - von Bomben vernichtet. Andere
wichtige, großartige Bibliotheken, von Alexandria bis Sarajewo und der
Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, sind heute verloren durch
Unglücksfälle, Vandalismus oder Gewalteinwirkung. Sollen wir jetzt
Karlsruhe in die Liste von Desastern einordnen? In diesem Fall wird es
einen Sonderplatz einnehmen, denn in diesem Fall wird eine bedeutende
Bibliothek zerstört, nicht zufällig, sondern unter der Leitung derer,
die zu ihrem Schutz bestellt waren.
Es wäre weniger schlimm, wenn die Sammlungen in Karlsruhe von nicht mehr
als rein antiquarischem Interesse wären, von nur lokaler oder
bestenfalls regionaler Bedeutung. Selbst unter diesen Bedingungen wäre
ihre Auflösung skandalös. Das ganze Mittelalter hindurch und auch noch
danach war der Oberrhein jedoch eine Wiege der Zivilisation, ein
wichtiger Platz des europäischen Urbanismus, ein Arterie zwischen Nord
und Süd, kurz gesagt, eine treibende Kraft in der Geschichte Europas.
Die Versteigerung der Karlsruher Handschriften wird weltweit als
deutliches Signal registriert werden, daß in Deutschland die
Vergangenheit zum Verkauf steht - und das zu Schleuderpreisen. Im
Verkauf von solchen Schätzen macht die Regierung von Baden-Württemberg
nicht nur das demokratische Vorgehen, sondern auch ihreVerpflichtungen
gegenüber Bildung, Kultur und dem Gemeinwohl zur Farce.
Prof. Dr. Jeffrey F. Hamburger, History of Art & Architecture, Harvard
University
Mitunterzeichnet von: Prof. Dr. Ann Blair, History, Harvard University,
Prof. Dr. Caroline Walker Bynum, Institute for Advanced Study,
Princeton, Prof. Dr. Walter Cahn, History of Art, Yale University, Prof.
Dr. Margot Fassler, History of Music and Liturgy, Yale University, Prof.
Dr. Roberta Frank, English, Yale University; President, Medieval Academy
of America, Prof. Dr. Carmela Vircillo Franklin, Classics, Columbia
University; Director, American Academy in Rome, Prof. Dr. Rachel Fulton,
History, University of Chicago, Prof. Dr. Patrick Geary, History,
University of California, Los Angeles, Prof. Dr. Thomas F. Kelly, Music,
Harvard University, Prof. Dr. James H. Marrow, Art & Archaeology,
Princeton University; Fitzwilliam Museum, Cambridge; President, Medieval
Manuscript Society, Prof. Dr. E. Ann Matter, History, University of
Pennsylvania, Prof. Dr. Robert Nelson, History of Art, Yale University,
Prof. Dr. Thomas F. X. Noble, History; Director, Medieval Institute,
University of Notre Dame, Prof. Dr. Nigel F. Palmer, Medieval German,
Oxford University, Prof. Dr. Ken Pennington, Columbus School of Law,
School of Theology and Religious Studies; The Catholic University of
America, Prof. Dr. Robert Somerville, History, Columbia University,
Prof. Dr. Nicholas Watson, English; Chair of Medieval Studies Committee,
Harvard University, Prof. Dr. Anders Winroth, History; Chair, Medieval
Studies Program, Yale University.
Text: F.A.Z., 28.09.2006, Nr. 226 / Seite 44
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Ende Zitat """""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""
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