[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
Re: [InetBib] Badische Bibliothek vor dem Verkauf? Kein Aprilscherz!
- Date: Thu, 21 Sep 2006 12:24:44 +0200
- From: "Iris Schewe" <schewe@xxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Badische Bibliothek vor dem Verkauf? Kein Aprilscherz!
Ist das ein Fall für die Kulturstiftungen des Bundes und der Länder ?
Mit besorgten Grüßen
I. Schewe,
Biblithek der Stiftung Stadtmuseum Berlin
----- Original Message -----
From: Klaus Graf
To: MEDIAEVISTIK@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Cc: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Sent: Wednesday, September 20, 2006 4:30 PM
Subject: Re: [InetBib] Badische Bibliothek vor dem Verkauf? Kein Aprilscherz!
On Wed, 20 Sep 2006 13:28:06 +0200
"Dr. Jürgen Wolf" <wolf@xxxxxxx> und Klaus Klein schrieben
in den Listen MEDIAEVISTIK und Diskus:
> Der heutigen Ausgabe der Rhein-Neckar-Zeitung (20.9.2006)
> entnehme ich unter der Überschrift "Hilft ein Superdeal
> dem Haus Baden aus der Klemme?", daß z.Zt. Gespräche
> stattfinden zwischen dem Land Baden-Württemberg und dem
> Haus Baden über die Veräußerung von Teilen "der
> Handschriftensammlung der Badischen Bibliothek".
>
> Weiß jemand der Listenteilnehmer etwas über diese
> "Handschriftensammlung der Badischen Bibliothek", für die
> laut Zeitungsbericht "etwa 70 Millionen Euro auf dem
> freien Markt zu erlösen" sind? - Um die
> Handschriftenbestände der Badischen Landesbibliothek in
> Karlsruhe kann es sich ja wohl nicht handeln.
Eine kleine Suche bei Google News und das Raetsel ist auf
betroffen machende Weise geloest:
In der Heidenheimer Neuen Presse http://digbig.com/4myty
lesen wir:
"Fast immer liegen Peter Michael Ehrles Schätze im Tresor.
Selten kann man einige in Ausstellungen bewundern, keine
hundert Experten im Jahr dürfen sie, wissenschaftliches
Interesse vorausgesetzt, berühren: Es geht um die alten
Handschriften, die der Direktor der Badischen
Landesbibliothek Karlsruhe wie seinen Augapfel zu hüten
hat. Die Vorstellung, dass vielleicht schon bald nicht nur
das Stundenbuch des Markgrafen Christoph I. von Baden
(1490), das Evangelistar aus St. Peter (um 1200) oder
Lektionare von der Klosterinsel Reichenau aus dem zehnten
Jahrhundert verkauft werden könnten, schien Ehrle gestern
noch aus aller Welt zu sein. Nur gerüchteweise hatte der
Bibliotheksdirektor bisher davon gehört, dass es ein ganz
neues Interesse an den Beständen seines Hauses gibt. Von
Details freilich wusste er bis gestern nichts. Kein Wunder.
Während man sich in Karlsruhe auf den Festakt zum 200.
Jahrestag der Erhebung Badens zum Großherzogtum am
kommenden Sonntag mit Festredner Ministerpräsident Günther
Oettinger und Prinz Bernhard von Baden vorbereitet, geht es
hinter den Kulissen um etwas ganz anderes: Wie kann dem
hochverschuldeten Adelshaus aus der Klemme geholfen, dessen
einzig verbliebener Sitz, Schloss Salem am Bodensee, auf
Dauer erhalten, der Verkauf wertvoller Gemälde und anderer
Kunstgegenstände verhindert und ein seit Jahrzehnten
schwelender Rechtsstreit zwischen dem Land und dem Haus für
immer ausgeräumt werden? Unter größter Geheimhaltung
bereiten das Land und das Haus Baden einen Deal vor, der
allen Interessen gerecht werden soll. Die Quadratur des
Kreises ist er gleichwohl nicht: Gewissermaßen geopfert
werden Teile der Handschriftensammlung der Badischen
Bibliothek. Ziel ist es, wie aus bestens unterrichteten
Kreisen zu erfahren war, etwa 70 Millionen Euro auf dem
freien Markt zu erlösen. Mit bis zu 30 Millionen Euro
sollen die finanziellen Altlasten des Hauses Baden bedient
werden. Der Rest soll in eine Stiftung Schloss Salem
gesteckt werden. [...] Seit Jahr und Tag gibt es, anders
als im Fall anderer Adelshäuser, zwischen Land und dem Haus
Baden unterschiedliche Ansichten über die rechtlich
korrekte Besitzzuordnung bedeutender Teile badischer
Kunstschätze. Das als strittig eingeschätzte Volumen
beläuft sich auf mehrere hundert Millionen Euro. Betroffen
davon sind große Teile der Handschriften, aber auch
Gemälde, die zum Bestand der Staatlichen Kunsthalle
gehören. Um sich über Verkäufe sanieren zu können, soll das
Adelshaus dem Land sogar mit einem Prozess gedroht haben.
[...] Der Rechtsstreit könne zugunsten des Landes ausgehen
- aber auch nicht. Wird der Deal wie vorgesehen vertraglich
abgewickelt, ist der Rechtsstreit zugunsten des Landes
beendet. Alle verbleibenden badischen Kulturgüter gehen in
den Besitz des Landes oder der Stiftung über, darunter auch
wertvolle Gemälde in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
(Cranach, Hans Baldung Grien). "Im Einvernehmen wird
geregelt, was verkauft wird". Bibliotheksdirektor Ehrle ist
überzeugt: Wenn 70 Millionen Euro erlöst werden, "müssen
aus dem vom Haus Baden reklamierten Bestand "alle
Spitzenstücke und mehr weg. Die Sammlung wäre zerstört."
BETTINA WIESELMANN
Zu den genannten Spitzenstuecken:
http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/2006/blb-geschichte.php
Dort auch die bisherige Lesart der Eigentumsverhaeltnisse:
"Die Großherzogliche Hofbibliothek wurde 1872 aus der
Hofverwaltung gelöst und dem badischen Innenministerium
unterstellt. Durch diese "Verstaatlichung" wurde auch der
Aufgabenbereich der neuen Großherzoglichen Hof- und
Landesbibliothek erweitert. [...] Nach dem Ende der
Monarchie (1918) wurde die Großherzogliche Hof- und
Landesbibliothek in Badische Landesbibliothek umbenannt und
dem Kultusministerium unterstellt."
Ich kann mich nicht erinnern, dass anlaesslich des
skandaloesen Verkaufs des Kulturguts des Hauses Baden im
Jahr 1995 die Zugehoerigkeit von Kulturgut, das sich
ausserhalb des in Salem und Baden-Baden und evtl. auf
anderen Besitzungen befindlichen Privateigentums des Hauses
Baden befindet, als strittig thematisiert wurde.
Massgeblich ist insoweit das im Badischen Gesetzesblatt vom
9. April 1919 veroeffentliche Gesetz (das mir jetzt nicht
vorliegt).
Angesichts der ungeheuerlichen Aussicht, dass
Spitzenstuecke der Badischen Landesbibliothek im Handel
landen wird man neben der Erzeugung politischen Drucks auf
die Politiker, den dreisten Anspruechen des Hauses Baden
nicht nachzugeben, an den Schutz herausragender
Einzelstuecke durch das Gesetz gegen Abwanderungen
deutschen Kulturgutes und geschlossener Ensembles nach dem
baden-wuerttembergischen Denkmalschutzgesetz ins Auge
fassen muessen. In der Vergangenheit (Hofbibliothek
Donaueschingen, Baden-Auktion 1995 usw.) hat sich das
Denkmalamt als zahnloser Tiger erwiesen. Betroffene
Wissenschaftler koennten versuchen, unter Berufung auf Art.
5 GG eine Klagebefugnis vor einem Verwaltungsgericht
abzuleiten, da Denkmaeler Sachen und Sachgesamtheiten sind,
die unter anderem aus wissenschaftlichem Interesse bleibend
erhalten werden. Ansonsten steht die Forschung einmal mehr
fassungslos da und staunt, was gierige Eigentuemer und
willfaehrige Politiker alles zur Disposition stellen
koennen.
Klaus Graf
--
No virus found in this incoming message.
Checked by AVG Free Edition.
Version: 7.1.405 / Virus Database: 268.12.6/453 - Release Date: 20.09.2006
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.