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Re: [InetBib] Kulturinsel Halle in Gefahr?
- Date: Thu, 16 Mar 2006 23:40:05 +0100
- From: Andrea Kiefer <AnniKiefer@xxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Kulturinsel Halle in Gefahr?
Liebe Inetbibler, werter Herr Rohde,
ich möchte einige Anmerkungen zu dem Thema machen. Auch ich bin wie Frau
Todt-Wolf Bibliothekarin in Halle und möchte einige Punkte zur
Diskussion beitragen.
Es sollte stutzig machen, warum kein Literaturverein, keine Bibliothek,
keine Sektion der Uni aus Halle über das Wegbrechen der "DDR-Bibliothek"
aus der Kulturinsel diskutiert.
Bibliothekare des Akribie bringen den Stein ins Rollen, die zu einer
Sitzung vor Ort mit *den* Mitarbeitern gesprochen haben, die Jahre in
diese Buchsammlung investiert haben. Deren Sicht ist
verständlicherweise einseitig geprägt. Sehen sollte man in meinen Augen
jedoch einige andere Aspekte:
* in der Stadtbibliothek Magdeburg steht ein bibliothekarisch
aufgebauter und erschlossener DDR-Bestand für Sachsen-Anhalt zur
Verfügung. (Neben den genannten in der ULB Halle und DB Leipzig)
* ebenfalls sind in der in Halle ansässigen Saalkreisbibliothek
Bestände aus DDR-Zeit bibliothekarisch erschlossen und aufbewahrt
* .DDR-Bücher sind sehr oft in sehr schlechter Qualität gedruckt
worden - wer restauriert und erhält diese Bücher? mit welchem Geld?
* DDR-Bürger wollten ihre Regale von dieser Literatur "befreien" -
jede ostdeutsche Bibliothek kennt sicher diese "Geschenke", die
wirklich wertvollen Bände stehen sicher bei den meisten noch immer
im heimischen Regal
Die hallesche Kulturinsel ist mit viel Kraft erbaut und gestaltet
worden, um Hallensern einen Ort der kulturellen Erbauung verschiedenster
Art zu bieten. Dafür werden nicht wenig städtische Mittel eingesetzt.
Nun stellt sich die Frage, welcher Hallenser beschäftigt sich mit
DDR-Literatur in einem Präsenzbestand? Sollte man die Räume nicht zur
potentiellen Nutzung für alle Bürger freigeben - z.B. für eine bisher
nicht vorhandene städtische Jugendbibliothek.
Keiner spricht der Sammlung ab, daß sie nicht in einem angemessenen
Rahmen aufgestellt werden sollte. Ich halte ein DDR-Museum dafür für
sehr angebracht. Vielleicht kann ja die Reichweite dieser Liste dazu
beitragen, einen solchen angemesenen Platz zu finden.
Auch halte ich es für wichtig , darüber zu informieren, daß die
Kulturinsel (http://www.kulturinsel-halle.de/) ein ganzer Gebäudekomplex
im Herzen von Halle ist. Mit Theater, Puppentheater, Cafe, Gaststätte,
zentraler Theaterkartenverkauf für Halle, Galerie...Sie ist durch ein
Ausgliedern der DDR-Bücher in keiner Weise auch nur im Entferntesten in
Gefahr. (http://www.akribie.org/deaktuel.htm)
Mit freundlichem Gruß von der Saale
Andrea Kiefer
Halle
Liebe Frau Todt-Wolff, liebe InetBibmitglieder,
sicher ist es schwierig, aus der Ferne Dinge zu beurteilen.
Das gebe ich gerne zu.
Aber in diesem Fall von einer "Wissenschaftlichen Spezialbibliothek" zu
sprechen, ist einfach unangemessen. Es handelt sich um eine willkürliche
Sammlung von Büchern, die in der Nachwendezeit von Bürgern der Stadt Halle
aus den eigenen Bücherschränken aussortiert und abgegeben worden
sind. Zum Teil wurden die Bücher auch zum Stückpreis von 1 €
weiterverkauft.
Aber lässt sich aus dem Bestand, wenn er denn fachgerecht betreut wird, nicht
im Laufe der Zeit
etwas entsprechendes formen? Das ist meine Intention.
Wieviele Sondersammlungen haben als anscheinend willkürliches Sammelsurium
ihren Anfang genommen,
wobei es dann doch oftmals irgendeinen gemeinsamen Punkt gab: hier die in der DDR
von zeitgenössischen
Schriftstellern erstellte Belletristik, die auf ihre eigene Art ein Zeugnis vom
Leben in der DDR abgibt.
Eine qualitative bibliothekarische Erschließung hat nicht stattgefunden und
eine Benutzung war
lediglich im Lesesaal der Kulturinsel möglich.
Die Sperrung für die Heimausleihe ist eine durchaus richtige bestandserhaltende
Massnahme,
auch wenn die Gründer dieser Sammlung vielleicht diesen Aspekt nicht vor Augen
hatten, da sie auch Werke wiederverkauft haben.
Die Erschliessung des Bestandes kann auch im Laufe der Zeit nachgeholt werden
und muss doch auch nicht zwingend
innert der kommenden zwei-drei Monaten erfolgt sein.
Da die Sammlung keinerlei wissenschaftlichen Wert hat, erübrigt sich
auch die von Ihnen vorgeschlagene Übernahme in den Bestand der
Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt.
Ich finde es schwierig, vom heutigen wissenschaftlichen Wert auf einen möglichen
späteren zu schliessen,
aber die Möglichkeit einer Wertsteigerung sollte meineserachtens nicht ausser
Acht gelassen werden.
Ich kenne ein wenig durch die Rekatalogisierung die Bibliothek der ehemaligen
Lesegesellschaft Bern. Da schüttelt man manchmal den Kopf,
was für die an dieser Lesegellschaft beteiligten Leute so gesammelten worden
ist. Es finden sich aber immer wieder einzelne Werke dort,
die nicht noch in anderen Signaturengruppen auch schon vorhanden sind, damals wohl
eher leichtere Kost waren und aus den Allgemein-Öffentlichen
Bibliotheken schon lange rausgeflogen sind, aber wo sowohl diverse Einzelwerke aber
auch die Sammlung an sich einen Wert hat (sonst würde nicht
ausgerechnet dieser Bestand zuerst für die Massenentsäuerung in Frage kommen!).
Sämtliche für die Forschung relevante und zum Sammelauftrag der Universitätsbibliothek
gehörende DDR-Literatur wird ja hier bereits vorgehalten und ist nicht ausgesondert worden.
Als eigenständige (Sonder-)Sammlung, oder irgendwo mittendrin in allem anderem,
mal hier was und mal dort was aus diesem Bereich?
Eine Sammlung der kompletten DDR-Literatur befindet sich außerdem in der
Deutschen Bibliothek,
Standort Leipzig (ehem. Deutsche Bücherei), die zu DDR-Zeiten
Pflichtexemplarbibliothek gewesen ist.
Und wenn ich mich richtig entsinne, gab es auch entsprechende deutsch-deutsche
Abkommen,
so dass man vieles auch in Frankfurt finden wird.
Das sind aber einzelne Werke innerhalb einer grösseren Sammlung, die unter
einem ganz anderen Aspekt besteht,
die Deutsche Bücherei ist nicht als Forschungsbibliothek für DDR-Belletristik
konzipiert.
Wie schon zugegeben ist eine Beurteilung von ausserhalb recht schwierig, aber
einen Impuls,
der eine vielleicht etwas andere Sichtweise hineinbringt in die Frage, was mit
dieser Sammlung geschehen könnte,
an die man vor Ort evt. nicht gedacht hat, möchte ich gerne geben.
Letzlich ist es natürlich auch nicht meine Aufgabe, zu entscheiden, was mit
diesem kulturellen Zeugnis
des Lebens in der DDR zu geschehen hat...
Gruss von der Aareschlaufe an der Saale hellem Strande (und woanders hin)
Bernd Martin Rohde
__________
Bernd Martin Rohde, Dipl.-Bibl. (FH)
Sportweg 15, CH 3097 Liebefeld
Tel.: (+41) (0)31 9719674, mailto:b.m.rohde@xxxxxxx
(dienstl.: Tel.: (+41) (0)31 3203313, mailto:bernd.rohde@xxxxxxxxxxxxx)
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