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[InetBib] "Vermieten" von Bestsellern
- Date: Wed, 11 Jan 2006 16:33:20 +0100 (CET)
- From: Eric Steinhauer <eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] "Vermieten" von Bestsellern
Liebe Liste,
Frau Mahrt-Thomsen hat freundlicherweise auf ein Gutachten von Gernot Schulze
für den Börsenverein zu der Problematik einer besonderen Leihgebühr für
"Besteller" hingewiesen. Nach deutschen Urheberrecht ist der Verleih, nicht
aber die kostenpflichtige Vermietung von Büchern ohne eine besondere Lizenz der
Rechteinhaber zulässig, vgl. § 17 UrhG.
Der Börsenverein vertritt den Standpunkt, die besondere Leihgebühr lasse aus
der zulässigen Leihe eine unzulässige Vermietung werden. Das Gutachten von
Schulze kommt zum gleichen Ergebnis.
Mich überzeugt das nicht. Es ist anerkannt, daß die Erhebung von Gebühren als
solche eine Leihe nicht ausschließt, sofern keine Gewinne erwirtschaftet
werden, sondern lediglich der Verwaltungsaufwand abgegolten wird. Problematisch
ist hier, und da greift die Argumentation von Schulze ein, daß die Bibliotheken
mit den erhöhten Einnahmen durch die Bestseller ihren Erwerbungsetat erhöhen
wollen. So gesehen sind hier "Gewinne" beabsichtigt. Ob sich dieses Vorgehen
tatsächlich rechnet, ist eine andere Frage. Es kommt auf die rechtliche
Bewertung an.
Schulze kommt zu dem Schluß: "Sie [die Einnahmen] dienen der Beschaffung und
letztlich dem Erwerb, also Erwerbzwecken."
Das ist ein hübsches Wortspiel, um zu dem Verbot in § 17 Abs. 3 Satz 1 UrhG zu
kommen, wobei dem Begriff "Erwerb" unter Hand eine andere Bedeutung
untergeschoben wird. Der "Erwerb" im ersten Teil des Satzes ist die Beschaffung
von Büchern, der "Erwerb" im zweiten Teil die Erzielung von Einkommen,
wirtschaftlich gesehen also von Gewinn.
Liegt also ein urheberrechtlich problematischer Erwerbszweck vor? Das ist
letztlich durch Auslegung zu bestimmen. Schulze vermeidet es aus verständlichen
Gründen, auf den besonderen Zweck der Bibliotheken näher einzugehen: der
Erwerbszweck der Bibliothek ist ein öffentlicher Zweck, insofern er der
Stärkung ihrer (schwachen!) Kaufkraft und damit der Bereitstellung von
Literatur für die Allgemeinheit dient. Dieser Vorgang ist mitnichten ein
wirtschaftlich lohnender, sondern ein Zuschußgeschäft. Auch ist es nicht
zutreffend, einfach zu behaupten, mit einer allgemeinen Leserausweisgebühr sei
die gesamte Benutzung einer Bibliothek abgegolten. Bibliotheken können immer
für besondere Nutzung auch eine besondere Gebühr erheben.
Vollkommen unbeanstandet findet eine solche Praxis schon seit Jahren für DVDs
oder andere stärker benutzte "besondere" Medien statt. Ziel dieser Gebühr ist
es neben der Erzielung moderater, aber nicht kostendeckender Einnahmen, und der
Deckung besonderen Verwaltungsaufwandes (Zurückspulen von Kassetten bei Videos
und dergleichen) die Benutzung viel gefragter Bestände zu kanalisieren. Das ist
gebührenrechtlich nicht zu beanstanden. Eine derartige "Schutzgebühr" findet
sich etwa bei der Fernleihe.
"Gebühren" für Bestseller gibt es in nahezu allen Bibliotheken. Sie werden
freilich nicht für die Ausleihe erhoben, sondern für die Bestellung viel
gefragter Literatur. Dann heißen sie Vormerkgebühren. Es wäre eine hübsche
Erweiterung der Perspektive, Bestseller-Ausleihgebühren als antizipierte
Vormerkgebühren umzudeuten. Man könnte genauso gut aus Sicht der Mahn- bzw.
Säumnisgebühren argumentieren. Solche Gebühren können in Bibliotheken durchaus
auch für Erwerbszwecke eingesetzt werden, wenngleich sie Gebühren für
Verwaltungsaufwand bzw. besondere Nutzungen sind.
Schulze führt als Beispiel die Münchener Stadtbibliothek an: Dort kostet ein
Bestseller für 14 Tage 2 ?.
Die normale Leihfrist von Büchern beträgt vier Wochen. Eine
Leihfristüberschreitung kostet 0,25 ? je Kalendertag. Würde die Bibliothek
jetzt hingehen und Bestseller wegen der großen Nachfrage in der Leihfrist
verkürzen, also auf zwei Wochen, dann würde jemand, der das Buch so lange lesen
wollte, wie andere Bücher, eine Säumnisgebühr von 3,50 ? verwirken. Die
vierwöchige Lektüre eines Bestsellers würde im Vergleich zu anderen Büchern
also 3,50 ? mehr kosten. Die Säumnisgebühr ist übrigens keine Verwaltungs-,
sondern eine Sondernutzungsgebühr. Dieses kleine Rechenbeispiel zeigt, daß die
Bibliothek hier durchaus im Rahmen dessen bleibt, was an normalen
Benutzungsgebühren bei vielgefragten Medien ohnehin anfallen kann. Nicht
berücksichtigt ist hier der bei viel gelesenen Büchern höhere
Verwaltungsaufwand durch Verschleiß. Generell gilt, daß ein Buch nach 40 bis 60
Ausleihen als verschlissen gilt. Ohne besonderen buchtechnischen Aufwand noch
früher Damit wäre der Bestseller nach Abflauen der Bestsellerphase "ausgelesen"
und zu makulieren. Da ein Bestseller auf mittlere Sicht aber eine durchaus gute
"normale" Benutzung zu erwarten hat, stellt sich die Frage einer
Ersatzbeschaffung stärker als bei anderen Medien. Das alles kann eine erhöhte
Sondernutzungsgebühr auch rechtfertigen.
Fazit: Das Gutachten von Schulze weist nach der öffentlich-rechtlichen Seite
der Zweckbestimmung von Bibliotheken eine offene Flanke auf, die argumentativ
zu vertiefen wäre. Ebenso lohnend wäre eine haushaltrechtliche Betrachtung von
Vormerk- und Mahngebühren mit Blick auf die Erwerbung. Im Ergebnis dürften sich
die Bestsellergebühren ziemlich unaufgeregt als "Sondernutzungsgebühren" halten
lassen. Allerdings gibt es hier Grenzen. Wenn eine Bibliothek mit hohem
Nachdruck immense Stückzahlen von Bestsellern einstellt, um sie zu "verwerten",
treten die hier angestellten Überlegungen in den Hintergrund und der
wirtschaftliche Zweck in den Vordergrund. Das wäre in der Tat problematisch.
Grüße aus Thüringen
Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.