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[InetBib] Ist die Diplomarbeit ein "Buch"?



Lieber Herr Müller, liebe Liste,

Sie haben für eine für einen Spätsommernachmittag sehr interessante Frage aufgeworfen, nämlich die: Was ist ein Buch?
Ein Buch im Sinne von § 53 Abs. 4 UrhG? Eine Legaldefinition kenne ich nicht. Ist Buch hier ein besondrer Rechtsbegriff oder ist der allgemeine, gar der buchwissenschaftliche Buchbegriff zugrundezulegen. Für Juristen eine herrliche Frage! Dem Wortsinn nach wird eine Diplomarbeit sicher ein Buch sein, insofern man darunter eine "in einem Umschlag oder Einband durch Heftung zusammengefaßte, meist größere Anzahl von leeren, beschriebenen oder bedruckten einzelnen Papierblättern oder Lagen bzw. Bogen" versteht. So liest es sich bei Hiller, Wörterbuch des Buches. Danach ist eine Diplomarbeit, sofern sie nicht als lose Blätter in einer Juris-Mappe angeboten wird, ein Buch im tatsächlichen Sinn. Nun könnte man vom Sinn und Zweck des § 53 Abs. 4 UrhG  eine einschränkende Auslegung vornehmen und nur solche Bücher als Buch gelten lassen, die im Buchhandel erschienen sind. Auf die erhebliche Auflagenhöhe würde ich hierbei nicht abstellen, da hier Widersprüche mit den Vorschriften über Pflichtexemplare auftreten können. Dort unterliegen schon Auflagen ab 20 Exemplaren einer Ablieferungspflicht, vgl. etwa § 3 Abs. 1 Nr. 3 PflExG Berlin. Als gesetzgeberischer Zweck für § 53 Abs. 4 findet sich in der Kommentarliteratur der Gedanke, daß eine Einsparung von Anschaffungskosten durch Kopien verhindert werden soll. Also kann man sagen, was ich nicht anschaffen kann, weil es nicht anschaffbar ist, da kann ich auch keine Anschaffungskosten ungerechtfertigt einsparen. Also wäre § 53 Abs. 4 UrhG bei nicht im Handel erhältlichen Diplomarbeiten unanwendbar. Hinter dem Schutz der Anschaffung steht aber der Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Nutzungsberchtigten, also etwa des Autors. Meiner Ansicht nach ist er auch im Falle einer nicht gehandelten Arbeit insoweit schützenswert, als er immerhin die Möglichkeit hat, die Arbeit im Handel anzubieten. Er würde dann aber durch die freie Kopiermöglichkeit seiner "ungehandelten" Diplomfassung in seinen Absatzchancen geschmälert. Wenn ich die Ansicht von Herrn Müller zugrundelege, dann kann nämlich folgendes passieren: Die nicht im Buchhandel erhältliche Diplomarbeit von Dipl.-Ing. Emsig steht mit seiner Zustimmung in seiner Hochschulbibliothek. Diese Arbeit dürfte frei kopiert werden. Wenn Emsig sich entscheidet, auf eigene Kosten seine Arbeit völlig textidentisch bei einem Print-on-demand-Anbieter im Buchhandel mit ISBN erscheinen zu lassen, dann dürfte dieses Buchhandelsexemplar nicht kopiert werden. Das ist merkwürdig. Das Urhberrecht schützt doch Werke als geistige Schöpfungen und nicht Werkstücke. Das Werk aber ist in beiden Ausgaben, Diplom-Version und ISBN-Buch, völlig identisch. Von daher würde ich meine Lösung vorziehen und für § 53 Abs. 4 UrhG einen tatsächlichen, lebensweltlichen Buchbegriff zugrundelegen. Das scheint mir konsequenter. 
Unterhalten kann man sich freilich darüber, ob man nicht bei einer "bloßen" Diplomarbeit zwei Jahre nach Einstellen in die Bibliothek § 53 Abs. 4 UrhG doch entsprechend anwendet. Anderenfalls wäre der Schutz der im Buchhandel nicht vertriebenen Arbeit weitergehend. Wie schon im letzten posting geschrieben, bin ich hier etwas unschlüssig. Tendiere jetzt aber doch wohl zu einem vorsichtigen ja was die Möglichkeit einer Ganzkopie in den Grenzen von § 53 Abs. 4 UrhG angeht.

Eric Steinhauer
www.steinhauer-home.de


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