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Re: Repetierende Studenten in der StaBi aus studentischer Seite



Sehr geehrter Herr Dietz,

um das klar zu stellen.
Nicht die "BIB-wissenschaft selber" hat "ihre eigene Institutsbibliothek"
geschlossen,
im Gegensteil, wir haben uns zusammen mit einem zeitweilig äußerst starken
Engagement der Studierenden,
seit über zehn Jahren dagegen gewehrt, bis es eben in diesem Jahr nicht mehr
möglich war.
Natürlich wurde damit die Bibliothekswissenschaft in Deutschland abermals
geschädigt.
Wer das bezweifelt, sollte sich vermutlich intensiver mit dem Nutzen von
Bibliotheken beschäftigen.

Es ist eine leicht nachprüfbare Erkenntnis, dass sich das Bibliothekswesen
im
letzten Jahrhundert immer weiter ausgebreitet, und nicht, wie einige
Hypothetiker glauben,
im einschichtigen Bibliothekswesen zentralisiert hat
(im Gegensatz zu wirklichen Theoretikern, deren Theorie sich in der Realität
bestätigt).

Da aber noch zu viele Praktiker vermuten, es wäre rationeller und
personalsparender, Zentralbibliotheken zu schaffen,
hatten wir auf Dauer schlechte Karten beim Erhalt unserer
Bereichsbibliothek.
Die Existenz von vernetzten Rechnern in der Digitalen Bibliothek ist noch
nicht in allen Weltbildern dieser Gesellschaft sichtbar geworden ;-)

Schon das DBI hatte schlechte Karten in seinem Überlebenskampf,
und nun kämpfen Bibliothekare schon parteipolitisch um
eine »BibliotheksEntwicklungsAgentur« (BEA).

Staatsbibliotheken haben eine wichtige Aufgabe, die aber nur auf dem breiten
Fundament der vielen kleinen Bibliotheken
gesehen werden kann! Sie sind die Spitze einer Potenzgesetzverteilung (power
law).
Es ist aber in erster Näherung gleichgültig, ob man eine Person auf 25.000
Medieneinheiten
in einer One-Person-Library einsetzt (mit immer mehr digitalen Anteilen), 4
Personalstellen auf 100.000 oder 40 auf eine Million.
In der Digitalen Bibliothek wird die Verwaltung immer stärker zentralisiert
und automatisiert, bis hin zu internationalen Bibliothekszusammenarbeiten in
Konsortien, Verbundkatalogen etc.

Die Aufstellung und das Angebot wird aber dagegen zu den Nutzern hin immer
weiter dezentralisiert.
Hier gibt es die interessante Diskussion über den "long tail" Effekt der
"folksonomy"

Es wird aber noch etwas Zeit kosten, bis die veralteten Paradigmen auf
diesem Gebiet ausgestorben sind.
Insbesondere deshalb, weil die Bibliothekswissenschaft in Deutschland rein
personell völlig unterbesetzt ist,
und wie diese Diskussion ja selbst zeigt, das wirtschaftliche Potential von
Bibliotheken in diesem Staat noch immer völlig
unterschätzt wird.

Es ist nicht nur unsozial, sondern in erster Linie Ressourcenvergeudung an
sogenanntem Humankapital, wenn man begabte Menschen
nicht dadurch fördert, dass auch sie eine Chancengleichheit beim
Wissenserwerb haben, gleichgültig wie alt und wie reich sie sind.
Das war das Fundament auf dem die USA vor hundert Jahren ihre Macht
aufgebaut haben - dank "St. Carnegie".
Und Deutschland hat lange von seinem hohen Anteil an akademisch
Ausgebildeten Menschen gelebt.
Heute leben davon noch immer Millionen von Arbeitslosen auf vergleichbar
hohem finanziellen Niveau (natürlich nur, wenn man es mit den armen Ländern
vergleicht).
Das waren aber nicht Bachelor-Abschlüsse sondern Abschlüsse mit denen man
promovieren konnte.
Dieses Kapital einer Wissenschaftsgesellschaft ist in den letzen Jahrzehnten
weitgehend verspielt worden,
und es ist sicher nicht ganz Fair, eine allgemeine Fehleinschätzung über die
Bedeutung von Bibliotheken und Wissenschaftler/innen nun der Stabi allein
anzulasten.

Bibliotheken sind die wichtigste Rationalisierungsmaßnahme um Wissenschaft
im internationalen Wettbewerb wirtschaftlich zu machen.
Das kann man, wenn man will, mit ein paar Euro Nutzungsgebühr durchaus
schädigen.
Wenn die USA bei einer Schließung ihrer Bibliotheken einen zehnprozentigen
Wissenschaftsverlust hätten,
betrüge er in Deutschland nur schätzungsweise 5 %, weil unsere Bibliotheken
bei durchaus ähnlichem Finanzbedarf nur etwa halb so effektiv sind.
Mit anderen Worten, wir sollten vermutlich eher in Richtung
Rationalisierung, Effektivitätserhöhung und Bibliotheksattraktion gehen.

Wichtig ist, das gesamte Bibliothekswesen in Deutschland auf der Basis einer
gut begründeten Bibliothekswissenschaft neu auszurichten.

Das bedeutet im Rahmen der Digitalen Bibliothek eine gezielte
Informationslogistik für publiziertes Wissen in diesem Staat neu aufzubauen.

Dankenswerterweise erkennt man ja im Strategiekonzept der Bertelsmann
Stiftung, mit Blick auf Singapur u.a., dass alte Forderungen
des deutschen Bibliothekswesens durchaus berechtigt waren. Sicher erkennt
man auch, dass das Bibliothekswesen in erheblichem Maße ruiniert worden ist,
jedenfalls könnte man es zweifellos verbessern (Schlusssatz S.33 Bibliothek
2007).

PISA war dabei sicher eine Alarmglocke, aber wenn man bedenkt, dass es bei
einer gymnasialen Schulbildung im Sinne Humboldts nicht nur darum ging
einen einfachen Text semantisch (eigentlich müsste es semiotisch heißen, da
es ohne die Pragmatik nicht geht) zu verstehen,
sondern auch auf der wirklichen Wissensebene und drüber Hinaus auf der
Bildungsebene,
dann ist auch die Diskussion um PISA eher etwas deprimierend.

Dass die Behinderung von Menschen, zum Wissen der Welt zu gelangen, der
falsche Weg ist, kann man kaum diskutieren,
denn es gibt Diskussionen, da ist es schon ein Fehler sich überhaupt darauf
einzulassen,
so wie man nicht sinnvoll auf die Frage antworten kann: Schlagen Sie Ihre
Frau (ihren Mann) auch am Sonntag?
Diese Frage kann man nur einer sehr begrenzten Bevölkerungszahl sinnvoll
stellen.
Die Frage danach, ob der Zugang zu Bibliotheken beschränkt werden darf, ist
ebenso abwegig.

Das Bibliothekswesen sollte wieder deutlicher zwischen Wissenserwerb und
Arbeit für diese Welt und ihre Menschen einerseits
und Unterhaltung und Spaß andererseits unterscheiden.

Die Stabi ist keine Unterhaltungseinrichtung für die man zahlen muss, um
sich zu amüsieren - das hat nichts damit zu tun, dass der Erwerb von Wissen
Freude macht.

Die Frage nach dem guten Buch und nach Medienkompetenz ist heute wichtiger
denn je.
Auch wenn der Satz: "man weis, was bisweilen ein baar Bücher für Schaden
gethan!" (Leibniz, G.W.) nicht gerade neu ist.

Der Staat stiehlt sich zu oft aus seiner Verantwortung, die zu unterstützen
die er dringend braucht (und deren know how für ihn wichtig ist,
und gibt sich zu oft dem Motto "Brot und Spiele" hin. Der Grund ist klar,
weil man so die Wähler fängt.
Aber die Gefahr, dass sich die Gesellschaft auf Kosten des Staates zu Tode
amüsiert (N. Postman), während dieser Bibliotheken zwingt ihre Nutzer
abzuschrecken,
diese Gefahr wächst.


MfG

W. Umstätter



----- Original Message -----
From: "Karl Dietz" <karl.dietz@xxxxxxxxx>
To: "Internet in Bibliotheken" <INETBIB@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Friday, August 19, 2005 11:21 AM
Subject: Re: Repetierende Studenten in der StaBi aus studentischer Seite


> Am 18 Aug 2005, um 17:48 hat Elke Greifeneder geschrieben:
>
> > Ein Beispiel zur schlechten
> > Lage in Berlin zum Abschluss: Als Studentin der Bibliothekswissenschaft
> > habe ich seit Mitte dieses Jahres überhaupt keine Möglichkeit mehr eine
> > Institutsbibliothek zu besuchen, da diese von der Bibliotheksleitung
> > trotz großen Engagements seitens der Studierenden geschlossen wurde.
> > Medien zur Ausleihe erhalte ich nur in der Zentralbibliothek, wobei die
> > Bestände vorwiegend ins Magazin gewandert sind und nur noch im Lesesaal
> > konsultiert werden können. Die abbonierten Zeitschriften wurden auf ein
> > nicht mehr erträgliches Minimum reduziert. Im Sinne der
> > Bibliothekswissenschaft in Deutschland
>
> ...kann dies sicher nicht sein.
>
> >
> > Viele Grüße
> > Elke Greifeneder
> >
> > Studentin der Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu
Berlin
> >
>
> Hallo Frau Greifeneder,
>
> haben Sie vielen Dank für Ihre Mail ! - Dieser Thread ist ja schon
> ein sehr spannender und es ist ja eigentlich vieles genannt - tja,
> naja, fast alles - denn zB eine Mail der Pressestelle der SBB, die
> könnte ja einiges klären - sind ja immerhin ca. 4.500 interessierte
> Leser/innen hier in inetbib beisammen. Wo sonst könnte eine PM
> eine solche Leserschaft finden?
>
> Und dies hier fiel mir ein, als ich die Mail oben las, denn da zeigt
> sich doch "die ganze Misere" wenn die BIB-wissenschaft selber
> ihre eigene Institutsbibliothek schliesst...
>
> --
>
> IST LESEN 'ARBEIT'?
>
> Für den Fachmann ja. Das ist eines der Kennzeichen des
> Intellektuellen. / Schopenhauer hielt vor allem der Gedanke vom
> Heiraten ab, daß er sich dann nicht mehr genug Bücher kaufen
> könnte. / Alexander von Humbold gab zu Protokoll: »Wer die
> Qualen der Hölle schon auf Erden kennen lernen will : der verkaufe
> seine Bibliothek!« Ludwig Tieck besaß 16, Müller 5 1/2 Tausend
> Bände. - Drücken wir es, ganz nüchtern, so aus: Wenn Sie über
> einen 'Gegenstand' schreiben wollen, müssen sie wissen, was man
>  v o r  Ihnen drüber gearbeitet hat (...) Dem Schlosser billigt man
> anstandslos z», daß sein shop voller Handwerkszeug hänge :
> Bücher sind das Handwerkszeug des Intellektuellen!
>
> Arno Schmidt, Müller oder vom Gehirntier, in: Tina / oder über die
> Unsterblichkeit, Frankfurt/M 1966 (= Fischer Taschenbuch 755),
> Seite 55
>
> --
>
> NB. es gibt eine sehr gute Mailingliste zu AS. mehr dazu auch in
> de.rec.buecher - einer der besten Newsgroups im Netz...
>
> OK, soweit my2cents
>
> --
> Viele Grüße, Karl Dietz
> http://www.karldietz.de
>
>


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.