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Re: NS-Literatur
Sehr geehrte Frau Kegel,
> ich möchte mir gern für die zukünftige Handhabung mit NS-Literatur (hauptsächlich >
> geht es uns um Hitlers "Mein Kampf") einen Überblick verschaffen,
>wie Bibliotheken, die über solchen Bestand verfügen, damit umgehen.
als Präsenzbibliothek haben wir zwar nicht das Problem der
Ausleihe von "nationalsozialistischer, neonazistischer, ideologisch-rassistischer und
sonstiger antidemokratischer Literatur" - aber
wir müsssen uns natürlich der Frage stellen, wie gehen wir mit solcher, eindeutig
antisemitischer Literatur um, die von Lesern kopiert werden möchte ?
Gleichzeitig möchten wir das REcht auf freie Meinungsbildung wahren.
Da das "Verbreiten von Schriften, die zum Rassenhaß aufstacheln .... und eine
Religionsgemeinschaft beschimpfen.".., strafbar ist
- --
(Strafbar ist die Verbreitung von Schriften, die zum Rassenhaß aufstacheln oder
Gewalttätigkeiten gegen Menschen durch die Art ihrer Darstellung verherrlichen oder
verharmlosen. Ebenfalls die Verbreitung von Schriften, die zum Angriffskrieg
aufstacheln, das Verbreiten von Schriften, die eine Kirche oder
Religionsgemeinschaft in einer Weise beschimpfen, die geeignet ist, den öffentlichen
Frieden zu stören.)
- -- ist es für uns eindeutig KEINE ZENSUR,
> Wo ist der Bestand aufgestellt - existieren noch "Giftschränke" dafür?
wenn wir die frei aufgestellte einschlägige Literatur,
die jederzeit, von jederfrau und jedermann gelesen werden kann,
nicht zum Kopieren freigeben!
> Müssen die Leser einen wissenschaftlichen Verwendungszweck nachweisen bzw. > hre persönl. Daten inkl. Unterschrift auf einem Formular hinterlassen?
> Dürfen Kopien erstellt werden?
Nur bei Nachweis eines wissenschaftlichen Zweckes kann kopiert werden.
D.h. wir tun alles, um Information in unseren Räumen zu gewährleisten.
Wir möchten aber nicht als Bibliothek, von unserem Bestand ausgehend - zur
Verbreitung antisemitischer und volksverhetzender Schriften beitragen.
> Inwieweit darf man in einer Informationsgesellschaft eine solche Zensur (in die > Richtung Benutzungsbeschränkung führen ja all meine Fragen) ausüben?
Ich wiederhole : Da die Möglichkeit zur eigenen Meinungsbildung
(Informationsfreiheit) gegeben ist, handelt es sich nicht um Zensur.
Zur VERBREITUNG "nationalsozialistischer, neonazistischer, ideologisch-
rassistischer und sonstiger antidemokratischer Literatur" allerdings tragen wir - schon
allein aus Verantwortung gegenüber unserer Geschichte; - nicht bei.
Denn "NS-Literatur diente weder zur Zeit ihrer Veröffentlichung sachlicher
Information, noch "dient" sie heute bei Mißbrauch dessen, an den sie vom
Bibliothekar ausgeliehen wird, der objektiven Berichterstattung, also der Information
über historische Gegebenheiten".
Die Rechtskommission des DBI hatte sich dieser Thematik gestellt und dazu einiges
veröffentlich:
vgl. http://deposit.ddb.de/ep/netpub/89/96/96/967969689/_data_stat/www.dbi-
berlin.de/dbi_pub/einzelth/rechtpub/ns-lit.htm
Daraus einige Zitate:
Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen
Hans-Burkard Meyer
Ausleihbeschränkungen bei NS-Literatur
Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 28. (1994), S. 1784.
......
3. Bestimmungen des StGB:
* Wenn bislang von "Literatur" oder "Schriften" gesprochen wurde, dann ist darauf
hinzuweisen, daß der Begriff weiter zu fassen ist gemäß § 11 Abs. 3 StGB: "den
Schriften stehen Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen ...
gleich".
Die hinsichtlich NS-Literatur relevanten Bestimmungen sind die §§ 86 und 131.
§ 86 stellt das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger
Organisationen einschließlich solcher, die Bestrebungen einer ehemaligen
nationalsozialistischen Organisation fortsetzen, unter Strafe, gemäß § 131 ist die
Verbreitung von Schriften strafbar, die zum Rassenhaß aufstacheln oder
Gewalttätigkeiten gegen Menschen durch die Art ihrer Darstellung verherrlichen oder
verharmlosen. Daneben seien noch erwähnt der § 80a, nach dem die Verbreitung
von Schriften, die zum Angriffskrieg aufstacheln, strafbar ist, sowie § 166, der das
Verbreiten von Schriften, die eine Kirche oder Religionsgemeinschaft in einer Weise
beschimpfen, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, unter Strafe stellt.
Von geringerer Bedeutung sind die in diesem Zusammenhang noch zu nennenden
§§ 90, 90a, 90b und 103, die sich mit Schriften verunglimpfenden Inhalts befassen.
* In allen eben genannten Tatbeständen besteht die inkriminierte Handlung in
einem "Verbreiten". Der Bibliothekar braucht nur dann Sanktionen zu befürchten,
wenn er "verbreitet"; oder andersherum: gelänge es ihm, vom Juristen nicht in der
Eigenschaft eines "Verbreiters" gesehen zu werden, dann fiele die ganze Diskussion
um Ausleihbeschränkungen auf Grund dieser Normen dem bekannten Kartenhaus
ähnlich in sich zusammen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts und des
Bundesgerichtshofes7) bedeutet "verbreiten", eine Schrift einem größeren
Personenkreis zugänglich zu machen. Dazu genügt bereits die Aushändigung an
eine Person, wenn sie die Schrift nicht vertraulich behandelt, sondern damit
gerechnet wird oder werden muß, daß sie sie ihrerseits wieder weiteren Personen
zuleiten werde. Ungeachtet aller gegenteiliger Vorschriften in Benutzungsordnungen
läuft die Ausleihpraxis jedoch in diese Richtung und damit in die Unkontrollierbarkeit.
In Rechtsprechung und Lehre ist anerkannt, daß die Ausleihe durch Bibliotheken
den Verbreitungsbegriff im Sinne der vorerwähnten Tatbestände erfüllt8). "Verbreiter"
sind wir ja von Berufs wegen alle", meint Jütte denn auch völlig zutreffend9).
* § 131 Abs. 3 schließt die Strafbarkeit aus, wenn "die Handlung der
Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient", §
86 Abs. 3 beinhaltet einen ähnlichen, wenn auch noch umfassender formulierten,
aber in dieselbe Richtung zielenden Strafbarkeitsausschluß, indem auch Zwecke der
Wissenschaft, Kunst, Forschung und Lehre als privilegierend zugestanden werden.
Man mag versucht sein, dieses "Berichterstatterprivileg" von vornherein dem
Bibliothekar zuzubilligen. Dies kann jedoch nicht zutreffen, wird doch zum einen der
Sinn dieser Regelung von Juristen als "in verschiedener Hinsicht unklar", überhaupt
sinnlos, und "praktisch leer" laufend bezeichnet10),
"diente" zum anderen NS-Literatur weder zur Zeit ihrer Veröffentlichung sachlicher
Information, noch "dient" sie heute bei Mißbrauch dessen, an den sie vom
Bibliothekar ausgeliehen wird, der objektiven Berichterstattung, also der Information
über historische Gegebenheiten.
Stellt also der verbreitende Bibliothekar sicher, daß die an sich tatbestandsmäßige
Schrift durch den Benutzer nicht mißbräuchlich, also lediglich im Sinne von Abs. 3
der beiden genannten Vorschriften verwendet wird, so "dient" seine Handlung
"anerkannten Zwecken"11), und er kann das "Berichterstatterprivileg" für sich in
Anspruch nehmen.
* Der Bundesgerichtshof stellte in einem Urteil12) von 1979 fest, das öffentliche
Anbieten einzelner alter Stücke von Hitlers "Mein Kampf" erfülle nicht den Tatbestand
des § 86, da es sich bei den beiden 1935 und 1943 erschienenen Auflagen um
"vorkonstitutionelle Schriften" handele, aus deren Inhalt sich eine Zielrichtung gegen
die in Deutschland erst später verwirklichte freiheitlich demokratische Grundordnung
noch nicht ergeben konnte. Der BGH gesteht zwar zu, daß "Mein Kampf" den
Prinzipien jeder freiheitlichen Demokratie Hohn spricht, doch er meinte, das
Machwerk müsse durch Ergänzungen und Zusätze - mindestens eine entsprechend
beschriftete Schutzhülle! - aktualisiert werden, damit nunmehr die Zielrichtung gegen
das Grundgesetz deutlich werde. Mit Recht kritisierte Bottke in seiner
Urteilsbesprechung13) diese merkwürdige Argumentation - zumal auch der Wortlaut
des Gesetzes nichts in dieser Richtung hergibt. So lassen denn auch
Kommentatoren "Mein Kampf" unter § 86 fallen14).
Bei § 131 wird eine derartige Unterscheidung nicht gemacht, zahlreiche
antisemitische Schriften der NS-Zeit fallen damit unter diese Bestimmung15).
Mit freundlichen Grüßen
Alice Jankowski
> Werte Kollegen,
>
> Ich danke Ihnen im Vorfeld herzlich,
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>
> Mit freundlichen Grüßen
>
> Claudia Kegel
>
> Bibliotheksleiterin
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> Hannah-Arendt-Institut f. Totalitarismusforschung an der TU Dresden e.V.
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> Bibliothek
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Dr. Alice Jankowski
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