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Re: AW: Digitalisierung auf 1-Euro-Job-Basis?



Liebe Liste,


ist es nicht so, daß die 1-Euro-Jobs sowieso nicht von Privatunternehmen angeboten werden dürfen? - Wenn dem so ist, wäre die Übernahme des Vorschlags durch die entsprechenden öffentlichen Stellen (Bibliotheken, Archive, Museen) sowieso unabdingbar zu seiner Durchführung. Genügend Know-how für die technische und administrative Realisierung eines solchen Projekts sollte sich in den öffentlichen Institutionen auch finden lassen; schließlich wird nicht erst ab morgen oder seit heute in Archiven und Bibliotheken digitalisiert; es kann auf genügend Erfahrungen zurückgegriffen werden.


Angesichts des nahezu verlorenen Wettlaufs gegen die Uhr bei vielen auf Papier gedruckten / geschriebenen Materialien in Archiven und Bibliotheken (Papierzerfall) hätte der Vorschlag in seiner modifizierten Form, also Übernahme durch öffentliche Stellen) sicher einiges für sich. Man müßte ja nicht unbedingt die Inkunabeln, Pergamenthandschriften und meinethalben "Schriftrollen" den 1-Euro-Jobbern in die Hand geben, sondern könnte sich hier ja zunächst auf noch halbwegs unproblematisch zu handhabendes urhebberrechtsfreies Material aus dem Zeitalter des säurehaltigen Papiers beschränken, das (noch) in großer Zahl (hier sind auch Mehrfachexe gemeint) vor sich hin bröselt. Auch da sollte man freilich nicht ziellos digitalisieren, sondern sich auf ein Digitalisat pro Ausgabe beschränken, was natürlich großen überregionalen Koordinierungsaufwand erfordert.

Außerdem halte ich es für falsch, den 1-Euro-Jobbern a priori Inkompetenz und mangelnde Motivation zu unterstellen; die Digitalisierung wird auch heute überwiegend nicht von bibliothekarisch geschultem Personal, sondern von angelernten Kräften erledigt.

Tatsächlich glaube ich auch nicht, daß man eine Diplomkraft bzw. einen mD für diese Tätigkeiten dauerhaft einsetzen kann und sollte - es sei denn als langzeitarbeitslosen 1-Euro-Jobber. Aber diese sicherlich fundierte Meinung kann man auch ohne persönlich zu werden artikulieren. So etwas - die Geschichte der InetBib zeigt das - eskaliert meist nur ohne wesentlichen Erkenntniszuwachs zu bringen.


Freundliche Grüße,




Markus Malo

Marc Houben wrote:

Ein Verlag muß notwendigerweise ein kommerzielles Interesse haben, um sein
eigenes Überleben zu sichern. Dies den Verlagen vorzuwerfen, geht an der
Sache vorbei. Allerdings ganz vertrauenserweckend sieht das Vorhaben nicht
aus, wenn man die Recherchen von Herrn Graf zugrundelegt. Auch hier mag es
hellgraue und dunkelgraue Schafe geben. Generell ist die Idee aber nicht
schlecht, denn an einer Digitalisierung wird man nicht vorbeikommen, wobei
es nicht allein um die langfristig Erhaltung, sondern auch und gerade um die
Verfügbarkeit geht.


Bei einer Realisierung mit Hilfe von 1-Euro-Jobs wäre allerdings die
grundsätzliche Frage, warum dies nicht ein Zusammenschluß der verschiedenen
kulturellen Einrichtungen selber auf die Beine und die Inhalte - sofern dies
rechtlich unstrittig ist - möglichst kostenfrei der Öffentlichkeit zur
Verfügung stellt? Hier einem Verlag eine "billige" Arbeitskraft - immerhin 1
Euro plus ALG I(I) und sonstige Leistungen - zukommen zu lassen, um diesem
dann die Verwertung der Digitalisate zu überlassen, ist nicht einzusehen.
Aber hier ist wieder die Grenze zwischen dem zielgerichten ökonomischen
Interesse eines Verlags und der staatlichen Einrichtung markiert, die andere
(und vor allem vielfältigere) Zielsetzungen zu verfolgen hat (und hieran
oftmals scheitert).


Wenn jemand die Digitalisierung wirklich qualitativ hochwertig gestalten will, sollte derjenige schon Fachkräfte anstellen, die wissen, wie man mit dem Material richtig umgeht. Mir läuft es schon kalt den Rücken runter, wenn ich vor mir sehen, wie ein ehemaliger Bauarbeiter eine 100 Jahre alte Schriftrolle anfasst...



Den Standesdünkel kann ich allerdings höchstens aus Angst um den eigenen
Arbeitsplatz verstehen, wobei ich - ehrlich gesagt - eine tatsächliche
Fachkraft für deutlich unterfordert halte, den ganzen Tag am Scanner zu
stehen und fachgerecht (nach deutscher Bibliotheksnorm) Digitalisate zu
erstellen. Ein solches Projekt würde wieder 1000e Mannjahre Zeit und
BAT-Stellen kosten und nie verwirklicht werden. Eine Fachkraft kann aber
durchaus ein umfänglicheres Digitalisierungsprojekt führen und die
verschiedenen "Bauarbeiter" in der richtigen Weise der Digitalisierung
anleiten. So hoch heilig ist die Masse unserer deutschen Kulturgüter nun
auch wieder nicht.


Marc Houben, Aachen




--
Markus Malo
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