[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
Re: AW: Berufsbezeichnung_weiblich_männlich
- Date: Thu, 21 Oct 2004 16:11:34 +0200
- From: Uwe Jochum <uwe.jochum@xxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: AW: Berufsbezeichnung_weiblich_männlich
Liebe Ariadne-Frauen,
obwohl der Listenadministrator zur Beendigung der Debatte drängt,
scheinen mir einige Erläuterungen und Zurechtrückungen doch am Platz.
1. Ich habe den Wikipedia-Artikel sehr wohl gelesen, und anders als
Sie unterstellen, habe ich ihn ganz gelesen. Die Pointe meines
Satzes, von dem Sie schreiben, er sei männlich kurz, was im
Gegensatz dann zu der Vermutung führt, Ihre Antwort sei weiblich
lang, die Pointe also meines Satzes ist diese: Schon der
Wikipedia-Artikel zeigt, ganz gelesen, daß es mit dem male bias
nicht so einfach ist. Sie haben uns nämlich den Schlußsatz des
Artikels vorenthalten: "Für den deutschsprachigen Raum können
Folgerungen über mögliche Ursachen und Wirkungen des bei Verwendung
des generischen Maskulins auftretenden male bias erst dann
getroffen werden, wenn vergleichbare Untersuchungen über einen
längeren Zeitraum durchgeführt werden."
2. Da Sie mir nun also sicherlich eine gewisse weibliche Länge in der
Antwort konzedieren werden, darf ich meine Pointe noch ausweiten:
Hätten Sie sich die Mühe gemacht, in einer aktuellen Grammatik
nachzulesen, wie ich das männlich kurz empfohlen hatte, hätten Sie
festgestellt, daß es dort noch in erhöhter Komplexität
weitergeht. Stichworte sind "strukturelle Bedingtheit des
grammatischen Geschlechts" (und eben NICHT semantische Bedingtheit
desselben) und "Neutralisation". Das kann und muß aber jeder selber
nachlesen, und es sei hinzugefügt, daß dieses "jeder" auch alle
nichtmännlichen Themainteressenten meint.
3. Was bleibt, ist, auch in dem von Ihnen zitierten Wikipedia-Artikel,
der bei einigen Frauen sich regende Unmut, in generischen Kontexten
grammatisch mit der männlichen Form miterfaßt zu werden, wo man
lieber als Frau mitgemeint wäre. Das ist dann aber ein Problem der
Rezeption, keines der Produktion solcher Sätze wie "alle
Bibliothekare verdienen entschieden zu wenig". Die Unterstellung
nämlich, in diesem Satz seien nur die männlichen Bibliothekare
gemeint, ist genau dies: eine Unterstellung. Daß Sie in solchen
Kontexten die grammatisch neutralisierte männliche Form semantisch
mißverstehen, ist ein verständliches grammatisches Mißverständnis,
dessen Anlaß sicherlich darin liegt, daß Sie sich über Ihnen
mißliebige gesellschaftliche Verhältnisse ärgern. Dieser Ärger
sollte aber nicht blind dafür machen, daß an keiner Zeile des
Threads, auf den Sie sich beziehen, auch nur die leiseste Spur
einer sprachlichen Unterdrückung der Frau zu erkennen ist.
4. Die Strategie Ihrer Intervention ist eine moralistische: Sie haben
von der Sachebene auf die Formalebene und dort auf die
möglicherweise nachzuweisende Voreingenommenheit der Diskutanten
abgehoben. Zur Unterstellung einer solchen Voreingenommenheit
aufgrund grammatischer Phänomene siehe oben 3.; zur Frage, was
damit sachlich im ursprünglich gegebenen Kontext gewonnen sei, die
einfache Antwort: nichts.
5. So wenig wie mit der in politisch korrekter Absicht geschehenen
Begriffsverschiebung von "Neger" zu "Schwarzer" zu "Afroamerikaner"
in den USA die reale Lage dieses Personenkreises verbessert wurde,
so wenig wird Ihre Intervention die Rolle der Frau im allgemeinen
und speziell im Bibliothekswesen verbessern. Solche Verbesserungen
sind nicht durch Manipulationen an der Grammatik zu erzielen,
sondern durch politische Veränderungen. Sie werden darauf
antworten, es sei Ihnen nur auf eine Bewußtmachung des male bias
angekommen. Dazu wäre dann wieder oben unter 2. und
3. einzusetzen.
6. Solange diese Präzisierungsschleifen laufen, lassen Sie uns doch
einfach in aller Sachlichkeit festhalten, daß wir gerne, wie alle
Menschen guten Willens, dafür sorgen wollen, Diskriminierungen
abzubauen. Lassen Sie mich aber hinzufügen, daß ich 1. die Sprache
für ein ungeeignetes Mittel zum Diskriminierungsabbau halte und
2. nach etwa 20jähriger Arbeit im Bibliothekswesen nicht sehe, wo
ausgerechnet in diesem Berufsfeld die krassen
Frauendiskriminierungsfälle zu finden sein sollen. In Deutschland
jedenfalls nicht. Zu Österreich kann ich nichts sagen.
Ich darf Ihnen daher ein freundliches "Habe die Ehre" sagen,
Uwe Jochum
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.