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Fullquote & Urheberrecht



Liebe Liste,

bei strenger Betrachtung erscheint ein Fullquote in Diskussionsforen
urheberrechtlich problematisch. Allerdings sollte man bedenken: wer in einem Forum
postet, weiß um die Praxis des Fullquotes. Da diese zwar nicht dem guten Ton
entspricht, dennoch allgemein vorkommt, wird man beim Posten in einem Forum
von einem schlüssigen Einverständnis für entsprechende (Voll)Zitate ausgehen
können. Wenn dieses nun ausdrücklich nicht gegeben wird, wie Herr Graf als
"advocatus diaboli" einmal annimmt, dann sehe ich darin ein
selbstwidersprüchliches und damit rechtlich unerhebliches Verhalten.
 
Man könnte auch erwägen, für Postings in Listen die Idee des
Erschöpfungsgrundsatzes (§ 17 II UrhG) heranzuziehen. Danach kann ein Urheber die weitere
Verbreitung von Werkstücken, die mit seinem Einverständnis verbreitet wurden,
nicht verhindern. (Ein einmal verkauftes Buch darf auch ohne Zustimmung des
Autors weiterveräußert werden). Hier tritt das Interesse des Urhebers hinter
dem Interesse der Allgemeinheit an der Verkehrsfähigkeit der Werkstücke zurück.
Beim Posten entsteht zwar kein Werkstück, aber eine "Publikation" innerhalb
einer bestimmten Liste, doch ist die Interessenlage mit der in § 17 II UrhG
vergleichbar. Soweit die Weiterverbreitung innerhalb der gewählten Liste
erfolgt, sei es auch durch Fullqoute, sollte dem Urheber nach dem Gedanken der
Erschöpfung auch kein Recht gegen die Weiterverbreitung innerhalb der Liste, die
er sich für seine Äußerung ja selbst ausgesucht hat, mehr zustehen. Ich
plädiere daher für eine analoge Anwendung von § 17 II UrhG. Ich sehe hier auch
kein Rechtsschutzbedürfnis. Anders ist es, wenn ein Posting in eine andere
Liste, die sich der Autor nicht ausgesucht hat, geleitet wird oder gar auf einer
Webseite dauerhaft erscheint. Das ist eine andere Qualität von Publikation,
die mit dem Posten in einer Liste sicher nicht als schlüssig erlaubt angesehen
werden kann.

Ein kleiner Seitenschwenker: die in der Liste diskutierten
Internet-Archivierungsvorhaben sind urhberrechtlichen auch nicht ohne Probleme! Wenn man
aufgrund gewandelter Auffassung Inhalte aus dem Netz nimmt (etwa seine HomePage
löscht), sind diese aus dem Cache von google.de oder archive.org noch lange
nicht verschwunden. 

Hier zeigt sich, daß die Kontrolle des Urhebers über seine Inhalte im frei
zugänglichen Web nur auf dem Papier steht. Jetzt wird es grundsätzlich: man
darf bezweifeln, ob das herkömmliche Urheberrecht für frei zugängliche
Netzinhalte wirklich sachgerecht ist. Auch wenn es noch so schön ist: eine
Verbreitungskontrolle der Inhalte im digitalen Kontext ist utopisch, und das
Rechtsgebot, eine Verbreitung ohne Erlaubnis zu unterlassen, wird durch die normative
Kraft des Faktischen auf die Dauer derogiert. Wenig mehr als die Nennung des
Urhebers wird man hier sinnvollerweise nicht fordern können.
Verbreitungsverbote sollte es nur da geben, wo es um zugangsgeschütze Inhalte und damit um
besondere persönliche und wirtschaftliche Interessen geht. 

Damit hier keine Mißverständnisse entstehen. Die gerade geäußerte
urhebrrechtliche "Häresie" möge nicht als Aufruf zum Ignorieren des geltenden Rechts
verstanden werden. Sie ist vielmehr ein Denkanstoß, den sich alle, die mit
publizierter Information professionell umgehen, sicher leisten dürfen. Die
jetzige Lage, die nicht selten Banalitäten mit einem juristischen Panzer umgibt und
die usability des Web durch aufwendige juristische Recherchen lähmt, kann
auf die Dauer keinen wirklichen Bestand haben. Es bleibt also spannend.

Schöne Grüße aus Thüringen
Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de



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