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Re: (Fwd) Re: Radiobeitrag, auch zum Open Access
- Date: Tue, 24 Feb 2004 11:28:49 +0100
- From: "W. Umstaetter" <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: (Fwd) Re: Radiobeitrag, auch zum Open Access
Einige Anmerkungen zur Lage der Bibliotheken, bei denen am meisten
Kritisch ist,
dass sie international zu rasant wachsen, und wir kaum mithalten. (nur
für die, die es interssiert ;-)
Wenn jemand wissen will, was eine Eliteuniversität ist, muss man nur das
Ranking der folgenden
ersten 5 Bibliotheksausstattungen im Fiscal year 2002 anschauen:
1. Harvard Univ. (Cambridge, Mass.) $ 17,518,021,000
2.Yale Univ. (New Haven, Conn.) $10,442,036,000
3. Princeton Univ. (Princeton, N.J.) $ 8,320,000,000
4.Univ. of Austin, Tex. $ 8,259,705,297
5. Stanford Univ. (Stanford, Calif.) $ 7,612,767,540
so einfach ist das :-)
Doch nun zum Radiobeitrag:
So richtig es ist, dass PICA aus den Niederlanden stammt, so wichtig
wäre es auch zu erwähnen, dass man dort bereits auf der Basis von OCLC
aufgebaut hat, und dass die Software deshalb so alt ist, weil das
Bibliothekswesen sozusagen der Vorreiter in der Verbundarbeit war.
Banken, Versicherungen, etc. kamen schon aus Datenschutzgründen alle
später. Das Bibliothekswesen ist nicht seiner Zeit hinterher, sondern
die Gesellschaft pflegt ein völlig veraltetes nostalgisches Image, das
ist unsere Crux.
Die Aussage: „Die Informationskompetenz bei Wissenschaftlern wie bei
Studierenden ... ist, ja: gering, katastrophal, man könnte eigentlich
fast sagen: Es sind Informations-Analphabeten in der Wissenschaft
heute.“ halte ich für äußerst gefährlich. Auch wenn sie gut gemeint ist,
als Aufforderung besser zu werden. Bevor man über die
„Google-Mentalität“ klagt, sollte man sie erst verstehen.
Selbstverständlich ist Google nicht alles, die Milliarde Dokumente
dahinter haben sich aber als bester und raschester Einstieg erwiesen,
und dieses Wissen ist der erste Einstieg in die Informationskompetenz.
Dass der Suchmaschinenmarkt, „hochprofitabel ist“ bezweifle ich sehr.
Das ist eine Frage, wie man den Profit berechnet. Sicher ist, dass es
niemanden auf der Welt gibt, der so genau überwachen kann, was gesucht,
erforscht und gefragt ist, wie Google. Das hat mit herkömmlichem
marktwirtschaftlichem Profit wenig zu tun. Ich rechne das mehr in den
Bereich der geisteswirtschaftlichen Nationalökonomie der USA. Man kann
das auch unspezifisch als „Metainformation“ nennen, wenn man darin auch
geheimdienstliches Data Mining versteht.
Das Google „nur selten die besten Treffer liefert“ scheint mir schlicht
falsch, denn dann hat man es irrelevant eingesetzt und dann würde es
auch sicher nicht so oft genutzt. Die Tatsache, dass „sich fast jeder
zweite Student für kompetenter im Umgang mit der elektronischen
Recherche als sein Dozent“ hält, ist vermutlich ein gesunder
Erfahrungswert. Dagegen ist der Mangel an „Erfahrung mit der Nutzung
Passwort-geschützter hochwertiger wissenschaftlicher Datenbanken“ in
erster Linie eine Kostenfrage – und zwar der Bibliotheken, die sie zur
Verfügung stellen müssten. Hier kann man bei Eliteuniversitäten viel lernen.
Die Tatsache, dass Bibliotheken bislang „nur Bücher und ganze Einheiten“
meist indikativ nachgewiesen haben und Dokumentationen etwa um den
Faktor 100 breiter und informativer erschlossen, hatte einen einfachen
Grund, den man wissen sollte, bevor man es kritisiert. Der Grund liegt
darin, dass diese Informationseinheiten in den Bibliotheken verfügbar
waren, und somit eine grobe indikative Erschließung in Katalogen völlig
ausreichte. Bei den Dokumentationen, bei denen die Benutzer nicht selten
die Quellen nur mit hohem Aufwand erreichen konnten, musste sehr viel
breiter und damit auch tiefer geindext werden. Das System war also in
beiden Fällen ökonomisch. Von einem „Versagen der öffentlichen
Einrichtungen, sprich der Bibliotheken“ kann hier somit nicht gesprochen
werden. Es ist aber richtig, dass man in Deutschland im Bibliotheks- und
Dokumentationsbereich schätzungsweise halb so wirtschaftlich arbeitet
wie in den USA. So publizieren wir so manche wissenschaftliche Arbeit
für 50.000 Euro und sparen das Geld, sie für 50 Euro (ein Promille!)
auch auffindbar zu machen.
Dass es nur rund "25.000" wissenschaftliche Zeitschriften gibt ist
sicher ein frommer Wunsch, da wir längst das Vierfache überschritten
haben. Hier könnte man aber sicher darüber streiten, was alles
wissenschaftlich ist, sowohl bei den 25.000 als auch bei den anderen
75.000).
Bemerkenswert, wenn auch nicht neu, ist die Aussage von Roosendaal, dass
die Verlage „immer einkalkuliert haben, wie viele Absagen es geben“
wird, denn daran erkennt man, dass eine Publikation in der Wissenschaft
nichts mit der herkömmlichen Marktwirtschaft, von Angebot und Nachfrage,
zu tun hat. Das Wissen über die Rettung von Menschenleben (um nur ein
medizinisches Beispiel zu nennen) ist nicht eine Frage wie viele es
lesen wollen, sondern lediglich eine Frage ob es zur richtigen Zeit
vorhanden ist. Darum ist es richtig: „Solch eine Logik kann sich nur ein
Monopolist leisten. Wird die Nachfrage kleiner, erhöht er einfach den
Preis seines Produkts. Im normalen Wirtschaftsleben wäre es genau
umgekehrt. Aber das Wissen ist eben keine Ware wie jede andere.“
Danach kommt aber sofort wieder Unverständnis auf: „Für die Karriere
eines Forschers spielt die Liste seiner Veröffentlichungen eine zentrale
Rolle. Gleichzeitig ächzt die Wissenschaftsgemeinde unter der Flut der
Publikationen. Eine paradoxe Situation." Diese Situation ist nicht
paradox, sondern ein sehr einfaches und schönes Zeichen für die rasante
Expansion des menschlichen Wissens in dieser Welt.“ Wir gehen in die
Wissenschaftsgesellschaft von morgen, in der immer mehr Menschen
wissenschaftlich tätig sind, weil wir immer mehr Wissen brauchen, und
dafür brauchen wir auch eine Wissenswirtschaft, die nicht die gesamte
Ökonomie auf eine triviale Marktwirtschaft reduziert in der Äpfel und
Birnen auf dem marktplatz meistbietend verhökert werden.
Es stimmt: “Forscher wollen sie so viel wie möglich veröffentlichen,
aber so wenig wie möglich lesen.“, solange sie nur das Publizieren, was
an Informationen in dieser Welt gebraucht wird und sie in der Digitalen
Bibliotheken nur das herausfiltern, was sie lesen müssen. Alles andere
wäre unwirtschaftlich. Die Wissensmanager in den Firmen haben das andere
Problem, dass ihre Mitarbeiter ihr Wissen nicht verraten, weil man es
ihnen nicht urheberrechtlich gutschreibt. Sie nennen das dann Tacit
Knowledge und überlegen, wie sie da dran kommen.
So einfach und wichtig ist das publish or parish in der Wissenschaft.
Das sogenannte „peer review“ wird aus meiner Sicht bald seine Bedeutung
gegen das verlieren, was die Medizin seit etwa zwanzig Jahren mit der
evidence based medicine zu erreichen versucht.
Die zunehmend gängig Praxis, dass Autoren für ihre Publikationen zahlen
ist sicher der Weg in die falsche Richtung, denn wenn jemand etwas für
die Gesellschaft tut, und dafür auch noch bezahlen soll, spätestens dann
muss die Gesellschaft umdenken. Ebenso, wie die Idee des „open access“
nichts anderes als die Neuentdeckung (nein nicht des Rades, sondern) des
Bibliothekswesens ist. Bisher ist allerdings das Bibliothekswesen auf
diesem Gebiet nur halb wiederentdeckt worden, was so viel wie
„Halbbildung“ bedeutet, denn Bibliotheken haben nicht nur einen
öffentlichen Zugang zum publizierten Wissen geschaffen, sie haben es
auch für die Nachwelt archiviert, und was noch wichtiger ist, sie haben
es durch ihre Synopsis einer Qualitätskontrolle zugänglich gemacht.
Hervorzuheben ist auch die Frage von Kuhlen: „wer ist dann der Autor
dieses vernetzten neuen Wissens?“ In XML wird es keine Schwierigkeit
sein, bis hinunter zu einzelnen Fakten Copyrights (sozusagen als
Copyrightmetadaten) zu vergeben. Die Fließbandproduktion des Wissens hat
im Internet längst begonnen. Sie muss nun aber noch besser organisiert,
perfektioniert und rationalisiert werden, und dies ist keine
herkömmliche Fließbandproduktion, sondern die von Wissen, bei dem wir
nie sagen können, wann welche Entdeckung gemacht werden wird, während
man bei einem Auto genau weiß, wann, wo und wie der Motor, die
Scheinwerfer oder die Sitze eingebaut werden, und beim Wissen schreiben
wir dann noch dran, wer was wann hinzugefügt hat.
„Der geniale Forscher hat als singuläre Person wohl kaum eine Zukunft.“
Das gilt nur für die Big Science, während die etwa sieben Prozent an
Menschen, die für die Little Science geeignet sind, auch weiterhin
dringend gebraucht werden.
MfG
Umstätter
Bernhard Eversberg wrote:
On 24 Feb 04, at 3:00, Klaus Graf wrote:
Die kritische Lage der Bibliotheken beleuchtet ein
SWR-Beitrag, dessen Text unter
...
eingesehen werden kann (Statements von Wätjen, Oldenburg,
und Kuhlen, KN sowie Ex-Elsevier Rosendaal NL).
Wie ueblich in solchen Faellen, reiht sich manche im Kern w/richtige Aussage an
Oberflaechlichkeit, an Unausgegorenheit und Effekthascherei (insbes. letzter
Abschnitt!). Der Rundfunk wie das Fernsehen ist (wegen seiner Linearitaet und des
immer angestrebten Unterhaltungseffekts) nicht das geeignete Medium zum Transport
komplexer Inhalte, wenngleich bei diesem Thema natuerlich Denkanstoesse an jeder
sich bietenden Stelle gegeben werden muessen, und insofern ist die Sache zu
begruessen. Da sieht man hinweg ueber krause Saetze wie: "Man weist nur Bücher
und ganze Einheiten nach. Also hier ist sicherlich ein - auch in Deutschland
aufgrund der föderalen Struktur - da muss sich Entscheidendes tun. Hier muss man
sicherlich von einem Versagen der öffentlichen Einrichtungen, sprich der
Bibliotheken, reden."
... womit ja z.B. der OLC-Service des GBV komplett uebersehen wird (klar, in
Konstanz *ist* er nicht so gut zu sehen wie in Norddeutschland), aber auch die
Existenz von Fachbibliographien und -datenbanken, die sich seit je in
Bibliotheken finden.
Nebenbei wird ein witziger Beleg fuer die Schaedlichkeit der R-Reform geliefert -
sie verursacht Fehler, die man frueher allenfalls als Jux sah:
"... ist dieses heute mit Nichten der Fall"
wenn nicht gar mit Neffen.
MfG B.E.
Bernhard Eversberg
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