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Re: FW: "Elite-Bibliothek" nur mit "Elite-"Benutzern"?
- Date: Thu, 15 Jan 2004 17:07:53 +0100
- From: Walther Umstätter <h0228kdm _at__ rz.hu-berlin.de>
- Subject: Re: FW: "Elite-Bibliothek" nur mit "Elite-"Benutzern"?
Es scheint mir, ebenso wie Frau Ockenfeld, wichtig, daran zu erinnern
was professionelle Dokumentation beinhaltet (s. M. Buckland: What is a
Document. JASIS 48 (9) S. 804-809 1997). Es ist bemerkenswert wie viel
Substanz in der Diskussion der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu
dieser Thematik steckte. Und Henrichs hat 1998 in seiner "positiven
Utopie" an Henri Lafontaine erinnert, der für seien Dokumentationsidee
den Friedensnobelpreis erhielt. Das gab es 1913. Man sollte historisch
gewachsene Begriffe wie Bibliothek und Dokumentation nicht der
Verballhornung Preis geben, in dem man neue Wortschöpfungen dazu
verwendet, um die alten als veraltet darzustellen. Es ist unsere Aufgabe
zu zeigen, dass Bibliothek und Dokumentation oder genauer gesagt, die
Digitale Bibliothek zeitgemäß und wirtschaftlich ist. Gerade das müssen
wir unseren Nutzern nahe bringen.
Wenn Sauerstoff in der Werbung das frische Atmungserlebnis ist oder bei
der Feststellung "Lieber warmer Mief als kalter Ozon", ein O
dazugewinnt, dann dürfen Laien so locker vom Hocker plaudern, aber nicht
die Physiker, Chemiker oder Biologen. Ist Bibliothekswissenschaft
weniger zeitlos?
Die Ökonomie des Geistes ist noch etwas anderes, als die
Nationalökonomie des Geistes. Sie ist nicht weniger wichtig, und muss
sicher auch in die Überlegung der Bibliothekare eingehen. Sie ist aber
ein individuelles Problem. So wie jeder Autor eine eigene Dokumentation
für sich anlegt, gibt es die professionelle Dokumentation die
Dokumentare als Dienstleistung bereitstellen. Die Menge ist keinesfalls
unvorstellbar, sie ist vielmehr abschätzbar.
Die Ökonomie des Geistes ist eine Art Denkökonomie, die Nationalökonomie
des Geistes dagegen, die wirtschaftliche Betrachtung von geistigen
Erzeugnissen (hier ist Wissen und und nicht Schnaps gemeint ;-) in
unserer Gesellschaft, und die unterliegen nicht alle der herkömmlichen
Marktwirtschaft, und sie dürfen es auch nicht.
Überspitzt muss man fragen: Was kostet ein Kilobyte ethischer
Überlegungen? Als Kosten Leistung ist das abschätzbar (fünf Stunden
nachgedacht, zu Papier gebracht, hat 100 Euro gemacht). Ob es das Wert
ist, ist eine andere nicht weniger wichtige Frage. Der
nationalökonomische Kosten-Nutzen-Wert ist aber etwas schwieriger
berechenbar, und die dabei möglichen Einsparungen durch eine Bibliothek
erfordern ein gewisses know how. Es gibt Überlegungen dazu und die
Schätzung ist sinnvoll, wenn man die Fehlertoleranz berücksichtigt.
Bibliothek und Dokumentation (wobei Otlet und Lafontaine unter
Dokumentation eigentlich auch nur publizierte Dokumente meinten) sind
das wichtigste Rationalisierungsinstrument um Bildung und Wissenschaft
bezahlbar zu machen, und das scheint vielen Entscheidungsträgern nicht
klar zu sein. Damit sind sie (bzw. ist die Digitale Bibliothek) für ein
Land weit mehr Wert als sie kostet, und dass muss in der
Nationalökonomie des Geistes (oder auch im Wissensmanagement
publizierten Wissens) bewiesen werden.
Der beste Beleg für diese Feststellung ist das Internet, weil immer mehr
Wissen darin verrauscht (im Sinne der Informationstheorie). Damit
entstehen für jede Nationalökonomie unglaubliche Unkosten und Wertverluste.
MfG
Umstätter
Marlies Ockenfeld schrieb:
>Wenn ich mich recht erinnere, dann haben Otlet und Lafontaine für diese
>notwendige Vorsorge, von der Bernhard Eversberg spricht, einmal die
>Bezeichnung "Dokumentation" (in Verbindung mit Klassifikation und
>Ordnung) verwendet. Ist aber ein Jahrhundert her.
>Leider wurde diese Bezeichnung als altbacken über Bord geworfen, ohne,
>dass eine vernünftige neue eingeführt wurde. Eine Zeitlang versuchte man
>es mit "Fachinformation" und seither wird alle paar Jahre eine neue
>Bezeichnung für im Grunde immer dasselbe Problem der Enzyklopädisten und
>Bibliothekare aufgetischt.
>Vielleicht kann ja der Bundesverband der Bibliotheksverbände, dem
>inzwischen nicht nur Bibliotheken, sondern u.a. auch das Goethe Institut
>und vielleicht bald andere angehören werden, mit einer neuen
>Bezeichnung, die die alle Akteure einschließt, eine starke Lobby
>aufbauen und eine duchsetzungsfähige Bezeichnng einführen. Ähnlich wie
>EEE- vielleicht ABD(Archiv, Bibliothek, Dokumentation)-Wirtschaft oder
>wenn wir von der Erschließung und Speicherung ausgehen
>Ontologie-Wirtschaft. Wir sollten einfach mal Vorschläge sammeln und
>vielleicht beim Leipziger Kongress eine Pinnwand aufstellen, an der
>weitere Ideen angeheftet werden können.
>
>Marlies Ockenfeld
>
>Fraunhofer IPSI
>Dolivostraße 15
>64293 Darmstadt
>Telefon (06151) 869812
>Telefax (06151) 869785
>ockenfeld _at__ ipsi.fraunhofer.de
>
>-----Original Message-----
>From: owner-inetbib _at__ ub.uni-dortmund.de
>[mailto:owner-inetbib _at__ ub.uni-dortmund.de] On Behalf Of Bernhard
>Eversberg
>Sent: Donnerstag, 15. Januar 2004 07:19
>To: Internet in Bibliotheken
>Subject: Re: "Elite-Bibliothek" nur mit "Elite-"Benutzern"?
>
>
>
>Nochmals der Versuch einer knappen Erklaerung zu der "Nationaloekonomie
>des
>Geistes" (fuer die, wie gesagt, eine neue Bezeichnung gefunden werden
>sollte):
>
>Wer geistig arbeitet, braucht den Zugang zu den Erfahrungen,
>Erkenntnissen und
>Erinnerungen anderer (Vitamin E3). Nur zum Teil erhaelt man diese durch
>direkten
>Austausch mit anderen, zum groesseren Teil entnimmt man sie aus
>Aufzeichnungen.
>Weil es gigantische Mengen solcher Aufzeichnungen gibt, kommt es zuerst
>auf das
>schnelle Finden der jeweils geeigneten an, damit der geistig Arbeitende
>seine
>Zeit oekonomisch nutzen kann. Anders gesagt, "Oekonomie des Geistes"
>legt den
>Akzent darauf, dass man seine Aufmerksamkeit nicht auf allzuviel
>unnuetzes Zeug
>richten muss und keine Energie verbraucht, um laengst Bekanntes selbst
>neu
>herauszufinden. Gesamtwirtschaftlich gesehen bedeutet das, es wird eine
>Infrastruktur gebraucht, die es jedem ermoeglicht, seine geistige
>Kapazitaet gut
>zu nutzen, damit moeglichst viele Individuen dann moeglichst viele gute
>Beitraege
>leisten koennen. Bestandteile dieser Infrastruktur sind Bibliotheken,
>heute aber
>auch das Internet.
>
>Diese Ueberlegung waere vorauszuschicken gewesen, als ich gestern
>schrieb:
>
>
>
>>Vielleicht koennte man es irgendwie
>>*visualisieren*, dass Bibliotheken und Internet *zusammen* (und fuer
>>
>>
>Historiker
>
>
>>noch dazu die Archive) nichts weniger als die gesammelten Erfahrungen,
>>Erkenntnisse und Erinnerungen umfassen, die in allen Laendern, in
>>
>>
>allen Sprachen,
>
>
>>zu allen Zeiten und von allen des Publizierens faehigen Personen
>>
>>
>aufgehaeuft
>
>
>>wurden? Das ist eine weltweit verstreute, unvorstellbare Masse von
>>
>>
>ungeheurer
>
>
>>Komplexitaet. Die Naivitaet muss erfahrbar werden, dass das Navigieren
>>
>>
>in diesem
>
>
>>Universum (vier-dimensional!) ganz einfach sein koennte und noch dazu
>>
>>
>billig!
>
>
>>Nicht nur Eliten koennen von dieser Einsicht profitieren ...
>>
>>
>
>
>
>Bernhard Eversberg
>Universitaetsbibliothek, Postf. 3329,
>D-38023 Braunschweig, Germany
>Tel. +49 531 391-5026 , -5011 , FAX -5836
>e-mail B.Eversberg _at__ tu-bs.de
>
>
>
>
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.