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Bibliotheksiwssenschaft in Berlin



Werte Kolleginnen und Kollegen,

hier sende ich eine Information über die Bibliothekswissenschaft in Berlin.
Entscheidungen sind noch nicht getroffen.

Was können Sie tun? Im Augenblick sollten Sie nichts tun; wir stehen in
Kontakt mit Verbänden usw. um zum richtigen Augenblick im richtigen Ton das
richtige Argument von außen zu lancieren. Kann man in solchen Zeiten noch an
die Kraft des Arguments glauben? Da ich die Hintergründe kenne, wie der
Kürzungsvorschlag des Präsidiums der Humboldt-Universität zustande kam, tue
ich das.

Gruß
Konrad Umlauf

Berlin ist bekanntlich pleite, und nachdem die Berliner Universitäten in

den 90er-Jahren ein Drittel ihrer Stellen ersatzlos streichen mussten,
auferlegte die Landesregierung den drei Berliner Volluniversitäten in
diesem Jahr erneute Kürzungen in Höhe von zusammen 75 Millionen Euro.
Das ergibt pro Universität rund 500 Stellen und 3.000 Studienplätze
weniger. Außerdem muss allein die Universitätsmedizin ein Einsparvolumen

von über 90 Millionen Euro erbringen. In den 90er-Jahren wurden die
Kürzungen an den Universitäten in zähen Verhandlungen auf viele Bereiche

verteilt, einige ganz gestrichen. Damals wurde die
Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität auf zwei Professuren

reduziert. Davon ist eine zur Zeit vakant, während andererseits
zusätzlich zu dem Professor auf einer der beiden Soll-Stellen zwei
Professoren auf Stellen tätig sind, die in den 90er-Jahren mit
k.-w.-Vermerk versehen wurden.

In der diesjährigen Sparrunde schlug das Präsidium der
Humboldt-Universität eine Strategie ein, die bequemer als seinerzeit
durch die Gremien zu bringen ist: Statt überall ein Fünftel, ein Viertel

oder die Hälfte zu streichen, soll in weiten Bereichen ein bisschen und
in einigen Bereichen alles gestrichen werden. Die glimpflich
davongekommene Mehrheit kann dem ohne Diskussionsbedarf zustimmen.
Betroffen sind nach den Plänen der Universitätsleitung u.a. eine
komplette Fakultät (die Agrarwissenschaften) und die
Bibliothekswissenschaft.

Hierbei mag eine Rolle gespielt haben, dass bei der
Bibliothekswissenschaft Streichungen besonders rasch umgesetzt werden
können, weil eben eine Professur gerade unbesetzt ist und zwei
Professoren bis 2006 ohnehin in den Ruhestand gehen.

Die Absicht zur Streichung der Bibliothekswissenschaft überrascht wenige

Monate nach ihrer positiven Evaluation durch ein Gremium externer
Gutachter, besetzt mit Professoren aus Großbritannien, den Niederlanden
und Deutschland. Diese hatten neben einigen Kritikpunkten in ihr
Gutachten ausdrücklich hineingeschrieben, dass die
Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität erhalten bleiben
soll, dass die vakante Professur unverzüglich besetzt werden soll. Und
die externen Gutachter hatten die Leistungen des Instituts beim Aufbau
des innovativen postgradualen Fernstudiengangs, in dem auch
Bibliotheksreferendare und ?volontäre aus vier verschiedenen
Bundesländern ausgebildet werden, besonders gewürdigt. Noch ist nicht
geklärt, ob wenigstens dieser außerordentlich erfolgreiche Studiengang,
der sich durch Studienentgelte weitestgehend selbst finanziert, erhalten

werden kann. Mit Finanznot ist seine Schließung jedenfalls nicht
begründbar.

Entscheidungen sind noch nicht getroffen, offen ist, was die
Universitätsgremien mit der Streichliste der Universitätsleitung machen.

Die Bibliothekswissenschaft trägt in den Verteilungskämpfen folgende
Argumente vor:

· In Deutschland sind Promotion und Habilitation in
Bibliothekswissenschaft nur an der HU möglich. Aus dem Ausland
(besonders Asien und Europa, auch Südamerika und Afrika) richtet sich
ein lebhaftes Interesse auf Promotionsmöglichkeiten in unserem Fach an
der HU.
· Positive Evaluation des Instituts durch externe Gutachter in 2003.
Zentrale Aussagen der Gutachter bei einigen Kritikpunkten:
o Die Bibliothekswissenschaft an der HU muss erhalten bleiben. Das
universitäre Fach, das in USA an über 50 Universitäten etabliert ist,
ist in Deutschland einzig an der HU vertreten.
o Die vakante Professur sollte mit dem Fokus auf digitale Bibliotheken
besetzt werden.
o Das Institut hat mit dem Aufbau des postgradualen Fernstudiums
bemerkenswerte Leistungen in Lehre und Forschung erbracht. Der
Studiengang mit Teilnehmern/innen aus mehr als neun europäischen Ländern

und aus USA genießt höchste Anerkennung im Anwendungsbereich und zielt
auf einen konkreten Arbeitsmarktbedarf.
o Das Fach ist im Anwendungsbereich sehr stark vernetzt und anerkannt.
Z.B. gehörte Prof. Umlauf in 2003 dem Gutachtergremium der
Leibniz-Gemeinschaft zur Evaluation der Zentralbibliothek für
Wirtschaftswissenschaften an.
o Das Institut hat eine exzellente Reihe von anerkannten und viel
zitierten Standardwerken und Handbüchern des Faches vorgelegt.
· Ein weiteres Gutachtergremium hat ebenfalls in 2003 den postgradualen
Fernstudiengang positiv evaluiert.
· Zur stärkeren Vernetzung des Faches in der HU fanden bereits Gespräche

statt. Die Medienwissenschaft ist sehr interessiert an einem Austausch
von Modulen zwischen Medienwissenschaft und Bibliothekswissenschaft.
· Absolventen unserer Studiengänge werden problemlos vom Arbeitsmarkt
aufgenommen.
· Die Abbrecherquote im postgradualen Fernstudium ist unter 10 %.
· In das postgraduale Fernstudium integriert ist die Ausbildung von
Bibliotheksreferendaren und ?volontären für den wissenschaftlichen
(=höheren) Bibliotheksdienst aus vier verschiedenen Bundesländern und
dem Auswärtigen Amt. Hierfür hat das Präsidium in 2001-2003
Verwaltungsvereinbarungen mit den betreffenden Bundesländern
abgeschlossen.
· Alle Bundesländer haben die Ordnungen der HU für das postgraduale
Fernstudium als Zulassungsvoraussetzung für ihren wissenschaftlichen
Bibliotheksdienst anerkannt. Verhandlungen mit drei weiteren
Bundesländern zur theoretischen Ausbildung ihrer Bibliotheksreferendare
in Berlin stehen unmittelbar vor dem Abschluss.
· Bundesweit ist nur an der HU ein universitärer Abschluss möglich, der
zum höheren Bibliotheksdienst berechtigt. Ein entsprechendes
Staatsexamen, das an der Bayerischen Staatsbibliothek erworben werden
kann, ist kein universitärer Abschluss, also enger als unser Abschluss.
Die KMK hat beide Studienstandorte im Sinn eines Wettbewerbs zweier
unterschiedlicher Studiengangsformen empfohlen.
· Der postgraduale Fernstudiengang finanziert sich durch Einnahmen aus
Studienentgelten weitgehend selbst. Die Einnahmen betragen 350.000 EURO
pro Jahr.
· Der postgraduale Fernstudiengang ist als einnahmefinanzierter
weiterbildender Studiengang strategisch bedeutsam und Beispiel gebend.
· Auf einen Studienplatz im postgradualen Fernstudiengang bewerben sich
drei Bewerber.
· Weitere Einnahmen der Bibliothekswissenschaft (Drittmittel) im
Zusammenhang mit dem Aufbau eines grundständigen Fernstudiums für die
Universität Koblenz-Landau in Höhe von ca. 500.000 EURO wurden aus
organisatorischen Gründen nicht an der HU, sondern in Koblenz geführt,
obwohl der Fernstudiengang inhaltlich an der HU entwickelt und von der
HU per Videokonferenz nach Koblenz geliefert wird.
· Als nicht-monetäre Drittmittel (200.000 EUR einmalig + 10.000 EUR pro
Jahr) ist die von dem Verleger Klaus Georg Saur in Form von Büchern in
diesem Wert gestiftete und laufend ergänzte K.G. Saur-Bibliothek des
Instituts anzusprechen.
· Die Berliner universitäre Bibliothekswissenschaft unterscheidet sich
von themenähnlichen FH-Studiengängen (Dipl.-Bibliothekar,
Informationswirt, Medien-Management u.a.) durch:
o das zweite Fach im Magisterteilstudiengang
o die Orientierung auf Zusammenhangswissen, auf strategisches Denken und

auf Leitungsfunktionen.
--
Prof. Dr. Konrad Umlauf
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Bibliothekswissenschaft
Dorotheenstr. 26
10117 Berlin
Tel. 030 / 2093-4493, -4230, -4236
Fax  030 / 2093-4335, -4206
E-Mail konrad.umlauf _at__ rz.hu-berlin.de
http://hub.ib.hu-berlin.de/~kumlau/


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