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Adorno und das Potential der Unvernunft



Theodor W. Adornos Geburtstag jaehrt sich heute zum hundertsten Male.
Bibliotheken haben zu ihm ein dankbares Verhaeltnis. Dankbarkeit zum einen,
weil er natuerlich half, die Regale mit Substanz zu fuellen. Zum andern, weil
allein sein Name fuer viel Arbeit in der Katalogisierung sorgte.
Im PND-Namens-Stammsatz beim GBV stehen diese Schreibungen:
(mit   _at__   ist immer das Eintragungswort markiert)

Ansetzung: Theodor W. _at__ Adorno  (RAK-WB)
LoC-NA: Theodor W. _at__ Adorno (1903-1969)
Verweisungen:
  Theodor W.- _at__ Adorno
  Theodor Wiesengrund- _at__ Adorno
  Theodor Wiesengrund _at__ Adorno
  Theodor _at__ Wiesengrund-Adorno
  Theodor _at__ Wiesengrund Adorno
  Theodor Ludwig _at__ Wiesengrund-Adorno
  Theodor _at__ Wiesengrund
  Theodor _at__ W.-Adorno
  Theodor _at__ Adorno
  T. W. _at__ Adôrnô
  Teodor _at__ Adorno
  Teodor V. _at__ Adorno
  T'eodorÿæu _at__ Adorÿæuno
  T. W. _at__ Adorÿæuno
  Teod¯oru W. _at__ Adoruno
Weitere Verweisung:
  Teddie _at__ Wiesengrund
Provisorische Verweisungen:
  T. W. _at__ Adorno
  Th. W. _at__ Adorno
  Th. Wiesengrund _at__ Adorno
  Hektor _at__ Rottweiler [Pseud.]
  Theodor Wiesengrund _at__ Adorno

Die LoC dagegen verfuegt nur ueber diese Formen:

Ansetzung: Adorno, Theodor W., $d 1903-1969
Verweisungen:
  Wiesengrund, Theodor, $d 1903-1969
  Wiesengrund-Adorno, Theodor, $d 1903-1969
  Adorno, Teodor V., $d 1903-1969
  Adoruno, $d 1903-1969
(letztere Form (wohl die japanische Schreibung) ohne Vornamen)

Die in den 70er Jahren geuebte, so beflissene wie unsinnige und
kontraproduktive
Aufloesung des zweiten (unechten) Vornamens war m.A.n. ein ausloesendes
Moment fuer die so entnervte wie epochemachende Entscheidung der RAK-WB,
zweite Vornamen kategorisch zu kuerzen. Die laengst im Schwung befindliche
restaurative Gegenbewegung hin zum anderen Extrem, zur Individualisierung a
la
LoC, sichert Arbeit fuer unabsehbare Zeit.
Adornos duesterer Kulturpessimismus ("Die Welt ist ein System des Grauens")
findet hier eine bizarre Widerspiegelung. (Wenngleich vielen an diesem
heutigen
Datum andere Belege einfallen.)
Eigentlich wollte er nur sagen, "Leute, gebraucht eure Vernunft, aber passt
auch auf, was ihr damit anrichtet!" Damit sollte die Aufklaerung, die seiner
Ansicht nach nur die erste Haelfte des Satzes auf ihre Fahnen schrieb,
endlich
auf den richtigen Weg gebracht werden.
Wobei er wohl uebersah, dass schon Kant durchaus in diese Richtung dachte,
es aber leider nicht so griffig zu sagen wusste. Seine Spitzentitel,
"Kritik(!)
der reinen bzw. praktischen Vernunft" deuten das klar genug an. [Weswegen ihn
eigentlich die Frankfurter Schule (sog. "Kritische Theorie") von Anfang an
auf's Podest haette stellen muessen. Man wollte aber selber da stehen.
Das nur nebenbei.]
Und Kant, ein noch weit groesserer Regalfueller als Adorno, verschieg in
weiser
Einsicht in das Potential der Unvernunft seine weiteren Vornamen.
Gleichwohl hat die PND noch mehr Verweisungsformen fuer ihn als fuer
Adorno. Und die LoC auch! Es ist zum Heulen.

MfG
B.E.

P.S.
Adorno hiess eigentlich nur "Theodor Wiesengrund". Fuer einen
kulturkritischen
Geistesriesen klingt das zu anheimelnd bodenstaendig, das ist klar.
Er waehlte den Kuenstlernamen zum einen wegen des Wohlklangs (er machte auch
Musik) und zum andern, weil er damit in alphabetischen Listen immer oben
stehen
wuerde (Adorno - immer vorno). (Dieser Gedanke fand durchaus Nacheiferer bis
in unsere Tage.) Was er durch diesen seinen Vernunftgebrauch aber anrichtete,
das entging seiner Vorhersicht, so sehr es ihm als Exempel haette nuetzen
koennen...


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