Fünf Jahre nach Inkrafttreten der sog. Rechtschreibreform läßt sich der Umgang
mit Orthographie und Interpunktion in Deutschland nur noch als chaotisch bis
anarchisch bezeichnen. Erst in zwei Jahren wird sie wirklich verbindlich (im
Bereich staatlicher Regelungskompetenz! Bei der Presse also nicht, d.h. die FAZ
kann fuer immer bei der alten Schreibung bleiben), vorbehaltlich einer noch
ausstehenden Bewertung. Weitverbreitet ist eine wurstige Gleichgueltigkeit, was
schon zu Anfang befuerchtet worden war. Kenntnisse haben ab- statt zugenommen,
und das liegt nicht zuletzt an der "Rechtschreibkorrektur" einer gewissen
Software, ohne die jetzt das Chaos komplett waere. Einer der grossen Verdiener an
der ganzen Sache ist somit ein gewisser Herr aus Redmond bei Seattle, den viele
hierzulande aber schroff zurueckweisen wuerden, kaeme er mit einem Sack voll
Spendengeld fuer Bibliotheken daher. (Dankbarkeit, dass er uns mit der Software
hilft, ist nicht angebracht. *Dass* sie gebraucht wird, das ist das Problem.
Hierdurch wurde unbeabsichtigt der Prozess beschleunigt, intellektuelle
Grundfertigkeiten auf Maschinen zu verlagern. Ueber einen Zusammenhang mit dem
Pisa-Debakel darf nachgedacht werden. Die laengerfristigen Auswirkungen auf
hoehrere Fertigkeiten sind noch nicht abzusehen. Aber vielleicht ist ja alles
nicht so schlimm, vielleicht machen Maschinen irgendwann wirklich weniger
Denkfehler...)
Belletristik erscheint noch zu 50% in alter Schreibung, weil die Autoren das so
wollen. Wer Deutsch lesen und schreiben lernt, wird also in der Tat auf Dauer mit
einem Chaos konfrontiert. Weder alte noch neue Schreibung koennen sich so im
Gedaechtnis sicher verankern, das Ergebnis kann nur zuerst Verunsicherung und dann
Gleichgueltigkeit sein - die Software soll's richten, man hat ja auch noch andere
Probleme.
Genug davon. Was uns zu interessieren hat, sind die Auswirkungen auf Kataloge und
Datenbanken. Vor 5 Jahren wurde eine Bestandsaufnahme der Dinge gemacht, die man
sich evtl. erneut ansehen koennte:
http://www.biblio.tu-bs.de/allegro/formate/rref.htm
Machen Sie sich selber ein Bild von der Situation, schauen Sie sich Beispiele an
in den Datenbanken, mit denen Sie oft arbeiten, etwa diese:
schifffahrt (mit Komposita: rhein-, see-, donauschifffahrt ..)
selbststaendig, unselbststaendig
stuckat... (frueher stukkat...)
substanziell, existenziell, potenziell
potenzial (viele Komposita)
u.v.a.
Die Probleme der Getrenntschreibung, wo frueher zusammengeschrieben wurde, sind
schwerer zu pruefen! Wenn im Titel "nichtlinear" oder "nicht linear" vorkommen
koennte, wie sucht man, wenn man beides erwischen will?
Zu einem Teil kamen die neuen Schreibungen auch frueher schon vor, das sieht man
ja an den Erscheinungsjahren. Aber, wie in der zitierten Untersuchung schon
gesagt wurde, die Inkonsitenzen in Katalogen und Datenbanken wurden durch die
Reform vermehrt, und dessen muss man sich schon bewusst sein, damit man fallweise
an der richtigen Stelle trunkiert bzw. mehrere Versuche macht.
Bei Google allerdings: gibt man "potenzielle" ein, kommen 76.000 Treffer und die
Frage "meinten Sie potentielle?". Gibt man aber "potential", kommen 337.000 und
keine Frage! Was das bei der nicht vorhandenen Trunkierungsmoeglichkeit fuer die
2- oder Mehrwortsuche bedeutet, muss man sich schon ueberlegen.
Das an dieser Stelle faellige Plaedoajee fuer Register spare ich mir heute.
Wer mehr zum Thema an sich wissen will:
http://news.google.de/news?hl=de&q=rechtschreibreform
(vorhin 119 Eintraege)
MfG B.E.
Bernhard Eversberg
Universitaetsbibliothek, Postf. 3329,
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Tel. +49 531 391-5026 , -5011 , FAX -5836
e-mail B.Eversberg _at__ tu-bs.de