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E-Publizieren - Volltext Teil 1



Wissenschaftliches E-Publizieren - Initiativen und
Widerstände

Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung "Faszination Internet"
am 10.7.2003 RWTH Aachen

[Kommentare sind fuer eine ins Auge gefasste Publikation in
einem E-Journal willkommen!]

Vor wenigen Tagen lief in populären Formaten des
US-Fernsehens wie der Letterman-Show
oder den Simpsons der Werbespot der "Public Library of
Science", einer Nonprofit-Organisation, 
die für eine kostenfreie Zugänglichkeit aller
naturwissenschaftlichen Fachartikel
im Internet kämpft.

Commercial anschauen:
http://www.plos.org/support/playvideo.html

Im Oktober soll das erste E-Journal PLoS Biology
herauskommen, das
verspricht, die gleichen hohen Qualitätsanforderungen zu
stellen wie die führenden
kommerziellen naturwissenschaftlichen Zeitschriften Nature
und Science. Vor kurzem
interviewte die ZEIT den Mitgründer der Public Library of
Science, den Nobelpreisträger und
Krebsforscher Harold Varmus. Sein Credo: "Früher waren die
Zeitschriften auf die traditionelle
Art des Publizierens angewiesen. Das heißt: Artikel von
Autoren einholen, Drucken auf Papier,
Abonnements verkaufen. Heute birgt das Internet das
Potenzial, die wissenschaftliche Literatur
viel breiter zugänglich zu machen - für die Wissenschaftler
und für die Öffentlichkeit -, indem
man digitale Bibliotheken errichtet. Der größte Teil der
Wissenschaft wird durch Steuern
finanziert. Deshalb sind wir der festen Überzeugung, dass
die Publikationen allen zugänglich
sein sollten".

http://www.die-zeit.de/2003/26/N-Interview-Varmus

Bekannt geworden war die Organisation durch einen
Boykottaufruf gegen die
wissenschaftlichen Verlage, die so gezwungen werden
sollten, die Inhalte ihrer Zeitschriften
online kostenfrei zugänglich zu machen. Das Scheitern
dieser Initiative hat die Aktivisten nicht
entmutigt. Sie konnten erhebliche Stiftungsgelder für ihre
Ziele einwerben und wurden in den
letzten Tagen durch eine Gesetzesinitiative in den USA, die
"Sabo Bill" unterstützt, die zugleich
die öffentliche Aufmerksamkeit sicherte. Der demokratische
Abgeordnete Sabo fordert, daß alle
von öffentlichen Geldern finanzierte Forschung keinem
Copyright unterliegen dürfe.

Text: http://thomas.loc.gov/cgi-bin/query/z?c108:H.R.2613:

Dies verweist auf eine zweite Bewegung, in den USA dank der
Unterstützung etablierter
Bürgerrechtsorganisationen bereits recht einflußreich: die
Anti-Copyright-Bewegung, die den
alten Wein des geistigen Eigentums nicht mehr in die neuen
digitalen Schläuche einfüllen will
und nach neuen Wegen sucht, um den Bereich der öffentlich
frei zugänglichen Werke, die
"Public Domain" zu stärken. Diese Bewegung wird angeführt
von einem unbestrittenen Star:
dem Harvard-Juristen Lawrence Lessig, der unlängst einen
bemerkenswerten Reformvorschlag
zum Urheberrecht unterbreitet hat. Rechteinhaber sollen
nach fünfzig Jahren eine jährliche
Gebühr für das Fortbestehen des Schutzes bezahlen - tun sie
das nicht, soll das Werk in die
Public Domain übergehen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung,
daß viele geschützte ältere
Werke durch das Desinteresse der Rechteinhaber nicht
genutzt werden können.

Mit seiner Initiative "Creative Commons" hat Lessig einen
juristischen Rahmen für die immer
größer werdende Zahl jener entwickelt, die auf ihr
Copyright oder bestimmte Teile ihres
Copyrights zugunsten der Allgemeinheit verzichten möchten.

http://www.creativecommons.org/

Inspiriert ist die OpenContent-Bewegung natürlich vom
Siegeszug der OpenSoftware, die man ja vor allem mit dem
Namen
des freien Betriebssystems LINUX verbindet. Das englische
Schlagwort Commons verweist
zurück auf die vormoderne Agrarverfassung, in der das
gemeinschaftlich genutzte Land
respektablen Umfang besaß. In Deutschland lautet der
entsprechende historische Terminus
"Allmende", weshalb man gelegentlich auch von der Forderung
nach einer "digitalen
Allmende" lesen kann.

Ein innovatives Modell gemeinschaftlicher
Wissensorganisation ist das sogenannte Wiki-Prinzip. 
Am bekanntesten ist die Wikipedia, eine internationale
Enzyklopädie als
Kollektivwerk, an der jeder mitarbeiten kann.

http://www.wikipedia.org/

Mittels eines simplen webbasierten
Eingabemodus eingebrachte Beiträge können von anderen nach
Belieben ergänzt, verändert oder
sogar, wenn es sich um Mist handelt, gelöscht werden. Zwar
ist der wissenschaftliche Wert der
Wikipedia noch sehr zurückhaltend zu beurteilen, doch
dürfte das Wiki-Prinzip auch im
wissenschaftlichen Kontext große Bedeutung erlangen.

Vernetzt sind die diversen englischsprachigen Initiativen
durch eine kaum überschaubare
Vielzahl von elektronischen Foren: Weblogs, Mailinglisten,
Diskussionsforen, Websites.
Neuigkeiten werden in dieser Community sehr rasch
verbreitet - nicht zuletzt durch die
verhältnismäßig junge Gattung des Weblog, eines
Neuigkeitendienstes, der beispielsweise im
englischsprachigen Bibliotheksbereich bereits fest Fuß
gefaßt hat.

Hier kommt Peter Suber ins Spiel, der vielleicht
einflußreichste Geisteswissenschaftler des
weltweiten "Open Access Movement".

Suber-Bild:
http://www.earlham.edu/~publicaf/scholarship021402.html

Tag für Tag notiert Suber, der bis vor kurzem
Philosophieprofessor am Earlham-College in Richmond war, in
seinem Weblog neue
Presseartikel und andere News, die mit der freien
Zugänglichkeit wissenschaftlicher
Fachliteratur in Verbindung stehen. Vor einigen Tagen hat
sich der Name des Weblogs, das
bisher FOS-News hieß - FOS steht für Free Online
Scholarship - geändert in Open Access
News.

http://www.earlham.edu/~peters/fos/fosblog.html

Suber kann sich jetzt - nicht zuletzt dank der Finanzierung
der Nonprofit-Organisation "Public
Knowledge" - beruflich ganz der Verbreitung des
Open-Acess-Gedankens widmen. Bevor er das
Weblog gründete, verbreitete er die Neuigkeiten in einem
wöchentlichen Mail-Newsletter, der
dieser Tage von ihm wiederbelebt wurde. Träger ist SPARC,
"The Scholarly Publishing and
Academic Resources Coalition", hinter der der mächtige
Verbund amerikanischer Research-Libraries
 steht. Es gibt auch ein SPARC Europa, in dem aus
Deutschland aber nur fünf
Bibliotheken Mitglieder sind. Gründungsmitglieder waren die
Universitätsbibliotheken
Göttingen, Oldenburg und Münster. Später kamen noch die UB
Bielefeld und die Bayerische
Staatsbibliothek dazu.

http://www.arl.org/sparc/

Breiter angelegt ist die Budapest Open Access Initiative,
die maßgeblich von der Soros-Stiftung
finanziert wird und die sich an alle Wissenschaftler
weltweit wendet. Jeder und jede kann durch
Unterzeichnen des Budapester Manifests das Ziel der freien
Zugänglichkeit wissenschaftlicher
Zeitschriftenliteratur unterstützen. Die BOAI ruht auf zwei
Säulen: Erstens sollen alternative 
E-Journals etabliert werden, die durch Peer Review hohen
Ansprüchen genügen, für den
Internetnutzer lizenzfrei zugänglich sind und deren
Finanzierung durch andere Modelle,
beispielsweise Beiträge der Institutionen, deren
Wissenschaftler in ihnen veröffentlichen,
sichergestellt wird. Zweitens soll das Self-Archiving
gefördert werden, bei dem Wissenschaftler
ihre Zeitschriftenbeiträge in institutionelle Archive, etwa
Hochschulschriftenserver, einbringen. 
Beides richtet sich nicht gegen die bestehenden
kommerziellen Verlagsunternehmungen und
respektiert das geltende Urheberrecht.

http://www.soros.org/openaccess/g/index.shtml

Für solche Archive gibt es vereinbarte Datenstandards, die
von der Open Archives Initiative
festgelegt wurden und weiterentwickelt werden. Dies
ermöglicht eine archivübergreifende
Abfrage von Meta-Daten der eingestellten
Veröffentlichungen. Das Open im Namen dieser
Initiative bedeutet freilich etwas anderes als in Open
Access, da an ihr auch kommerzielle
Verlagsarchive, die ihre Inhalte nicht kostenfrei zur
Verfügung stellen, partizipieren.

http://www.openarchives.org/

Zur Open-Access-Bewegung gehört dagegen das
Eprints-Movement, das mit einer freie Software, die
OAI-compliant ist, die Einrichtung von Eprint-Servern
weltweit unterstützt.

http://www.eprints.org/

In Deutschland hat die Budapest Open Access Initiative
bislang nur wenig Rückhalt. Es gibt nur
ganz wenige Aktivisten und nur eine Handvoll
institutioneller Unterzeichner: die Universität
Hamburg, vier Universitätsbibliotheken, das Münchner
Seminar für Geistesgeschichte und - am
rührigsten von allen - das Berliner Zentrum für qualitative
Sozialforschung.

Natürlich gibt es auch in Deutschland eine Reihe von mehr
oder minder einflußreichen
Initiativen, die sich der Förderung des wissenschaftlichen
Publizierens im Internet verschrieben
haben. Ein Bündnis von Bibliotheken und Fachgesellschaften
steht DINI, die Deutsche Initiative
für Netzwerkinformation dar.

http://www.dini.de/

Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften - vorwiegend
Natur- und
Gesellschaftswissenschaften - ihrerseits sind in der
IuK-Initiative zusammengeschlossen.

http://www.iuk-initiative.org/

Und es gibt natürlich auch Unternehmungen außerhalb solcher
Kontexte wie das maßgeblich von
Gudrun Gersmann geprägte Historicum.net, das eine frei
zugängliche E-Zeitschrift Zeitenblicke
mit Themenheften herausbringt und mit den Sehepunkten seit
längerem ein sehr erfolgreiches
Rezensions-Journal anbietet.

http://www.historicum.net

Aus diesem knappen Überblick lassen sich zwei
Schlußfolgerungen ziehen: 

1. Die Geisteswissenschaften sind im Rückstand gegenüber
den Naturwissenschaften.

2. Deutschland ist erheblich im Rückstand gegenüber den
USA.


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.