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Re: Bibliothekswissenschaft?
Guten Morgen zusammen,
eigentlich wollte ich mich ja nicht mehr zum Thema aeussern, aber
wenigstens fuer die vielen netten Zuschriften an mich persoenlich
moechte ich mich auch noch einmal coram publico bedanken!
Eine Zusammenfassung eruebrigt sich, aber zitieren will ich doch die
folgende schoen formulierte Feststellung:
"Ich werde auch den Verdacht nicht los, dass manche
Bibliothekare Bibliothekswissenschaft als Ersatz
fuer eine selbst nicht geschaffte wissenschaftliche
Karriere sehen oder ein so jämmerliches Selbstbild
haben, dass sie sich und ihrer Arbeit immer ein
wissenschaftliches Mascherl umhaengen muessen!"
Auch ein laengeres Selbstzitat kann ich mir, fuer den, der es lesen
moechte, nicht verkneifen:
"- Eine Bibliothekswissenschaft gibt es nicht; es kann sie sowenig
geben wie eine Wissenschaft
etwa von der Verwaltung eines Einwohnermeldeamtes oder vom
Betrieb eines Großkaufhauses. Die bibliothekarische
Tätigkeit ist eine Technik, ein "Handwerk", eine Praxis (abgesehen
vom fachlichen Teil der Arbeit eines Fachreferenten,
aber den lernt er im Fachstudium, und darum geht es hier nicht).
Dieses "Handwerk" versucht selbstverständlich von den
verschiedenen Wissenschaften zu lernen, es übernimmt Methoden
und Erkenntnisse verschiedener Fächer: beispielweise
von der Chemie, wenn es um Fragen der Konservierung geht, von
der Sprachwisenschaft und Logik bei der
Sacherschließung, und die Psychologie kann bei der Optimierung
der Benutzeroberfläche eines OPACs helfen. Das gleiche
gilt für die theoretische Beschäftigung mit "der Bibliothek", für die
Reflexion der bibliothekarischen Tätigkeiten. Auch hier
werden Methoden anderer Wissenschaften übernommen, um die
eigene Praxis kritisch zu überdenken, aber keine eigenen
Methoden geschaffen. Aber gerade wegen dieser Komplexität und
eklektizistischen Vielfalt kann es die
"Bibliothekswissenschaft" nicht geben, als genuine und spezifische
Wissenschaft, mit eigener Theoriebildung und
grundlegender methodischer Reflexion."
> Zur Untermalung ein Beispiel aus einem anderen Bereich:
> die Krankenpflege. Die meisten wissen wahrscheinlich gar nicht,
> dass man das studieren kann.
Gebe Gott, dass, sollte mir einmal ein Unfall zustossen, ich nicht
einem Pflegewissenschaftler zum Opfer falle, sondern in die
heilenden Haende einer kundigen und erfahrenen Pflegerin gelange!
Schlechter Spass beiseite! Natuerlich liegt, da haben Sie ganz
recht, lieber Herr Schneemann, in unserem Metier einiges im argen;
aber das hat seinen Grund keinesfalls in mangelnder
Wissenschaftlichkeit, sondern im Gegenteil: in zu grosser
Praxisferne und zu starker "Abgehobenheit" der
Entscheidungstraeger.
Und daran, dass die Pseudo-Professoren der
Bibliothekshochschulen nur an der Aufwertung ihrer eigenen Position
durch Verwissenschaftlichung arbeiten, statt sich um die Probleme
der Praxis zu kuemmern (die sie freilich im Normalfall ueberhaupt
nicht kennen).
Schoene Woche und sorry fuer die vielen Worte,
Ihr
Thomas Hilberer
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Dr. Thomas Hilberer, Fakultaetsbibliothek Neuphilologie
Tel.: 07071 29-74325; FAX: 29-5811
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