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Bibliothekswissenschaft?
Liebe Liste,
die Wissenschaftsdiskussion um die Bibliothekswissenschaft krankt vor allem an
der Unschärfe des Wissenschaftsbegriffs. Soll man einen
wissenschaftstheoretischen (welchen?) oder vielleicht einen normativen, sprich
verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff nehmen? Da das, was sich in
Deutschland Bibliothekswissenschaft nennt, an staatlichen
Hochschuleinrichtungen stattfindet, wäre hier der verfassungsrechtliche
Wissenschaftsbegriff aus Art. 5 III GG gegeben. In der Konkretisierung durch
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dabei jede methodisch und
planvoll auf die Erzielung neuer Erkenntnisse gerichtete Tätigkeit Wissenschaft
im Sinne der Verfassung. Daß es danach eine Bibliothekswissenschaft gibt, die
dem grundrechtlichen Schutz von Art. 5 III GG unterfällt, ist unzweifelhaft.
Unter den weiten verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff könnte man nach
freilich umstrittener Auffassung auch Astrologie subsumieren. Sicher würden mir
die meisten hier Recht geben, daß Astrologie wohl nicht zu den Wissenschaften
zu zählen ist, obwohl das historisch auch mal anders war. Entscheidend ist die
soziale Akzeptanz als Wissenschaft. Genau hier liegt wohl auch das Problem für
die Bibliothekswissenschaft, vor allem hinsichtlich so "banaler" Dinge wie etwa
der Lehre vom Geschäftsgang oder der Lehre von der Erwerbung. Die
Bibliothekswissenschaft kann hier aber systematisch als spezielle
Verwaltungswissenschaft gesehen werden. Wer sich wissenschaftstheoretisch
vertiefen will: das Problem inwieweit die "Verwaltungslehre" als
"Verwaltungswissenschaft" gelten kann, ist mittlerweile umfassend ausdiskutiert
und positiv beantwortet. Hierzu schon Ferdinand Schmid: Über die Bedeutung der
Verwaltungslehre als selbständiger Wissenschaft, in: Zeitschrift für die
gesamte Staatswissenschaft 65 (1909), S. 193-223. Da müssen wir als
Bibliothekare nach fast 100 Jahren gar keine neue Diskussion eröffnen.
Man könnte natürlich darüber nachdenken, warum vor allem bei Bibliothekaren die
Bibliothekswissenschaft umstritten ist. Immerhin sind Professionalisierung und
Verwissenschaftlichung von Lebensbereichn immer auch mit Prestigegewinn
verbunden. Wer das nicht glaubt, der frage einmal die Sozialarbeits- oder die
Caritaswissenschaftler. Vor diesem Hintergrund ist die besonders kritische
Diskussion in den eigenen Reihen nur verwunderlich.
Vielleicht - und das ist bloß eine These - liegt die "Wissenschaftsallergie"
der "wissenschaftlichen" Bibliothekare an dem zwischem studierter Wissenschaft
und geforderter Verwaltungspraxis hin und her oszillierenden Berufsbild.
Darüber könnte man mit größerem Gewinn diskutieren als über die Frage, ob es
Bibliothekswissenschaft gibt. Diese Frage hat die Praxis längst entschieden.
;-)
Eric W. Steinhauer, BibRef.
UB Freiburg/Brsg.
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.