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Waldseemueller-Karte nun in Washington



Nachdem eine Meldung der FAZ letzten November von einem drohenden
Verkauf der Waldseemueller-Weltkarte zu berichten wusste, ist es nun
Gewissheit: Das kostbare Stueck, registriert als deutsches Kulturgut,
befindet sich, nach Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung durch die
Bundesregierung, in der Library of Congress (LC) in Washington. Eine
Verkaufvereinbarung mit dem bisherigen Eigentuemer, dem Fuersten von
Waldburg-Wolfegg, wurde erzielt.

Die FAZ hat als erste Zeitung auf ihrer Seite 1 vom Samstag (21.7.2001)
von dem Verkauf berichtet.

Auszug:

"Ein Fürst verkauft Amerikas "Geburtsurkunde"
           
Eines der berühmtesten deutschen Kulturgüter ist jetzt in
der Kongreßbibliothek / Von Leo Wieland

WASHINGTON, 20. Juli. Amerikas "Geburtsurkunde", eines
der berühmtesten deutschen Kulturgüter, ist jetzt mit einer
Sonderausfuhrgenehmigung der Bundesregierung zum Verkauf
an die Washingtoner Kongreßbibliothek in die Vereinigten
Staaten gebracht worden. Die im Jahr 1507 gefertigte
Weltkarte des Kartographen Martin Waldseemüller aus Freiburg
im Breisgau enthält zum ersten Mal die Bezeichnung America
für den erst fünfzehn Jahre davor von Christoph Kolumbus
entdeckten Kontinent. Der Besitzer, Fürst Johannes zu
Waldburg-Wolfegg, soll als Kaufpreis dafür zehn Millionen
Dollar verlangt haben. Auf Anfrage dieser Zeitung bestätigte er
nur den Transfer am 27. Juni.

Die Kongreßbibliothek, die mit fast fünf Millionen
Einzelstücken über die international wohl größte
kartographische Sammlung verfügt, war an diesem
jahrhundertelang verschollenen Kronjuwel, welches der Neuen
Welt ihren Namen gab, interessiert, seit es zu Beginn des
vorigen Jahrhunderts von einem Jesuitenpater auf Schloß
Wolfegg in Oberschwaben gefunden wurde. Der Erwerb der
Karte durch die amerikanische Bibliothek, der von seinen
Förderern als "Symbol der deutsch-amerikanischen
Freundschaft" gedacht war, zog sich jedoch wegen der
schwierigen Ausfuhrgenehmigung nach dem Gesetz zum
Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung sowie der
ungesicherten Finanzierung in die Länge. 

[...]

Die Verhandlungen über das Objekt Nr. 01301 auf der
deutschen Kulturgüterliste reichen bis in die Amtszeit von
Bundeskanzler Kohl zurück, als schon vergebliche Versuche
unternommen wurden, deutsche Sponsoren für das Projekt zu
finden. Auch Bemühungen der Kongreßbibliothek, bei
amerikanischen Industriellen Unterstützung für den Erwerb
eines Dokuments zu finden, welches nach der
Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung mit an der Spitze
historisch signifikanter Originale stehen dürfte, waren
ursprünglich nicht erfolgreich. [...]

Fürst Johannes zu Waldburg-Wolfegg verband mit seiner
Offerte an die Kongreßbibliothek offenbar den Wunsch, daß die
Karte an einer möglichst prominenten Stelle zugänglich werden
solle. Er wollte wohl verhindern, daß das Werk - es setzt sich aus
zwölf Holzschnitt-Tafeln zusammen und mißt fast drei
Quadratmeter - im Panzerschrank eines privaten Sammlers
verschwindet.

Mit Einverständnis von Bundeskanzler Schröder gab schließlich
der damalige Staatsminister für Kultur, Naumann, ein Förderer
des Projekts, die Ausfuhrerlaubnis. 

[...]

In Deutschland gab es hingegen auch Kritik an einem Verkauf
des einzigartigen Stücks - die Auftragsarbeit zur Aktualisierung
von Ptolemäus' Weltatlas aus dem zweiten Jahrhundert war in
der lothringischen Stadt St.-Dié gedruckt worden - ins
Ausland. So bat der Stuttgarter Rechtsanwalt Otto Clausnizer,
der sich mit dem Werk Waldseemüllers beschäftigt hat,
Staatsminister Naumann noch im vorigen Jahr, alles zu
unternehmen, um das Kulturgut in Deutschland zu behalten. Er
argumentierte, daß eine Weitergabe ein unersetzlicher und nicht
zu rechtfertigender Verlust wäre.

Waldseemüller, der sich anscheinend nicht ganz sicher war,
wem das größere Verdienst an der Entdeckung der Neuen Welt
zukam - Kolumbus oder dem Florentiner Kaufmann Amerigo
Vespucci -, entschied sich für Vespucci und trug auf seiner
Karte, die zum ersten Mal auch zwei Ozeane zeigt, die
Bezeichnung America in den südlichen Teil des
Doppelkontinents zwischen dem heutigen Brasilien und
Argentinien ein. Nordamerika firmiert im Erklärungsteil noch
als Terra Ulteri Incognita. In der Sammlung des Fürsten ist mit
der Weltkarte noch eine ebenfalls mehrteilige seltene Seekarte
(Carta Marina) mit Aufzeichnungen nautischer Routen
verbunden, die von den europäischen Entdeckern zunächst
geheimgehalten worden waren. Der Preis dafür soll vier
Millionen Dollar betragen. Noch ist offenbar nicht gesichert, ob
die Kongreßbibliothek auch für diesen Teil die gewünschte
Summe aufbringen kann oder ob die Sammlung eventuell
getrennt werden muß."

Am Montag (23.7., S. 39) brachte das Feuilleton der FAZ weitere
Informationen (von Leo Wieland) und eine Glosse. Danach wurde die Karte
am 27. Juni diskret nach Washington gebracht. Der Kaufpreis betrage 10
Mio. Dollar, wovon schon eine Anzahlung von einer halben Million
geleistet worden sei.

Am Schluss ist noch die Rede von der "Waldseemüller-Sammlung" des
Fuersten, die in einem "einheitlichen Album" seltene nautische und
Sternen-Karten umfassen wuerde. Dieser nicht von Ausfuhrbeschraenkungen
nach dem Kulturgutschutzgesetz betroffene Teil wird von der LC nicht
erworben werden und muss daher von ihm getrennt werden. Er koenne sich
nach Ansicht mancher Experten mit dem Wert der America-Karte messen.

In der Glosse (von "E.B.") wird der Verkauf kritisiert. "Warum soll man
den Amerikanern nicht ihren geographischen Taufschein ueberlassen? Der
Kulturpatriot muss dagegenhalten, dass, wenn schon die Deutschen die
Welt nicht mitentendeckt haben, sie doch die ersten waren, die sie
kartographierten. Das Zeugnis dieser Tat ist unbedingt schuetzenswert."
Es gebe einiges zu klaeren. Nach dem Gesetz sei nur der Innenminister
zur Ausnahmebewilligung berechtigt, gestuetzt auf Sachverstaendige. "Wie
konnte daraus eine Nacht- und Nebelaktion werden? Die Kulturnation steht
erschuettert und verunsichert da. Wie sicher sind noch die
Schutzlisten? Wer schuetzt uns vor treulosen Schuetzern, wer
kontrolliert sie?"

Am Dienstag setzte die FAZ ihre Kampagne fort, auf S. 47 wird
Ministerialdirigent a.D. Waldemar Ritter, 25 Jahre lang fuer den Schutz
des Kulturgutes verantwortlich, zitiert. Der Verkauf sei gegen
"das Votum aller Kulturfachleute in Deutschland" zustandegekommen und
ein "boeses Omen".

Am gestrigen Mittwoch folgte eine kleine Meldung auf S. 47: Der Deutsche
Museumsbund habe den Verkauf kritisiert. Es stelle sich die Frage, so
der Museumsbund, "welchen Sinn und Zweck eine gesetzliche Liste
geschuetzten deutschen Kulturgutes ueberhaupt noch haben soll, wenn das
Anliegen dieser Liste [...] mit Sondergenehmigungen und von Amts wegen
gebrochen wird".

STELLUNGNAHME:

Waldseemueller war ohne Zweifel einer der bedeutendsten Kartographen zu
Beginn des 16. Jahrhunderts. Seine Lebensdaten sind offenbar nicht
gesichert. In dem Katalog "Kaiser Karl V." aus dem Jahr 2000 werden
unter der Nr. 64 die Daten "um 1479 -um 1521" genannt, waehrend es bei
der Nr. 275, die dem Wolfegger Unikat gilt, heisst: 1470-1518. Die dort
angefuehrte Literatur ist offenbar sehr allgemein und nicht gerade
taufrisch. Pikant beruehrt, dass von 1985 publizierten
wissenschaftlichen Forschungen, die eine spaetere Datierung der Karte
nahelegen, weder hier noch in der gegenwaertigen deutschen Diskussion
Notiz genommen wird (siehe Anhang 2).

Zu begruessen ist, dass einmal mehr die Frage des Kulturgutschutzes
oeffentlich thematisiert wird. Mangelnde oeffentliche Transparenz ist
hier allenthalben zu beklagen. Die Liste national geschuetzten
Kulturguts ist eine virtuelle Kunst- und Wunderkammer der Bundesrepublik
mit mancherlei Curiosa, vor allem aber riesigen Luecken, ueber die man
sich nur wundern kann. Eine gerichtliche Ueberpruefung des Vollzugs des
Gesetzes ist nur durch dem Eigentuemer moeglich. Es ist gleichgueltig,
wie der zur Entscheidung befugte Innenminister seine Genehmigung
begruendet und ob er sich dabei gegen den Sachverstaendigenausschuss
stellt - Kulturgutschutz- und Denkmalschutzrecht spielt sich in der
absolutistischen Sphaere der Exekutive ab, die nach Gutduenken handeln
kann. Sie ist zwar an Recht und Gesetz gebunden - doch wen kuemmerts?
Die
Zerstoerung der Donaueschinger Hofbibliothek und anderer gewachsener
Sammlungen zeigt die eklatanten Defizite im Bereich historischen
Kulturguts in Privateigentum. Die Lobby des Kunsthandels hat hier das
Sagen.

Es ist absolut unverstaendlich, dass die LC es zulaesst, dass die
Waldseemueller-Sammlung in Wolfegg nunmehr zerrissen wird. Sie will das
Glanz-Stueck, das Provenienz-Prinzip ist ihr gleichgueltig.

Die ueberaus reiche Wolfegger Bibliothek ist so gut wie unerforscht. Sie
steht gemaess Beschlusses des OLG Stuttgart vom 31.8.1956 (FS I Nr. 86
IV d 1) unter der Fideikommiss-Aufsicht der Wuerttembergischen
Landesbibliothek Stuttgart (doch diese hat zu tun, was das
Wissenschaftsministerium anordnet ...). Laut Mitteilung der Bibliothek
vom 17.7.1998, die durch einen Verwaltungsgerichtsprozess erzwungen
werden musste (vgl. NJW 1996, S. 538), wurde diese Aufsichtspflicht nur
dadurch wahrgenommen, dass der Bestand in den Zentralkatalog
Baden-Wuerttemberg aufgenommen wurde. Weder wurden Buecher entliehen
noch wurde irgendwann von dem eingeraeumten Vorkaufsrecht Gebrauch
gemacht.

Die Bibliothek war in den letzten Jahrzehnten der Wissenschaft nicht
zugaenglich und wurde auch nicht in das "Handbuch der historischen
Buchbestaende" aufgenommen. In Wolfegg liegt das beruehmte
"Mittelalterliche Hausbuch" (Nr. 01404 der Kulturgueterliste), das
Gebetbuch des "Bauernjoerg" (Nr. 01407 - siehe
http://www.uni-koblenz.de/~graf/hsslink.htm) und eine beruehmte
Ptolemaeus-Handschrift des Nicolaus Germanus (Nr. 01408), datiert
4.10.1482 in Florenz und Vorlage des Ulmer Drucks von 1482 (Peter
Amelung, Der Fruehdruck im deutschen Suedwesten 1979, S. 282). Letztere
wurde nicht einmal zu einer Ptolemaeus-Ausstellung in Ulm ausgeliehen!

Was wird aus dem Waldseemueller-Album, was wird aus den erlesenen
Handschriften und den provenienzgeschichtlich noch nicht dokumentierten
Drucken der Bibliothek der Fuersten von Waldburg-Wolfegg? Die Praxis der
Stuttgarter Kultusbuerokratie laesst wieder einmal das Schlimmste
befuerchten.

Man mag es begruessen, wenn die Waldseemueller-Karte nunmehr erstmals
oeffentlich zugaenglich ist. Man mag den Kultur-Protektionismus in
Sachen "nationales Kulturgut" im Zeichen des vereinten Europa und der
Globalisierung fuer obsolet erachten. Gewiss handelt es sich aufgrund
des vehementen amerikanischen Interesses um einen Sonderfall, aber die
diskret ausgehandelte Vereinbarung ist in der Tat ein uebles Signal, das
einmal mehr die eklatante Vernachlaessigung des Schutzes beweglicher
Kulturdenkmale in Deutschland aufzeigt.

Dr. Klaus Graf
Mehr Kulturgutverlust-Informationen:
http://www.uni-koblenz.de/~graf/#kulturgut

Anhang 1: WWW-Materialien

Mailinglisten-Beitrag zu den Geruechten im November 2000:
http://www.dhm.de/pipermail/demuseum/2000-November/000607.html

Beitrag zu den Verkaufabsichten 2000 (engl.)
http://www.raremaps.com/maptrade/oct00/msg00017.html

Heftige Diskussion dazu in der Mailingliste EXLIBRIS ("moral theft"):
http://palimpsest.stanford.edu/byform/mailing-lists/exlibris/2000/11/

Mitteilung der LC zum Erwerb Juli 2001
http://www.loc.gov/today/pr/2001/01-093.html

Artikel zur Karte in der englischen FAZ:

http://www.faz.com/IN/INtemplates/eFAZ/archive.asp?rub={B1311FCC-FBFB-11D2-B228-00105A9CAF88}&doc={366C90CC-7C8E-11D5-A3B6-009027BA22E4}

http://www.faz.com/IN/INtemplates/eFAZ/archive.asp?rub={B1311FCC-FBFB-11D2-B228-00105A9CAF88}&doc={366CAAC7-7C8E-11D5-A3B6-009027BA22E4}

http://www.faz.com/IN/INtemplates/eFAZ/archive.asp?rub={F1B72E51-3783-11D4-A3AA-009027BA22E4}&doc={A1E98DA0-D051-11D4-B99E-009027BA226C}

http://www.faz.com/IN/INtemplates/eFAZ/archive.asp?rub={B1311FFE-FBFB-11D2-B228-00105A9CAF88}&doc={366CABC2-7C8E-11D5-A3B6-009027BA22E4}

Abbildungen der ganzen Karte (farbig):
http://www.bigoid.de/conquista/biographien/waldseemueller.htm
http://www.iag.net/~jsiebold/310.html
http://www.interkart.de/html/maps/antique/waldseemullerworld.htm
(Reproduktion erhaeltlich fuer DM 59,-)

Seite zu Martin Waldseemueller (engl.) mit guten Abbildungen zur Karte
http://bell.lib.umn.edu/map/WALD/indexw.html

Informationen ueber Weltkarten mit Links
http://www.geog.uni-heidelberg.de/~ttavk/weltkart01.htm

Bibliographie zur Waldseemueller-Karte:
http://duke.usask.ca/~pekacz/Printed16.htm

***

Anhang 2:

Waldseemueller World Map (Roland Folter , 11/22/00 21:29)
To: <exlibris _at__ library.berkeley.edu>

Before the discussion on this subject becomes too emotionally laden, I'd
like to remind everyone of a fairly recent scholarly study (Elizabeth
Harris in Imago Mundi 37, 1985, 30-53) in which it is demonstrated that
the Waldburg-Wolfegg copy of this famous map cannot have been printed
before 1515.  Therefore, this map can no longer be considered the first
one on which the name "America" appears.  This honor belongs to
Waldseemueller's globe gores of 1507, of which - fortunately - two
copies exist, one in the US (Minneapolis, Bell) and one in Germany
(Munich, BSB).  Thus national honors are preserved.
Whether the dethroned Waldburg-Wolfegg is still worth $14 million is, as
with all unique objects, a matter between seller and buyer.



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.