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Re: Zukuenftige Finanzstrategien
Sehr geehrter Herr Dr. Neubauer, liebe Liste,
es ist begruessenswert, in Inetbib die Diskussion um das Quo vadis
wissenschafticher Bibliotheken im elektronischen Zeitalter anzuregen. Ob
eine oeffentliche Presseerklaerung auf einem Bibliothekskongress der
richtige Ort ist, strukturelle Defizite fuer die Bibliothekskrise
verantwortlich zu machen, wage ich zu bezweifeln. Mit oeffentlichen
Aeusserungen wie der Ihren schaden wir dem Ansehen wissenschaftlicher
Bibliotheken, wenn Ihr Beitrag auch als "Aufruf zu neuen Ufern" gemeint
war.
> Dem hohen Niveau der Tagung nicht angemessen waren allerdings
> die Aussagen der Verbandsvertreter zu Ursache und Loesung der
> sogenannten ?Bibliothekskrise? und der Finanzprobleme, sowie ihre
> Polemik gegen abweichende, aber sehr viel intelligentere
> Loesungsvorschlaege.
Die Beitraege von Alice Keller, Evelinde Hutzler und Albert Bilo in dem
von Beate Troeger herausgegebenen Band "Wissenschaft Online" belegen
augenfaellig, dass (bereits existente!) "intelligentere
Loesungsvorschlaege" wie Konsortienbildungen zur Errichtung einer
"Marktmacht" oder Pay-per-View-Modelle die Zeitschriftenkrise nicht
behoben haben, vielmehr neue Angebotsformen elektronischer Medien und
Zeitschriftenkrise zwei Seiten einer Medaille sind.
> Anlass hierfuer war die unter anderem von mir vorgetragene
> Auffassung, dass es nicht genuegt, nur die schwierige Situation
> der Bibliotheken hinsichtlich Zeitschriftenkrise, hoher Preise und
> knapper Etats zu beschreiben und deshalb mehr Finanzmittel der
> oeffentlichen Hand zur Weiterfuehrung des gewohnten
> bibliothekarischen Geschaefts zu fordern. Geld für Buecher alleine
> kann nicht der Zweck unser aller Bemuehungen um die
> Zukunftsfaehigkeit der Bibliotheken sein.
Als "unparteiische" Teilnehmerin des zweifellos sehr gelungenen
Kongresses, der erstmalig eine Abspaltung der innovativen
Inetbib-Tagungen vom Kongressgefuege ueberfluessig zu machen schien,
habe ich den Vorstoss der BDB, ueber eine Bundestagsdebatte auf die
Finanzkrise in wissenschaftlichen (Hochschul-)bibliotheken aufmerksam zu
machen, auch nicht so verstanden, dass mehr Geld zum Kauf von mehr
Buechern gefordert werde. Der notwendige Strukturwandel im
wissenschaftlichen Bibliothekswesen durch Umwandlung der
Hochschulbibliotheken in nutzerorientierte Dienstleistungszentren als
Antwort auf einschneidende Veraenderungen durch elektronisches
Publizieren wird auch von der HRK (in: Bibliotheksdienst 4 (2001), S.
484, leider noch nicht online abrufbar) anerkannt. Allerdings sollte der
Aufbau von Portalen und Digitalen Bibliotheken auch nicht zur Gefährdung
der tradierten Bibliotheksbestände führen.
Im Positionspapier der BLK " Digitalisierung von wissenschaftlichen
Bibliotheken" heißt es explizit: "Die weltweit unvermindert steigende
Buch- und Zeitschriftenproduktion und die laufende Kostensteigerung pro
Einheit, Entwicklungen, die also keineswegs zur Reduktion des
Finanzbedarfs fuehren, machen es dringend noetig, fuer die Versorgung
mit elektronischen Mdien zusaetzliche Haushaltsmittel bereitzustellen.
Der Erwerb digitaler Medien darf nicht die Versorgung mit Druckschriften
gefährden." (S. 15)
> Dabei stuetze ich mich
> im uebrigen auch auf Papiere des Bundesministeriums für Bildung,
> Wissenschaft, Forschung und Technologie, der
> Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz.
Auch die Hochschulrektorenkonferenz schreibt in ihrer Empfehlung des
193. Plenums vom 19./20. Februar 2001:
"Verschaerft wurde die finanzielle Lage durch den hohen Wechselkurs des
Dollars; Fachleute schaetzen den daduch entstandenen Zusatzaufwand der
wissenschaftlichen Bibliotheken auf etwa 60 Millionen DM p.a. Diese
Kosten haben deren Erwerbungs-Spielraum erneut spuerbar eingeschraenkt,
so dass empflindliche Luecken in der Literaturversorgung entstanden
sind. (...)
Bund und Laender stellen sicher, dass der nominale Zuwachs der
regulaeren Erwerbungs-Etats wissenschaftlicher Bibliotheken kuenftig
zumindest mit der Preisentwicklung auf dem Sektor wissenschaftlicher
Literatur und mit dem Anstieg der Literaturproduktion Schritt halten,
wie dies seit Jahren von allen Fachleuten gefordert wird. Dies gilt auch
fuer die pauschaliert oder ueber einen Globalhaushalt zugewiesenen
Mittel. Nur durch eine solche Stabilisierung und Verstetigung der
Etat-Ansaetze auf einem angemessenen Niveau werden die Bibliotheken in
die Lage versetzt, eine kontinuierliche Beschaffungspolitik zu betreiben
und die kostenintensive Umstellung auf die Vorhaltung digitaler
Informationen weiterzufuehren." (in: Bibliotheksdienst, H.4 (2001), S.
483)
>
>
> 1. Die durch fehlende Erwerbungsmittel charakterisierte
> "Bibliothekskrise" beruht nur vordergruendig auf einer Finanzkrise.
> Vielmehr sind die finanziellen Probleme Ausdruck einer
> grundlegenden Strukturkrise der Bibliotheken.
>
> 2. Die Bibliothekskrise laesst sich durch die konventionellen, d.h.
> strukturerhaltenden Ansaetze nicht loesen. Vielmehr muessen die
> Bibliotheken die neuen strukturellen Moeglichkeiten nutzen, die
> sich durch die Bereitstellung elektronischer Formen via Internet
> ergeben und so ein zeitgemaesses und effektives Management für
> die Informations- und Literaturversorgung aufbauen.
Die neue aktivere Rolle der Bibliotheken im wissenschaftlichen
Kommunikationsprozess ist doch laengst unhinterfragt.
> 4. Die Bibliotheken muessen sich verstaerkt um die Entwicklung
> elektronischer Dienstleistungen und den Ausbau der hierzu
> notwendigen Infrastruktur bemuehen. Hierbei koennen und
> muessen sie auch Felder besetzen, die ihre aktive Rolle als
> Informationsvermittler unterstreichen.
Die Tagung war doch ein Beleg dafuer, dass diese Umorientierung und eine
Beteiligung an den entsprechenden Diskussionen bereits stattfindet.
Nicht nur in Bielefeld hat die Zukunft laengst begonnen....:-)
>
> 5. Aber auch fuer intelligente Loesungen braucht man mehr Geld.
> Man soll es allerdings fuer die richtigen Prioritaeten und Konzepte
> ausgeben.
An diesem Punkt herrscht offenbar Einigkeit.
Ihre Intention, die Diskussion eines sich anbahnenden Paradigmenwechsels
in wissenschaftlichen Bibliotheken anzustossen, war sicher richtig. Sie
haben das durch die sorgfaeltige Auswahl der Beitraege zum Thema auf der
Tagung ja auch vorzueglich belegt.
Aber vielleicht haetten unsere Verbaende die dringend benoetigten
Anschub- und Zusatzmittel laengst eingefahren, wenn Sie Ihre Kritik
nicht gar so laut geaeussert haetten.
Mit freundlichen Gruessen,
Regine Schmolling
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Dr. Regine Schmolling
Fachreferentin Anglistik/Amerikanistik/Iberoromanistik
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