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Back to Gutenberg - der Springer-VDI-Verlag nimmt Abschied vom Elektronischen Publizieren



Pünktlich zur CEBIT, wo der Verein Deutscher Ingenieure in diesem Jahr
als Schwerpunkt das "VDI-Kompetenzfeld Informationstechnik" präsentiert,
nimmt der Springer-VDI-Verlag, in dem alle vom VDI herausgegebenen
deutschen  Technik-Zeitschriften erscheinen, Abschied vom Elektronischen
Publizieren. Für ein Jahr hatten Springer-LINK-Kunden unter den
Universitäten Volltext-Zugriff auf die von ihnen abonnierten
Zeitschriften des Verlags. In einem Kundenbrief von Vertrieb und
Leserservice des Verlags heißt es jetzt: 

"Leider müssen wir Ihnen mitteilen, daß der Springer-VDI-Verlag ab 1.
April 2001 keine Volltexte - mit Ausnahme der wt Werkstattstechnik - im
Internet mehr zur Verfügung stellen wird. Wir bitten Sie um Verständnis
für diese Entscheidung. Unsere Testphase in 2000 hat gezeigt, daß die
Installation von elektronischen Volltextversionen zu einer
unkontrollierten Verbreitung der Zeitschrifteninhalte führt, die auch
unbefugte Zugriffe ermöglichen würde."

Mit dem "Kompetenzfeld Informationstechnik" scheint es nicht weit her zu
sein, wenn der Verlag keine Möglichkeit sieht, hier Abhilfe zu schaffen,
und seine Kunden mit einer so unbedarften und schwammigen Erklärung
abspeist. Solange keine Electronic-Copyright-Management-Systeme für die
Volltexte der elektronischen Ausgaben implementiert sind, ist die
Aussage trivial. Die Frage ist aber doch, ob die Tatsache, daß sich z.B.
die unbefugte Weiterverteilung von Dateien durch Endkunden nicht 100%ig
ausschließen oder kontrollieren läßt, im vorgegebenen akademischen
Umfeld von irgendeiner praktischen Relevanz ist und ob ihre Auswirkungen
in ökonomischer Hinsicht die Konsequenzen etwa der universellen
Verfügbarkeit von Kopierern bei weitem übersteigen.

Mir scheint die vom Verlag angebotene Erklärung noch in zweierlei
Hinsicht bemerkenswert: 

1. finde ich es verwunderlich, daß den Verantwortlichen Erkenntnisse 
solcher Art erst im vierten Jahr nach Einführung von Springer LINK 
bekannt geworden sein sollen. Wenn die Aussage des Verlags überhaupt 
ernst zu nehmen und nicht bloß vorgeschoben ist, wäre sie als deutliche 
Kritik an der gegenwärtigen Implementierung von Springer LINK zu 
verstehen, und man muß wohl annehmen, daß die "corporate vision" von 
LINK beim Springer-VDI-Verlag bzw. einem Teil seiner Gesellschafter 
nicht gerade emphatisch geteilt und eher skeptisch gesehen wird. 

2. wurde die "Testphase" als solche gegenüber den Kunden erst im 
Nachhinein deklariert: als die Titel im Volltext in Springer LINK 
zugänglich wurden, erschien bloß die übliche Notiz im LINK Serials 
Update; eine gesonderte Ankündigung für die Abonnenten gab es unseres 
Wissens nicht. Ganz abgesehen von diesem zumindest ungewöhnlichen 
Vorgehen scheint uns eine "Testphase" müßig, wenn überhaupt keine
Rücksprache mit den nutzenden Institutionen genommen wird. Wir würden 
auch gerne genaueres über die Art der Evidenz für eine "unkontrollierte
Verbreitung" erfahren. Sind die Account-Administratoren dort informiert
worden, wo es Anzeichen von Mißbrauch gegeben hat? Mir jedenfalls ist
für die Uni Stuttgart nichts dergleichen gemeldet worden. Wenn die
Testphase überhaupt mit dem Ziel gestartet wurde, in einen dauerhaften
Service überführt zu werden, hätte man auftretende Bedenken oder
konkrete Probleme doch frühzeitig identifizieren und ansprechen können,
damit die lokalen Administratoren technische Maßnahmen ergreifen (z.B.
Sperren offener Proxy-Server an der Universität) oder ihre Benutzer
nochmal eingehend über die Benutzungsrichtlinien aufklären können, und
zwar auch proaktiv, nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen
gefallen ist. Meine Erfahrung (zwei oder drei bekanntgewordene Fälle in
5 Jahren) ist, daß selbst Benutzer, die z.B. einmal einen Spider
eingesetzt und damit eine ganze Website heruntergeladen haben, das nicht
taten, um damit einen schwunghaften Dokumentenhandel aufziehen, sondern
z.B., weil sie das schicke Spider-Ding mal eben ausprobieren wollten und
dabei einen dicken Konfigurationsfehler gemacht haben, oder vielleicht
bloß ganz naiv in guter Absicht, weil sie sich eine Datenbank für den
persönlichen Gebrauch anlegen wollten, die sie mit ihrer eigenen
Suchmaschine im Volltext durchsuchen können, und vermutlich manchmal
auch aus fehlgeleitetem Sammlertrieb. Wenn man ihnen dann klar macht,
was das für die Server bedeutet, wenn das alle Nutzer machen, und daß es
für die Universität den Verlust der Lizenz bedeuten kann, wenn es
wiederholt vorkommt, lassen sie das schnell bleiben. Für unsere
Universität kann ich zumindest sagen, daß wir Fällen, die uns bekannt
werden (das waren wie gesagt bisher äußerst wenige), sofort nachgehen
und alles dafür tun, daß dem Verlag daraus kein weiterer Schaden
entsteht. 

Um wenigstens ein paar spärliche Nutzungszahlen über eine Testphase zu
präsentieren, die als solche gar nicht angekündigt wurde, hier ein paar
von der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek Regensburg (EZB)
gelieferte Daten, unter deren Oberfläche wir (wie derzeit 140 andere
Bibliotheken auch) unsere Zeitschriften anbieten: Im Jahr 2000 wurden
die 13 Springer-VDI-Titel über unser lokales Stuttgarter EZB-Portal von
unseren Nutzern 386 mal "betreten" (was hinter oder außerhalb des
EZB-Portals an Zugriffen passiert, entzieht sich unserer Kenntnis; aus
Vergleichszahlen von Verlagen, die uns Serverstatistiken liefern, läßt
sich derzeit nur grob abschätzen, daß die Zahl der tatsächlich
heruntergeladenen Artikel etwa einen Faktor 5-10 größer sein könnte).
40% dieser Nutzung entfielen allein auf die Zeitschrift "Bauingenieur", 
10% auf die Zeitschrift "Beratende Ingenieure", 9% auf "Gefahrstoffe - 
Reinhaltung der Luft", etc. In der Verlagsstatistik nach EZB-
Zugriffszahlen kam Springer-VDI bei uns 2000 immerhin auf Platz 14
(Spitzenreiter Elsevier mit 7297, auf Platz 5 Springer selbst mit 1789,
Gesamtzahl der Zugriffe in 2000: 38227), noch deutlich vor ASCE (275 für
zus. 23 Zs.) und ASME (208 für zus. 28 Zs.). Der "Bauingenieur" lag in
der Zeitschriftenstatistik nach EZB-Zugriffszahlen 2000 auf Platz 16
(Spitzenreiter "Applied Physics Letters" mit 800 Zugriffen in 2000) und 
war damit die bestgenutzte technische Zeitschrift. Springer LINK liefert 
im Rahmen der Basislizenz leider keine Nutzungsstatistiken. 

Im Jahr 2000 gingen nicht nur die VDI-Fachzeitschriften, sondern auch
die der wichtigsten internationalen Fachgesellschaften ASCE (American
Society of Civil Engineers), ASME (American Society of Mechanical
Engineers, beide auf der Plattform des Online Journal Publishing Service
des American Institute of Physics), ICE (Institution of Civil Engineers,
Thomas Telford) und IMechE (Institution of Mechanical Engineers,
Professional Engineering Publishing) online. Daß sich der VDI hier nun
wieder ausklinkt, ist mehr als bedauerlich.

Es darf gerätselt werden, was den Verlag zu diesem Schritt bewogen haben
mag. Fiel die Erosion des persönlichen Abonnentenstamms durch die
Online-Verfügbarkeit am Arbeitsplatzrechner höher als erwartet aus? Wenn
ich den Bestandsdaten der ZDB trauen darf, dann hat jedenfalls an den
Universitäten mit zweigliedrigem Bibliothekssystem bisher keine
nennenswerte Ausdünnung von "Dubletten" in den Institutsbibliotheken
stattgefunden (dazu besteht aufgrund der günstigen Preise dieser Titel
auch kaum ein Anlaß). Ich halte dies auch deswegen für unwahrscheinlich,
weil der praxisbezogene "Magazin-Charakter" vieler dieser Titel eine 1:1
Umsetzung in die Online-Welt schwierig macht und der praktische
Gebrauchswert des gedruckten Heftes einfach unübertroffen ist.  Dennoch
ist die Online-Verfügbarkeit am Arbeitsplatz heute einfach unerläßlich,
und sei es, um die Verfügbarkeit auch dann zu gewährleisten, wenn die
Zeitschrift gerade beim Buchbinder ist. Es sei auch daran erinnert, was
Professor Hans-Jürgen Warnecke, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft
und langjähriger verantwortlicher wissenschaftlicher Herausgeber der
freilich mehr wissenschaftlich orientierten "Werkstattstechnik" in
seinem Editorial "Eine neue Informationsdimension" (wt 90 (2000) 7/8, S.
273a) schrieb: "Herausgeber, Verlag und Schriftleitung sind überzeugt, 
dass mit dieser radikalen Umstellung der Erscheinungsweise der wt
Werkstattstechnik die langfristige Zukunftssicherung der Fachzeitschrift
gelingt und der neuzeitlichen Entwicklung, den Interessen der Leser und
der Autoren Rechnung getragen wird. Diese neue Erscheinungsweise gibt
uns bei voller Zitierfähigkeit der Aufsätze die Möglichkeit hoher
Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Schnelligkeit. Die wt
Werkstattstechnik kann auf diese Weise gut gerüstet in ein weiteres
Jahrhundert gehen." Diese Zuversicht scheint dem Verlag inzwischen
abhanden gekommen zu sein, zumindest in Hinblick auf sein übriges
Fachzeitschriftenprogramm (nur die wt wird, da die Printausgabe bereits
eingestellt worden ist, weiter online erscheinen, allerdings auf einem
anderen Server). Das deutschsprachige Technikprogramm von Springer LINK
schmilzt damit auf ganze zwei Volltextzeitschriften zusammen. 

Als "Trostpflaster" wird nun wird nun vom Verlag ein Portal
www.technikwissen.de angeboten, auf der man weiterhin nach allen
Artikeln recherchieren kann (Zitat: "Sie haben nach wie vor Zugriff auf
die Abstracts, die Recherche erfolgt sogar innerhalb der Volltexte"),  
bloß für die Artikel selbst muß man jetzt leider die Printausgabe parat 
haben. Das nenne ich Fortschritt! Das Portal selbst ist mit gleich drei 
bunten Blinkebannern in der Kopfzeile ("Klicken Sie jetzt! - Wissen 
klicken! - Bestellen!") ziemlich abschreckend gestaltet (daß die Click-
through-Raten für solche Banner inzwischen minimal sind, dürfte sich 
eigentlich auch schon herumgesprochen haben), der Seitenaufbau ist elend 
langsam, das Design erfolgte mit Microsoft Visual Studio (mit viel 
JavaScript, Flash etc. aufgepeppt) und brachte meinen Browser bereits 
beim ersten Ansteuern zum Abstürzen. Ob das wohl der richtige Weg ist, 
um die Techniker von den Qualitäten des VDI und seiner 
Verlagspublikationen zu überzeugen?

Bernd-Christoph Kämper, 
Fachreferent für Physik und Elektrotechnik, 
Universitätsbibliothek Stuttgart, Postfach 104941, 70043 Stuttgart, 
Tel. (0711) 685-4780/4093, FAX 3502, E-Mail: kaemper _at__ ub.uni-stuttgart.de


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