[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Enzensberger-Schelte



Gisela Bröckerhoff wrote:
> 

> In den Reaktionen auf HMEs Artikel geht es ausschliesslich um laengere
> Oeffnungszeiten. (Ja, ich weiss: Jemand hat speziell danach
> gefragt.)Trotzdem finde ich es merkwuerdig, dass sich zu den von HME
> erhobenen Vorwuerfen niemand so richtig aeussert. Es scheint also ums
> deutsche Bibliothekswesen in der Tat so schlecht bestellt zu sein wie
> von ihm beschrieben. Haben wir wirklich nur schlechten Service, ruppiges
> Personal etc zu bieten? Kein Widerspruch, nirgends?

Da ich die amerikanischen Bibliotheken nicht aus eigener Erfahrung
kenne, kann ich zu dem Vergleich nichts schreiben, nur nochmals auf den
Artikel von Dale Askey verweisen, den ich natuerlich nicht oeffentlich
zum Versand anbieten will, der mir aber privat vorliegt ...

Was ist denn der Grund, dass die Sonntagsoeffnung die Diskussion
dominiert? Doch die Ueberzeugung, dass die Bibliotheken wie die Museen
eine Kulturinstitution sein sollten, die ebenso wie die Museen auch dann
geoeffnet sein sollten, wenn der "normale" Berufstaetige das auch nutzen
kann.

In Freiburg kann ich an der Uni im Semester normalerweise in UB und
einigen Institutsbibliotheken bis kurz vor 22 Uhr arbeiten, aber wie
sieht es mit jenen ungluecklichen Geschoepfen aus, die im Raum Koblenz
auf die Rheinische Landesbibliothek angewiesen sind:

Mo+Mi+Fr
10.00 - 19.00 Uhr
Di
geschlossen
Do
10.00 - 20.00 Uhr
Sa
10.00 - 13.00 Uhr

Neulich wollte ich in der ULB Duesseldorf einen alten Druck des 16.
Jahrhunderts einsehen, was man nur im Hochsicherheitstrakt der
Handschriftenabteilung darf, die (ausser Montags, da ist sie bis 18 Uhr
offen, sonst schliesst die ULB schon um 20 Uhr) in der Regel um 16 Uhr
nachmittags ihre Pforten verriegelt. Da an dem betreffenden Tag der
Leiter auf Dienstreise und sein Stellvertreter ploetzlich erkrankt war
und eine weitere Mitarbeiterin nur vormittags zu erreichen, konnte ich
mir - gluecklicherweise habe ich vorher angerufen - die Anfahrt sparen
...

Weil Altbestandsbenutzung Praesenzbenutzung ist, haben die
entsprechenden Fachabteilungen meist auch die kuerzesten Oeffnungszeiten
- daran allein kann man doch das Abstruse einer Einstellung ersehen, die
den Benutzer vor allem als laestiges Uebel begreift, der den
Kostbarkeiten durch seine Benutzung doch nur schadet.

Immer wieder wird Benutzern, die wissenschaftlich mit Altbestaenden oder
Handschriften arbeiten wollen, deutlich vor Augen gefuehrt, dass sie
sich, wenn sie sich lieber eine bequemere Art des Forschens suchen
sollten. Man kann ja auch "Literaturarbeiten" schreiben oder nur die
edierten Quellen der MGH nutzen.

Ich erinnere mich noch gut an den sadistisch anmutenden Eifer, mit dem
seinerzeit Dr. Peter Amelung als Altbestandsreferent der WLB Stuttgart
den Wissenschaftler von den ihm anvertrauten Bestaenden fernzuhalten und
jede Benutzung vor 1700 erschienener Baende zur Qual zu machen bestrebt
war (am liebsten haette er nur selbst darin geforscht).

Kaum noch werden Altbestaende auf die Reise geschickt und der Fernleihe
zur Verfuegung gestellt, was nichts anderes bedeutet, dass man entweder
zum Standort reist (teuer!) oder horrende Kopiergebuehren berappt.

Schon das normale Kopieren ist in den Lesesaelen von Karlsruhe und
Stuttgart eine finanzielle Tortur: Trotz langer Schlagen vor den
Geraeten kostet jede Kopie 20 Pfennig (also 10 Cent inzwischen), und ein
Entrinnen ist bei Praesenzbestaenden nicht moeglich.

Kopien aus Altbestaenden sind in der Regel noch viel teurer, was sich
letzten Endes als "Strafzoll" fuer die Dreistigkeit, die ohnehin
ungeliebten Altbestaende benutzen zu wollen, erweist.

Klaus Graf


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.