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Re: AW: Informatiker entwickeln Bibliothek der Zukunft



Bernhard Eversberg wrote:

> On 5 Aug 02, at 9:54, Kaestner, Dr. Juergen wrote:
>
> > Es ist erstaunlich, dass Informatiker, die die "Bibliothek der Zukunft"
> > entwickeln wollen, nicht wissen, was eine Bibliothek ist.
>
> Informatiker haben ein sehr inniges Verhaeltnis zu Metaphern. Praktisch werden
> staendig Woerter der Umgangssprache hergenommen und fuer Dinge verwendet, die nur
> in hochabstraktem Sinne etwas damit zu tun haben: "Maus" oder "Virus"
> oder "Architektur" oder "Absturz" - Sie verstehen was ich meine.....

Der Hinweis auf die Metaphorik in der Informatik ist sicher interessant.
Dokumentarisch gesehen sind Metaphern ein Teil des großen Homonymenproblems,
und linguistisch betrachtet eine Konsequenz der Syntax.
Das selbe Wort in unterschiedlichen Zusammenhängen hat unterschiedliche Bedeutung.
Das führt auch dazu, dass wir seit einem halben Jh. nahezu unverändert bei
Onlinerecherchen
nur etwa 50% Precision und 50 % Recall Ratio erhalten.
Ob das beim Einsatz von Ontologien besser werden kann, wie einige Informatiker
glauben,
 ist äußerst fraglich, weil Rechercheure schon immer das Begriffliche in den
Benennungen suchten.

Wahrscheinlicher ist, dass es nur besser werden kann, wenn wissenschaftlich begründete

semiotische Thesauri entwickelt werden. Das heißt aber, dass eine Bibliothek klar
definiert sein muss
und dass es nicht erlaubt ist, Worte rein willkürlich zu benutzen.

Bezogen auf die "Bibliothek der Zukunft", bedeutet diese Feststellung,
dass hier ja nicht eine Bibliothek im Sinne der Informatiker (Programmbibliothek etc.)

aufgebaut werden sollte, sondern der Ersatz dessen was Bibliothekare eine Bibliothek
nennen.
Darum wurden ja auch Bibliotheksleser in das Projekt eingebunden.
Informatiker müssen das Wort Bibliothek ebenso korrekt benutzen, wie auch
ein Laie der Informatik beim Befehl goto nicht in den Rechner Treten darf ;-)

Außerdem ist klar, es geht um die Frage, ob in Zukunft publizierte Information
eine Ware wie jede andere sein soll,
oder ob man Wissen als Kapital einer Nation bzw. der menschlichen Gesellschaft
versteht,
?das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet? (Goethe 1801).
Die Gleichsetzung von Unterhaltung und Wissenschaft ist eine juristische, politische
und insbesondere ökonomische Verwechslung die verheerende Folgen haben wird.

Gerade in der ?Informationsgesellschaft? muss man die ?Marktmechanismen?
der Information und der Wissenschaft berücksichtigen. Es ist aber gefährlich zu
glauben,
dass dies die selben alten Marktmechanismen sind, die schon für die
Agrargesellschaft galten. Nahrung war immer eine Mangelware
und erforderte, dass der Markt zwischen Angebot und Nachfrage vermittelt.
Bei der Information ist es umgekehrt. Sie wird mit allen Mitteln und
Möglichkeiten verknappt um der alten Ökonomie unterworfen werden zu können.

Wissenschaft erzeugt eine "Ware" die ihre eigenen Marktgesetze hat,
sie wächst selbstorganisatorisch, ist an weltweit öffentliche Bibliotheken
und an Monopole gebunden, die den Verlegern nicht nur Rechte
sonder auch Pflichten geben.Darum gibt z.B. es auch ein Patentgesetz und
in vielen Bibliotheken auch Patentauslegestellen.

Selbstverständlich müssen Verleger, wie Herr Schwantner schreibt,
ihre Investitionen bei Büchern, Zeitschriften, CD-ROMs etc. in möglichst kurzer Zeit
refinanzieren.
Die Frage ist nur wie sie das tun.
Dissertationen finanzieren sie meist gar nicht (bzw. lassen sie vom Autor
finanzieren),
weil diese mit beispielsweise zwanzig Spezialisten weltweit
einen viel zu geringen Absatzmarkt haben.
Für deren Verbreitung sorgen meist die Bibliotheken.

Es sei an dieser Stelle auch noch mal an das Archivproblem erinnert.
Beebe, L. und Meyers, B. (The Unsettled State of Archiving
J. Electronic Publishing 4 (4) 1999) diskutieren die Frage, wie weit
Verlage ihr Eigentum selbst archvieren sollen oder müssen.
Das ist eine hoch brisante Frage, weil es geschehen könnte,
dass Verlage eines Tages Dokumente präsentieren,
von denen sie behaupten, sie hätten schon vor zehn Jahren eine bestimmte
Information enthalten.
Dass Verlage von e-Journals schon bankrott gegangen sind und deren Archivierung
damit ungewiss wurde ist ebenfalls bekannt.

"In a 1998 survey of member institutions, the Research Library Group
found that nearly half (15 of 36) of the respondents with digital holdings
have lost access to some of their materials "because they lack the operational or
technical capacity to mount, read, or access files" (Hedstrom and Montgomery 1998).


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MfG

Umstätter



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