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Klassische Literaturversorgung gefaehrdet?, war: Re: WWW-Server der
- Date: 01 Jun 1995 00:00:00 +0000
- From: inetbib _at__ ml.han.de (Michael Logies)
- Subject: Klassische Literaturversorgung gefaehrdet?, war: Re: WWW-Server der
> Ferner gibt es ein
> Formular fuer (kostenpflichtige) Online-Direktbestellungen. Weiteres
> ist, wie ueberall, natuerlich noch im Aufbau.
>
> Fuer Kritik, Vorschlaege und Anregungen sind wir jederzeit offen.
>
> Mit freundlichen Gruessen aus Goettingen
>
> Wilfried Enderle
Sehr geehrter Herr Enderle, ich moechte folgendes anmerken:
Ich habe in Goettingen die folgenden Preise gefunden:
1. Erledigung eines Auftrags fuer Kopienlieferung bis 20 Kopien per
FAX oder per Post
Bundesrepublik Deutschland DM 10,00
jede weitere Kopie DM 0,50
Europa DM 15,00
jede weitere Kopie DM 1,00
Uebersee DM 20,00
jede weitere Kopie DM 1,00
2. Erledigung eines Auftrags per e-Mail (in Vorbereitung)
Bundesrepublik Deutschland DM 5,00
jede weitere Kopie DM 0,50
Europa DM 10,00
jede weitere Kopie DM 1,00
Uebersee DM 15,00
jede weitere Kopie DM 1,00
3. Monographien (Ausleihe)
Bundesrepublik Deutschland DM 10,00
Europa DM 15,00
Uebersee DM 20,00
4. Mikroformen (Ausleihe)
Bundesrepublik Deutschland DM 10,00
Europa DM 15,00
Uebersee DM 20,00
Ich hatte vor einigen Tagen hier in der Liste nachgefragt, ob irgendwo
eine Fernleihe von Zeitschriftenartikeln ueber email moeglich sei,
moeglichst zu den ueblichen Bedingungen (kostenlose Kopien).
Erreicht hat mich persoenlich eine Antwort aus Potsdam, die mich an
Jason-NRW (Journal Articles on Demand) verwies. Lieferung per email
kostete dort 6 DM fuer privat (3 DM fuer Bibliotheken). Das Verfahren
erschien mir mit vorher zu loesenden Transaktionsnummern und
Bestellung ueber telnet unstaendlich.
Insofern ist das Angebot der UB Goettingen eine Verbesserung, da es
auch die Bestellung ueber email erlaubt.
Dass bei Lieferung (selbst ueber email) nach Empfaengerland
unterschieden wird, wirkt kurios. Ich nehme an, das hat vornehmlich
politische Gruende: Kommerzielle Dienste wie Uncover machen diese
Unterscheidung z. B. fuer die Faxlieferung nicht, sind aber teurer,
die NLM laesst auslaendische Nutzer aber nicht einmal an Medline
heran.
Angesichts der fuer mich als privatem Nutzer bisherigen kostenlosen
Literaturversorgung sind beide Angebote eine Verschlechterung.
Falls ich nicht mehr den Weg ueber meine oertliche Gemeindebibliothek
gehe, um Fernleihen aufzugeben, erspare ich den beteiligten
Bibliotheken Zeit und Kosten (der Gemeindebibliothek, der
zwischengeschalteten naechsten Unibibliothek des Landes, die doch
meist nach Koeln zur Zentralbibliothek der Medizin weiterleiten muss).
Durch die elektronische Uebermittlung sollten Rationalisierungseffekte
durch automatisierte Auftragsbearbeitung moeglich sein.
Das Angebot, im Katalog der UB stoebern zu koennen, ist letzlich fuer
die Medizin uninteressant, weil derzeit online Paperchase (Medline und
ein paar andere medizinische Datenbanken) auf Compuserve mit 18$/h von
keinem mir bekannten nationalen Angebot auch nur entfernt erreicht
wird. Paperchase ist auch ueber Internet erreichbar.
Sollen die neuen elektronischen Angebote dem bisherigen deutschen
Fernleihsystem das Wasser abgraben, oder worauf zielen sie langfristig
ab?
Eine technische Frage: In welchem Format sollen die Artikel per email
geliefert werden? Als Grafikdatei? Nach meinen Erfahrungen mit
Faxdateien ein sehr unhandliches Verfahren, weil die Datenmengen dabei
sehr aufgeblaeht werden und eine Textsuche nicht moeglich ist. Der
Ausdruck auf dem heimischen Drucker rechnet sich meines Erachtens
wegen der Druckerkosten und vor allem der verausgabten Zeit nicht.
Interessant koennte die Texterkennung des Scans durch die Bibliothek
sein, aber ich bezweifle, dass es da schon praktikable Loesungen gibt.
Auch hier bleiben Tabellen und Grafiken ein Problem.
Ich als privater Nutzer wuerde mir eine zentrale Anlaufstelle fuer die
Fernleihbestellungen meines Fachgebietes (Zahnmedizin) wuenschen (z.
B. dadurch nur ein Leihscheinformat).
Nach Lage der Dinge kann die nur in Koeln sitzen. Um Koeln zu
entlasten, koennten per email aufgegebene Fernleihen automatisch durch
Abfrage der Kataloge der Unibibliotheken des Landes, aus dem der
Besteller kommt, an diese zurueckverwiesen werden. So es schon
elektronische Kataloge der Stadtbibliotheken gibt, waere auch eine
Verweisung hierauf denkbar.
Von den letztgenannten Bibliotheken aus koennte dann der Versand an
den Besteller erfolgen.
Die Gebuehren muessten deutlich geringer als die oben genannten sein,
bei Monographien hielte ich schon die Portogebuehren, die der
Besteller fuer den Ruecktransport aufwenden muss, als Schutzgebuehr
ausreichend.
Bei Zeitschriften waere ein gewisse Zahl kostenloser Artikel denkbar.
Bei Ueberschreiten dieser Zahl (deren Registrierung fuer das oben
vorgeschlagene zentrale Modell spricht) koennte eine moderate
Schutzgebuehr erhoben werden. Die obigen Kosten passen nicht in das
Bild der bisherigen Literaturversorgung. Ebensowenig wie der Schritt
der UB Goettingen, ihre Dienstleistungen auf dem weltweiten Markt
anzubieten, nachdem man bislang primaer fuer niedersaechsische Nutzer
da war. Ich bin gespannt, wie sich fuer diese nicht zahlenden Nutzer
die Bearbeitungzeiten veraendern werden, wenn die zahlenden die
Kapazitaeten in Beschlag nehmen.
Wie ich nach meinem Artikel ueber "Literaturrecherche vom
Schreibtischsessel aus" (Zahnaerztliche Mitteilungen, 1994(84), 616-
621) durch Zuschriften von Kollegen erfahren durfte, gibt es durchaus
auch bei Praktikern ein Interesse an wissenschaflicher
Literaturversorgung.
Bislang scheiterte man abseits der Universitaeten meist schon am
Nachweis. Das Problem ist mittlerweile behoben. Bleibt die Frage nach
dem Selbstverstaendnis und den zukuenftigen Aufgaben der
Unibibliotheken: Oeffentliche Einrichtungen oder kommerzielle
Dienstleister?
Mit freundlichen Gruessen
M. L.
--
** logies _at__ ml.han.de (Michael Logies) **
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